Stilgruppe für Paare
Via Facebook erreichte mich gestern wieder eine Flut von
Einladungen zu Veranstaltungen des Tangovereins meiner Heimatstadt – alle Achtung,
aktiv ist man ja dort!
Wenn die Texte dann auch noch derart mein Zwerchfell
strapazieren wie der folgende, ist der Tag für mich schon in der Früh gerettet:
„Tango de Salon: Grundlagen des Estilo Villa Urquiza“, so das Thema eines
von mehreren „Workshops“ eines natürlich „direkt
aus Buenos Aires“ kommenden Showtanzpaars.
Auch auf der Website des Vereins wird dieser spezielle Tangostil
wie folgt erklärt:
„Der Name rührt
daher, dass dieser Stil Mitte der 40er Jahre im Stadtteil ‚Villa Urquiza‘ im
Norden Buenos Aires' entstand. Die Tänzer
dort entwickelten und pflegten einen einfachen und sehr eleganten Tangostil,
den ‚Estilo Villa Urquiza‘.
Es wird in aufrechter
Haltung getanzt, beide Tänzer behalten ihre eigene Achse und blicken in der
Umarmung zu den geschlossenen Händen. Die Tanzhaltung ist auf der Schulterseite
geschlossen und öffnet sich in einem leichten ‚V‘ zu den Händen hin.
Die Umarmung ist
normalerweise eng, kann sich aber für Drehungen lockern, auch um der Frau mehr
Bewegungsfreiheit z.B. bei Ochos zu geben. Je besser die Frau ihre Hüfte
unabhängig vom Oberkörper zu rotieren lernt, desto weniger muss die Umarmung
gelöst werden. Die Kopfhaltung beider Tänzer zu den geschlossenen Händen hin
vermittelt ein inniges Miteinander im Paar.
Der Stil ‚Villa
Urquiza‘ wird in vielen Vierteln von Buenos Aires getanzt und wird manchmal
auch ‚Tango Estilo del Barrio‘ genannt. Außerhalb von Argentinien werden diese
Stilrichtungen und ihre Abwandlungen gerne
als ‚Tango de Salon‘ beschrieben.“
Nun entspringt dieser Text wohl nicht den eigenen
Erkenntnissen der Veranstalter, da man ihn (in englischer Sprache) mehrfach im
Internet findet, zum Beispiel hier:
“Named for one of the neighborhoods of Buenos Aires, the Villa Urquiza
style of tango is typically danced with an upright body posture with the two
dancers maintaining separate axes and looking toward the clasped hands of the
embrace. The embrace is typically
closed, but the couple loosens the embrace slightly to accomodate the turns and
allow the woman to rotate more freely.
The more the woman rotates her hips through the turns independently of
her upper torso, the less the embrace needs to be loosened. Because both dancers look toward the clasped
hands, the embrace may create an impression of a slight V, in which the woman's
left shoulder is closer to the man's right shoulder than her left shoulder is
to his right. Despite the name, the
style is danced throughout many of the neighborhoods of Buenos Aires, and is
sometimes called ‘Tango Estilo del Barrio.’ Outside Argentina, the style is
widely known as ‘salon-style tango’.”
Nun sollte man sich bei solchen Vorlagen doch auch mal die
Titelseite dieser Veröffentlichung betrachten, wo man folgendes (von mir
übersetzt) lesen kann:
„In Buenos Aires und anderen Teilen
Argentiniens tanzt man den Tango in einem Spektrum individueller oder
persönlicher Stile, und viele argentinische Tangotänzer lehnen die
Kategorisierung ihres eigenen Tanzens mit irgendeiner allgemeinen stilistischen
Bezeichnung ab. Sie sagen einfach, dass sie Tango tanzen, in ihrem eigenen Stil
oder dem Stil der Gegend oder Stadt.
Einige verwirren das Thema weiterhin
dadurch, dass sie ihrem eigenen Stil einen Namen geben, den andere Tänzer mit
einem unterschiedlichen Stil assoziieren.
Folglich ist die Gliederung der
Ähnlichkeiten und Unterschiede, die man im Spektrum der individuellen Stile
findet, anspruchsvoll, möglicherweise kontrovers und eventuell irreführend."
Und selbst der US-Blogger „Tango Voice“, der Schubladen gewiss nicht abgeneigt ist, mahnt zur
Vorsicht bei den Einteilungen:
„Das Etikettieren von Punkten in
einem Kontinuum vermittelt jedoch auch den Eindruck, dass es innerhalb des ‚Tango
de Salon‘ unterschiedliche stilistische Kategorien gibt, was nicht stimmt.
