Männer gesucht!
Unter
diesem Titel beleuchtet der US-amerikanische Tangoveranstalter Don Rosenberg ein altbekanntes Thema:
Üblicherweise gibt es auf Milongas eher das, was wir politisch korrekt
inzwischen „Männermangel“ statt „Frauenüberschuss“ nennen. Besonders schlimm
sei dies bei geschlossenen Events, wenn Anmeldungen alleiniger Frauen erfolglos
blieben.
In
unserem Kulturkreis jedenfalls bekäme man Männer schwerer aufs Parkett als Frauen. Da hat er zweifellos recht: Nach einer Umfrage tanzen nur 47 Prozent aller deutschen Männer gern, während es bei den Frauen an die 80 Prozent sind. Tragischerweise finden (nach einer Studie der
Online-Partnervermittlung ElitePartner.de) aber 87 Prozent der deutschen Damen
Männer, die tanzen können, besonders
attraktiv.
Das
kann nicht gut gehen.
Der
Autor Rosenberg sieht den
Lösungsansatz darin, es den Herren im Tango angenehmer zu machen, auf dass mehr
von ihnen kämen und vor allem blieben.
Seine Vorschläge hierzu sind vernünftig, brav und manchmal etwas lustig:
Der
Anfängerunterricht solle einfacher sein und mehr Spaß machen. Nicht viele Figuren kennzeichneten einen guten
Tänzer, sondern Basics wie Technik und Musikverständnis. Völlig richtig – nur fürchte
ich, die Betonung letzterer Fähigkeiten wird noch mehr Männer vertreiben! Nicht
umsonst (im wörtlichen Sinne) verkaufen viele Tangolehrer lieber Schritte…
Man
dürfe die empfindlichen Wesen mit dem Y-Chromosom keinesfalls entmutigen, indem man ihnen erzähle, wie schrecklich sie sich verhielten.
Rosenberg schildert hier ein eigenes Erlebnis: Beim Besuch einer fremden
Tangoszene habe er brav viele Frauen aufgefordert und sein Bestes gegeben. Bis
ihn dann ein „feuriger Rotschopf“ wegen seines „unhöflichen Verhaltens“ anranzte:
Er habe keinen Cabeceo verwendet…
Statt
den Partner zu kritisieren, sollten die Damen beobachtete Defizite lieber
dessen Tangoehrer stecken. Na,
hoffentlich kriegt der Männe das nicht mit!
Lokale
Szenen müssten an der Verbesserung ihrer
Willkommenskultur arbeiten, hier läge noch vieles im Argen. Finde ich auch –
nur ob dann des Schreibers Vorschlag, neue Gäste gleich mit einem Flyer der örtlichen Tanzregeln zu
versorgen, so anheimelnd wirkt? Ich jedenfalls würde in diesem Moment die
Flucht ergreifen!
Anfängern
gegenüber hätten Frauen den „Tango-Engel“
zu geben, also statt zu kritisieren all ihr Potenzial einzusetzen, auf dass der
Tanz gelinge – notfalls (!) sogar in einer offenen Umarmung.
In
den Kursen sei darauf zu achten, weniger Begabte nicht „abzuhängen“ –
die mit schnellerem Lerntempo könnten ja mit den anderen üben. Prima – nur dürfte
diese Erkenntnis für viele Tangolehrer einen revolutionären Eingriff in ihren
geliebten Frontalunterricht darstellen. Ob sich das durchsetzt?
Von
reinen Männerkursen sei jedoch
abzuraten: Die Kerle fühlten sich unbehaglich, wenn sie mit Ihresgleichen
tanzen müssten. Na eben – der Tango muss frei von Perversionen bleiben!
Stattdessen
solle man den Herren 20 Minuten vor Beginn der Milonga eine Kurzeinführung angedeihen lassen: Wie werde ich ein besserer Führender?
Neben technischen Tipps und der Beantwortung von Fragen seien Anmerkungen zur
persönlichen Hygiene sowie zum Cabeceo vorteilhaft. Und das Schönste:
Denjenigen Männern, welche sich dieser Unterrichtung aussetzten, könne die
Hälfte des Eintrittspreises erlassen werden!
Hier
endet der Artikel, bevor er zum reinen Kabarett verkommt. Der Originaltext zum
Nachlesen:
http://tangonorthamerica.com/tango-talk/men-wanted/
(Wobei ich mich ungern in die brodelnde Erotik des Titelfotos begeben würde...)
(Wobei ich mich ungern in die brodelnde Erotik des Titelfotos begeben würde...)
