Zwei, die auszogen, das Verruchtsein zu lernen
Unglaublich,
was es für Tango-Videos gibt – und nur selten kräftigen sie mein Immunsystem.
Den neuesten Fund verdanke ich dem fleißigen Kommentator „Tanzliebhaber“ im berühmt-berüchtigten Forum „tanzmitmir".
In
einem Bericht der „WDR Servicezeit“ erhält ein Ehepaar mittleren Alters den
Vorschlag, es doch einmal mit Tango argentino zu versuchen – modern am Computer
surfend selbstverständlich. Der sei doch „ein
richtiger Boom geworden“, so die blonde Moderatorin auf dem Schirm, welche
auch gleich dessen wichtigste Anforderung parat hat: „Der Mann muss gut führen können, die Frau muss sich allerdings auch
führen lassen.“ Und diese „tolle
Musik“ entführe einen doch „gleich in
eine ganz andere Welt“.
Auf
die Frage „Habt ihr Lust dazu?“ hebt
eine kabarettistisch herrliche Szene an: Die Gattin verwendet gewohnheitsmäßig
den Konjunktiv: Sie hätte Lust dazu.
Schließlich würden Freunde von ihnen „unheimlich
schön Tango argentino tanzen“. Während sie ihren noch prüfenden Blick auf
den bislang schweigenden Männe zentriert, schiebt sie zur Verstärkung ein „Hätt ich schon Riesen-Lust dazu“
hinterher. Auf „müssen wir uns mal schlau
machen, dann würden wir es gerne versuchen“ kommt von ihm endlich ein
Nicken: „Ja… ok“.
Szenenwechsel,
Weg zur Tangoschule, Musik-Unterlegung „La
Cumparsita“ (Watt’n sonst?). Schnitt – innen / Nacht: Die beiden nebeneinander,
die Ehefrau gibt das Statement, dass sie sehr aufgeregt sei. Tanz und Musik wären
sehr schön, aber wohl mit viel Arbeit verbunden, sie lasse sich überraschen. Er schweigt
flächendeckend.
Schnitt
auf das Tangolehrerpaar: Natürlich, so der Off-Kommentar, beginne die Stunde –
wir haben es befürchtet – mit „einer
Schrittkombination, die unser Paar gleich nachtanzen soll.“ Und
selbstredend startet das Ganze mit einem Rückwärtsschritt, na klar! Musik: die
erwartbare Di Sarli-Endlosschleife.
Es
folgen Übungssequenzen, die auch den Tanzlehrer bei seiner
Lieblingsbeschäftigung zeigen – er redet: Man müsse die Frau „auf das richtige Bein stellen“ –
schade, dass sie auch ein falsches hat!
Die
Stimme aus dem Off belehrt uns nochmals, die Damen müssten bereit sein, „sich vollständig vom Mann führen zu
lassen.“ Tango zu erlernen bedeute auch, „sich in eine fremde Gefühlswelt zu begeben, voller Leidenschaft, aber
auch Melancholie“.
Was
man natürlich bei den zahlreichen Schülerpaaren deutlich erkennen kann…
Tango,
so erfährt man, solle nicht mit dem Kopf, sondern mit dem ganzen Körper getanzt
werden. Dies war wohl auch die Devise eines WDR-Praktikanten, der sich offenbar
aus dem Internet einen kurzen Einspieler zur Tangogeschichte zusammengegoogelt
hat: Die Geschichte des Tango argentino habe in Buenos Aires begonnen, man
verbinde mit ihm „Erotik, Sinnlichkeit,
Hingabe“ sowie eine „gewisse
Verruchtheit“. Nach dem Verbot der Tanzfeste auf den Straßen habe man sich
in Hallen zurückgezogen (na ja, das waren zwar die Schwarzen ein halbes
Jahrhundert früher, da gab’s noch keinen Tango), heute werde er wieder im
Freien getanzt. Dazu ein bisserle Showtanz, La Boca und „Mí Buenos Aires querido“ – halt alles, was der Tourist so braucht…
Abschließend
erfahren wir noch etwas über Paare und ihre körperliche Nähe sowie über
Trennungen – der Tango, so die Tanzlehrerin, sei so etwas wie ein Kater-äh-lysator: Wenn es im Tanz
klappe, dann auch in der Beziehung. Umgekehrt wohl auch.
Ein
zum Schmelzen schönes Statement bekommen wir dann noch aus dem Off geschenkt: „Und wenn die Schritte erst einmal in Fleisch
und Blut übergegangen sind, kann man sich voll auf die Körpersprache
konzentrieren.“
Besser
kann man das Elend des heutigen Tanzunterrichts kaum beschreiben…
Abschließend
spricht die Ehefrau „das Gefühl, sich mal
fallenlassen zu können“ an, das sie in der ersten Stunde jedoch noch nicht
kennengelernt habe (klar, der Tangolehrer wird sich gehütet haben, mal mit ihr
zu tanzen). Das erfordere wohl Zeit. Nun endlich erwacht auch der Gatte aus
seiner Verstummung: Das sei schon schwierig mit dieser Nähe. So oft sei er
seiner Frau noch nie auf den Fuß getreten.
Sie
würde (!) dennoch gerne weitermachen (Kontrollblick zu ihm) – aber… das müsse man noch sehen. Er endet mit Satz:
„Ich schlaf mal drüber.“
Fragt
sich halt, mit wem, wenn sie so weitermacht…
Meine
Erfahrung sagt mir: Die beiden sind nicht beim Tango geblieben.
Ich
will das recht bekannte Lehrerpaar nicht zu sehr kritisieren: Sie waren jung
und brauchten die Werbung im Fernsehen. Aber man muss ja, wenn man nach Jahren
vielleicht zu neuen Einsichten gelangt ist, nicht jeden Quatsch im Internet
stehen lassen.
Und
das Schülerpaar kann noch viel weniger dafür, wenn man es zuerst tief in die
Klischeekiste tunkt und anschließend mit ungeeigneten Lehrmethoden malträtiert.
Wie
wäre es mit: Der Tango ist ein Tanz wie jeder andere. Wem er gefällt, der darf
ihn lernen – Erotik, Hingabe oder gar Verruchtheit hingegen gibt es in keiner
Schule zu erwerben, in der Tanzschule schon gar nicht!
Zum Genießen hier noch das Video mit dem schönen Titel „Tanzen für Leib und Seele":
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