Jeder kundige und aufmerksame Milongabesucher wird erkennen, dass eine nahezu
kontinuierliche Variation entlang mehrerer Dimensionen existiert.“
(Aus dem Schwulst-Englischen ins Kölsche übertragen: „Jede Jeck is anders“)
Und selbst die Grande Dame des kasernierten Tangos, Melina Sedó, hält zumindest hier nichts
von Erbsenzählerei:
„Seit der Jahrhundertwende gibt es
die Tendenz, den Begriff ‚tango de salón‘ auf einen bestimmten Stil
einzugrenzen: ‚Tango Villa Urquiza‘. Dies geschah,
um diesen elaborierteren Stil vom vermutlich sehr eingeschränkten ‚Milonguero-Stil‘
zu unterscheiden. Aber ich glaube nicht, dass es einen einheitlichen ‚estilo
milonguero‘ gibt, und ich sehe ebenso wenig die Notwendigkeit, ‚Salontango‘ auf
so eine enge Bedeutung zu beschränken. Ich werde das weiterhin als
Sammelbegriff verwenden.“
Ja, wie nun –
ist dieser famose Stil nun eher „einfach“
oder „elaboriert“? Wahlweise findet
man beide Beschreibungen im Internet.
Eines ist diese Variante aber mit Sicherheit: gewinnbringend. Jeder Dödel
unterrichtet ja heute „traditionellen Tango“, „Tango de Salon“, „authentischen
Tango“ – oder wie immer die Synonyme lauten. Aber „Villa Urquiza-Stil“ oder gar „Estilo
Villa Urquiza“ klingt da schon eine Nummer edler, vermittelt doch „Villa“
durchaus Mondänes – solange man nicht spanisch kann und daher kaum weiß, dass es
lediglich „Städtchen“ heißt. Und
zudem ist der obige Workshop (Dauer: 1,5 Stunden) „auch für Anfänger
geeignet“. Na, dann kann ja nichts mehr fehlen…
Vielleicht doch! Die obige Quelle „tejastango“ weiß noch
von einer Menge verschiedener Tangostile zu berichten:
Milonguero-Style Tango
Club-Style Tango
Orillero-Style Tango
Canyengue
Nuevo Tango
Fantasia
Tango Escenario
Nuevo Milonguero
Liquid Tango
Hurra, Material für “Workshops” ohne Ende! Dazu kommt,
dass es ja auch in Ingolstadt interessante Bezirke gibt – vielleicht etabliert
sich dort fürderhin mal ein „Estilo
Piusviertel“, geprägt von den osteuropäischen Einwanderern mit
Negationshintergrund (oder in Augsburg ein „Estilo
del Barrio Bismarck“)…
Motto: „Lach nüch,
sonst hol isch meine Brüdä!"
Bis dahin sollten wir uns einmal die Worte des alten
Milonguero und Showtänzers Carlos
Copello aus einem Fernsehinterview zu Gemüte führen:
„Und sie starten
allen Ernstes mit dem ‚Villa Urquiza-Stil’. Ich möchte mal wissen, ob jemand
von Ihnen den ‚Villa Urquiza-Stil’ kennt? Ich bin sicher, keiner weiß, was das
ist! Weil Portalea nicht tanzte wie Perita, Perita nicht wie Turco José oder
Francisquito oder Milonguita oder Fino. Keiner tanzte wie der andere! Oder
Lampazo! Schaut euch eine Reihe von Videos an – worüber redet man da überhaupt?
‚Villa Urquiza-Stil'? Ganz ehrlich: Da bin ich persönlich ratlos, glauben Sie
mir!
(…)
Nein, ich habe
meinen Stil, meine Art. Das ist mein Tango. Ich weiß nicht, ob er ganz toll
ist, ganz schlecht oder Mittelmaß. Und mich kümmert es nicht, es
herauszufinden. Ich weiß, was ich fühle, wenn ich tanze, und ich weiß, was ich
tue. Das war’s dann schon, verstehen Sie? Jeder muss sich in seine eigene Art
hineinfühlen – und hört auf mit dem Quatsch wie dem ‘Villa Urquiza-Stil’!
Vergesst es!
(…)
„Jeder von uns hat seinen Stil.Und
ich mag die Leute, die einen persönlichen Stil haben, einen individuellen Stil
für alles. In ihrer Aufmachung, ihrem Tanz, in allem, ganz egal, was sie tun.
(...) Persönlichkeit, das ist es!"
Seniorentango! Wo bleiben de Rollatoren zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichst? Ach so, das sind die Damen ...
AntwortenLöschenWorauf sollen sich Männer stützen, wenn nicht auf die Frauen?
Löschenoh ja, und wie , bitte , kommen diese alten Säcke zu so jungen Frauen? auf Französisch nennt man das wohl eine " Amour Fou"...ansonsten bin ich ganz und gar Peters Meinung...
AntwortenLöschenHuch, der Altersunterschied ist mir bei dem Video gar nicht aufgefallen!
LöschenAber vielleicht bin ich beim Thema "alte Säcke" auch nicht ganz objektiv...