Ohne Zweifel: Der Artikel ist sicherlich gut gemeint, obwohl er mich in seinem
Traktätchenstil schon ein wenig an den “Readers Digest” meiner Jugendzeit
erinnert. Daher habe ich das „Geschlechterverhältnis im Tanz“ noch ein wenig
weiter recherchiert und mir dabei politisch
unkorrekte Gedanken gemacht:
Mag ja sein, dass in anderen Kulturen vorwiegend die Männer mit
Knochen im Haar ums Lagerfeuer tanzen (was ja, wie bei Encuentros, eher
kultische Bedeutung hat): In unserer Zivilisation jedoch kommt auf zwei Frauen, die tanzen wollen, ein Mann, welcher hierfür zur Verfügung
steht. Ob dies nun eine genetische oder anerzogene Disposition darstellt, ist
eine müßige Frage, solange diese Diskrepanz ziemlich unverändert fortdauert.
Vielleicht stecken als Ursache doch die bösen Sexualhormone dahinter: Harmonie (mit dem Partner und der
Musik) scheint halt eher eine weibliche Tugend zu sein, während Männer primär auf
Konkurrenz sowie Kampf gepolt sind und daher tendenziell
Sportarten wie Fußball attraktiv finden.
Tanzen ist eben „schwul“. Und wenn, brauchen sie – nicht nur beim Abseits – feste Regeln: Kein Wunder, dass unter
den Hardcore-Verfechtern traditioneller Códigos eindeutig das männliche Geschlecht
dominiert.
Aber es kommt noch schlimmer: Ein Drittel der tanzgeneigten Männer
gibt zu, dass es ausschließlich das Parkett betritt, um Frauen kennenzulernen. Körperliche Nähe lediglich zum Kuscheln
ist Weiberkram, da für die Männer ein unauflösliches Dilemma: Anfassen ohne Sex – ja, wie jetzt?
Zudem ist ja beim traditionellen Tango (anders als in der Disco) zumindest
offiziell „Gockeln unerwünscht“ –
für die männliche Motivation ein absolutes No-Go… Kein Wunder, dass vor allem diese Tangovariante eher für Herren mit altersmäßig sinkendem Testosteronspiegel attraktiv ist.
Weiterhin sollte man sich einmal genauer überlegen, was Frauen vorschwebt, wenn sie
angeben, gerne tanzen zu wollen: Öfters
(und das erlebe ich auf dem Parkett) besteht die Sehnsucht, von einem toll
tanzenden „Traumprinzen“ herumgeschwenkt zu werden. Sobald man den Focus auf
die eigene weibliche Kompetenz sowie
den hierzu beim Tango erforderlichen Übungsaufwand
richtet, lässt die Begeisterung drastisch nach.
„Wenn du so weiter
tanzt, wirst du kaum aufgefordert.“ Wer soll manchen Damen diese
schrecklich nüchterne, jedoch notwendige Wahrheit
verkünden? Ich fürchte, hier kommen Tangolehrer
nicht darum herum, für das bezahlte Geld auch einen unangenehmen Job zu verrichten.
Die weitere Entwicklung ist sonst vorprogrammiert: Von höchster Verzückung zu
tiefstem Frust und schließlich Abgang
aus der Szene nach etlichen vertanen Monaten oder Jahren. Dass ebenso begabten
männlichen Dödeln dies erspart bleibt, liegt an der Ungerechtigkeit der Welt…
Eine für die Damenwelt vielleicht nützliche Studie: Das
Team um den Evolutionsforscher Kristofer
McCarty
von der Northumbria University im britischen Newcastle ließ 39 Frauen vor der
Kamera zu einem einfachen Beat tanzen. Sie erfassten mithilfe reflektierender
Marken die Bewegungen des Körpers und der Gelenke. Auf Basis der
aufgezeichneten Daten animierten sie am Computer virtuelle Charaktere,
sogenannte Avatare. Zirka 200 Testkandidaten sollten diese bewerten.
Und nun das Gegenteil:
Abschließend (und dazu passend) habe ich noch ein für
unsere Traditionsfreunde ganz
schlechtes wissenschaftliches Ergebnis:
Der britische Psychologe Peter Lovatt („Dr. Dance“) und sein Team beobachteten die Tanzfläche und holten
Tänzer zu sich für einen Soloauftritt: Die Jungs tanzten 30 Sekunden in einem
Nebenraum vor einer Kamera - und einem kreischenden Mädchenmob. Danach ging es
mit den Videos zurück ins Labor. Lovatt legte einen Unschärfefilter über die
Filme, so dass die Tänzer nur noch als Silhouette zu sehen, nur ihre Bewegungen
zu erkennen waren. Diese Filme zeigte er Studentinnen. Sie wurden zur Jury und
gaben ihre Wertungen ab, auf einer fünfstufigen Skala von „sehr
attraktiv" bis „sehr unattraktiv".
Das Ergebnis: Die
Jungs mit dem höchsten Testosteronspiegel begeisterten die Studentinnen am
meisten, die mit niedrigem Spiegel am wenigsten. „Männer können ihren
Testosteronspiegel mitteilen, indem sie tanzen. Frauen verstehen das - ohne es
zu merken", sagt Lovatt. Die Männer, die Studentinnen in Wallung brachten,
tanzten mit recht großen Bewegungen, die sie immer wieder kunstvoll variierten.
Der Grat ist jedoch schmal: Wer große Bewegungen macht, die aber nicht
geschmeidig zu koordinieren weiß, kommt als dominanter Platzhirsch rüber - und
wird kaum Frauenherzen erobern. Die Größe der Bewegungen und die Komplexität
des Tanzes nahmen mit dem Testosteronspiegel ab.
Zur geringen
Attraktivität primitiv tanzender Männer sagt Lovatt:
„Frauen
mögen es eben nicht gern klein und einfach."
Schließlich sind gute Tänzer ja auch gute Liebhaber. Dies ist zwar
wissenschaftlich nicht erwiesen – wohl aber, dass es die Mehrzahl der Frauen
glaubt.
Und das ist ja
entscheidend, oder?
P.S.
Weitere Quellen:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/tanzen-so-gelingt-der-perfekte-tanz-a-1133835.html
Siehe dazu "Warum Männer nicht tanzen
AntwortenLöschen(können, wollen, dürfen, sollen, müssen)":
http://newsletter.peter-ripota.de/newsletter/4043.htm
P.S. Woher kannten die Experimentatoren den Testosterongehalt und wie haben sie ihn gemessen?
Siehe: http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/tanzforscher-klaert-auf-wer-rockt-das-parkett-dr-dance-a-671580.html
LöschenDas sind doch aber alles Dinge die für jeden Tanz gelten. Wobei man da den Alterswandel im Musikhören beachten sollte. Junge Leute wollen Action in der Musik, heisst auch Bass oder Perkussion, was manche auch im verlinkten Artikel geschrieben haben. Milongas in BA bringen das mit wobei da auch die Lautstärke eine Rolle spielt. Kaffeehausgesäusel schreckt die Jungen eher ab. Der Musik selber tut man da oft unrecht, eher die Darbietung derselben tut einiges dazu. Die alte Musik, auch neuaufgelegt, kann schon mitnehmen aber nicht bei Zimmerlautstärke auf der Tanzfläche. Mit den Jungen kommt der Nachzug, ohne irgendwann nur zu Tanzteeveranstaltungen
AntwortenLöschenBernd Corvers
Ja, klar – ich wende mich stets dagegen, Tango argentino nun als die „große Ausnahmeerscheinung“ im Paartanz zu sehen.
LöschenAnsonsten war das Thema meines Artikels eigentlich ein anderes…
Trotzdem: Natürlich verliert man den Nachwuchs, wenn man auf zeitgenössische Einspielungen verzichtet. Daher habe ich ja bislang 31 Playlists mit Anregungen hierzu veröffentlicht!
Ob es an der zu geringen Lautstärke liegt? Die scheint mir ein vergleichsweise nachrangiges Problem zu sein…
Aber inwiefern tragen Milongas in BA zur „Action“ bei? Nach vielen Berichten scheint doch eher das Gegenteil der Fall zu sein, oder?
Beste Grüße
Gerhard Riedl
... also 2015 hab ich in Buenos Aires bei der Maldita Milonga das Orchesta Típica El Afronte erlebt. Das war nicht gerade das Gegenteil von action, weder musikalisch noch auf der Tanzfläche. Altersdurchschnitt der Besucher deutlich unter 30.
LöschenViele Grüße
Bernhard Grupp, Rosenheim
Na prima, das lese ich mit Freude! Hierzulande hört man meistens, auf Milongas in BA würden fast ausschließlich EDO-Aufnahmen von vor 1960 aufgelegt.
LöschenDanke für die Information und beste Grüße!
Gerhard Riedl
Der Nachwuchs bringt die Männer mit. Ich meine noch nicht einmal zeitgenössische Aufnahmen, sondern Sexteto Milonguero oder Orquesta Típica Misteriosa Buenos Aires .... EDO neu eingespielt. Füsse zu animieren um sich zu bewegen dazu gehört der Sound, gerade um Junge Leute für den Tango zu begeistern. Wenn man fragt gehen viele nicht zum Tango wegen der Musik, da muss man den Hebel ansetzen.
AntwortenLöschenBernd Corvers
Ich hatte schon die heutigen Einspielungen von EDO-Titeln durch moderne Orchester gemeint. Dafür werbe ich nun öffentlich seit mindestens 8 Jahren. Leider hört man diese Musik nur auf wenigen Milongas hierzulande.
LöschenDer Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
AntwortenLöschenLieber Kommentator,
Löschendanke für den Beitrag, doch gilt auch für Sie: Ich möchte den vollen Namen! Wenn Sie mir den noch nennen (ggf. auch per Mail), stelle ich den Text gerne wieder ein!
Lieber Gerhard,
AntwortenLöscheninteressanter Artikel... Vor allem die Videos mit dem Bewegungsmuster.
Ob das alles irgend etwas bringt auf der Suche nach den "Tango-Männern"? Ich sage: NEIN.
Unlängst war hier ein Neo-Tango-Event. Ich sah....keine jungen Leute. Drei Tage später, DIE EdO-Milonga hier: alle da. (die jungen Tangueros/Tangueras sind hier leider überschaubar)
Würde also gerade nicht für die Theorie sprechen, dass jüngere Leute nur auf jüngere Einspielungen anspringen.
Wenn ich früher unglücklich verliebt meiner Omi mein Herz ausschüttete, dann pflegte sie für gewöhnlich zu sagen:
"An Hund, den wost af'd Jagd drogn muast, der daugt nix."
(für die Norddeutschen Leser: Einen Hund, der zur Jagd getragen werden muss, der taugt nichts.)
SO sehe ich das mit den Tango-Männern.
Man kann noch so sehr versuchen, den Männern die Atmosphäre so angenehm wie möglich zu machen. Wer nicht wirklich aus seinem Herzen heraus Tango tanzen will, der wird im Tango nicht glücklich und macht auch keine Tanzpartnerin glücklich. Das Einzige, was dabei vielleicht steigt ist der Anteil der Männer, die nach ein paar gelernten Schritten und Figuren auf den "Kuschelzug" aufspringen.
Oder anders, aus dem prallen Leben:
Eine Bekannte hat zu ihren Kursen einen Tanzpartner. Auf der Milonga oder der Practica wird er nie gesichtet. Die Bekannte mal drauf angesprochen meinte, er hätte irgendwie immer "was anderes vor". Von der Bücherlesung über Kinobesuch zum Jahrmarkt oder dem Museumsbesuch.
Jetzt denkt man, na ja, vielleicht liegt es an der Frau...sie vermittelt keine "angenehme Atmosphäre".
Sie ist eine gute Tänzerin, geht regelmäßig auf Milongas, ist nett, schlank UND gutaussehend.
Jetzt die ultimative Frage:
Wie angenehm muss eigentlich ANGENEHM noch sein?
;-)
Liebe Grüße in den Süden!
Sandra
Liebe Sandra,
Löschenum die Altersfrage ging es mir bei dem Artikel nicht.
Dennoch: Das Segment „junger Menschen“ (also bis maximal 35 Jahre) fehlt beim Tango fast gänzlich. „Tango argentino“ hat bei diesen das Image „Rentnertanz“ - geprägt von der dominierenden historischen Musik. Dass es auch moderne Aufnahmen gibt (und man dazu tanzen kann) ist in der Fläche weitgehend unbekannt.
Aber nun zum Thema: Mehr Männer zum Tango zu locken bringt wohl nichts – wenn, dann kommen die Falschen, das hast Du ja eindrucksvoll beschrieben. Mein politisch unkorrekter Lösungsansatz lautete ja eher „mehr Frauen vom Tango fernhalten“…
Zu Deiner Geschichte: „Nett, schlank UND gut aussehend“ – für mich persönlich ist das sicher erfreulich, aber entscheidend dafür, wie gerne ich mit einer Frau tanze, ist was anderes: Es muss der berühmte „Funke“ überspringen, das Gefühl, dass es auf der Welt (in den nächsten zehn Minuten) nichts Wichtigeres gibt als genau mit diesem Partner zu tanzen. Eine Emotionalität, die schwer mit Worten zu beschreiben ist – der Begriff „angenehm“ scheint mir aber zu schwach.
Aber glücklicherweise gibt es ja Tänzer, welche das ganz anders sehen…
Liebe Grüße
Gerhard
Lieber Gerhard,
AntwortenLöschenich bezog mich ja vor allem auf den Lösungsansatz von Rosenberg, den Männern den Tango "angenehmer" zu machen.
Und bei welchem Mann der Funke schon mal springt - so wie Du es von Dir beschreibst und egal, in welcher Intensität oder ob nun genau mit der großen Schlanken da oder lieber mit der kleinen Korpulenten - den hat der Tango doch schon gefangen. Und um diese Männer geht es ja wohl nicht.
Liebe Grüße
Sandra
Ja, genau - und die anderen, ob Männer oder Frauen - brauch ich persönlich beim Tango eigentlich nicht!
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