Echters Werte
Authentizität (von
gr. αὐθεντικός authentikós „echt“; spätlateinisch authenticus „verbürgt,
zuverlässig“) bedeutet Echtheit im Sinne von „als Original befunden“. (…) Als
authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte der Wahrnehmung,
unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden.
Im
Netz wirbt derzeit wieder einmal ein argentinisches Tangopaar für seine
Tangokurse in München. Zusätzlich zum Herkunftsland wird natürlich ein Begriff
verwendet, welcher marketingmäßig kaum zu übertreffen ist: „Authentischer Tango Argentino“.
Seltsamerweise
wird das Vorhaben in englischer Sprache beschrieben – will man damit Kunden
ausschließen, welche keiner Fremdsprache mächtig sind? Wäre dann aber Spanisch
nicht authentischer gewesen? Zur Beruhigung: Die Kenntnis des Textes bringt
einen nicht wirklich weiter – irgendwas mit Technik, Eleganz und Dynamik inklusive
Boleos, Sacadas, tralala…
Zu
den Unterrichtsinhalten hält man
sich auch auf der eigenen Website eher bedeckt; mehr als einige Stichworte gibt
es nicht:
„Gewichtswechsel,
Körperhaltung, Grundschritte, Kreuz-system, das Kreuz. Vertiefung von
Musikalität, Arbeit an Sacadas, Ganchos und Boleos. Milonga und Valz“
(Da
muss ich meine Spanischkenntnisse noch verbessern – ich dachte immer, der
Tango-Dreivierteltakter schriebe sich „Vals“…
Das kommt halt davon, wenn es einem an Authentizität gebricht!)
Dafür
auch hier wieder:
« TANGO ARGENTINO, AUTHENTISCH,
AUS BUENOS AIRES »
Als Beleg die übliche Aufzählung einiger Tangolehrer, die Anfang der
80-er Jahre den Tango wieder zum Leben erweckten – zumeist eher Bühnentänzer.
Aus dieser Quelle kommt ja auch – wie schon beschrieben – der „Grundschritt“
für die Gringos.
Zur eigenen Lehrbefähigung erfahren wir: „Leonel und Natalia
werden gerne Ihre persönliche Tangoreise mit individueller Herangehensweise,
starker Didaktik und einem südamerikanischem Gemüt unterstützen.“
Ich gestehe: „Südamerikanisches Gemüt" gefällt mir als Kabarett-Fan außerordentlich - wobei ich den Tango eher mit „sudetendeutscher Finesse" interpretiere...
Ich frage mich nur, wieso sie es dann nötig haben, diesen
wolkigen Echtsheitskäse zu verbreiten, anstatt lieber konkretere Angaben zu
ihrem Unterrichtsprogramm und der Methodik zu liefern!
Der
Duden erklärt den Begriff „authentisch“ wie folgt:
„echt; den Tatsachen
entsprechend und daher glaubwürdig“
Als Synonyme werden vorgeschlagen:
„beglaubigt, belegt,
dokumentiert, echt, gesichert, glaubwürdig, sicher, ungeschönt, unverfälscht,
verbürgt, verlässlich, wahr, zuverlässig“
Wie
aus dem Eingangszitat hervorgeht, müsste aber schon mal ein Original vorliegen, an dem sich die
Echtheit des Gebotenen bemisst. Nur – wo und wann bitte? Heutzutage in Buenos
Aires, und wenn ja, auf welchen Veranstaltungen bzw. auf welche Tänzer bezogen?
Und falls früher: Zu welcher Zeit, an welchem Ort, welcher Tangostil ist
gemeint (der ja, wie wir inzwischen von „Villa
Urquiza“ wissen, schon je nach Stadtteil variierte)?
Eine solche Performance könnte man heute höchstens noch
als Parodie auf die Bretter legen –
und warum? Ah ja, der Tangotanz hat sich weiterentwickelt… Und daher ist ein Storch
halt kein „authentischer Archaeopteryx“, wenngleich dieser Urvogel beweist,
dass die Dinosaurier nicht ausgestorben sind – aber wer wüsste das besser als
wir Tangoleute?
Ich habe einmal gegoogelt, ob dieses Echtheitsgedudel auch
bei anderen Tänzen vorkommt:
weitestgehend Fehlanzeige! Einen authentischen Rumbatanz habe ich nicht
entdeckt – und gibt man „authentischer
Quickstep“ ein, landet man da:
Authentisch ist eher das Material des Tanzbodens als das,
was sich darauf abspielt!
Sucht man gar nach „authentischem
Tanz“ generell, wird es ziemlich esoterisch: Die Tanzweise müsse zur „wahren
Persönlichkeit“ passen. So wird eher ein Schuh draus: Unser argentinisches
Meisterpaar tanzt hoffentlich so, wie es innerlich gestrickt ist. Und nur so
als Tipp für den Unterricht: Dies sollte man dann aber nicht als Schablone auf
die Schüler pressen – wahrscheinlich sind die nämlich ebenfalls individuelle
Wesen!
Kein Zweifel – das klebrige Bonbon mit der „Authentizität“ wird weiterhin am Tango haften wie die Storckschen Kalorienbomben an der Plombe. Immerhin ist hier aber die Werbung mit der Echtheit nachvollziehbar: Der Opa macht’s mit dem Enkel ebenso wie der eigene Großvater sintemalen mit ihm:
P.S.
Gerade fand ich eine Quelle, nach der es eine ähnliche Diskussion schon vor gut
100 Jahren gab: Der „echte“ Tango habe von 1880 bis 1910 existiert, danach nur
noch der „unechte“.
Man
verstand darunter den Gegensatz zwischen dem Tango der Vorstadt, der einfachen
Argentinier, und dem in den vornehmen Cabarets des Zentrums , welche stark vom
französischen Einfluss geprägt waren.
Man
habe die Musik, den Tanz und die Texte „französisiert“: Die kurzen, pointierten
Schritte wie im ländlichen Messerkampf seien langem, melodischem Geschleiche
gewichen (da man in den mondänen Cabarets auch mehr Platz habe als in den
Eckkneipen), die Texte handelten nicht mehr vom sozialen Elend, sondern seien
romantisch verkitscht. Die Musik entstehe nicht mehr spontan und improvisiert,
sondern stamme von studierten Komponisten.
Ach herrje, "Product Placement" wo man nur hinliest ;-)
AntwortenLöschenUnd so dreht sich die Ronda eben weiter :-)
Es ist immer die gleiche Generationen Diskussion...
Und dies ist auch gut so, und sind die vermeintlichen "Erziehungsberechtigten" allzu herrisch, dann wird eben mit den Füßen entschieden und Nischen gesucht, es dreht sich, es dreht sich.... ;-)
Genau: "Panta rhei" - wusste schon Heraklit. "Alles fließt", bis auf die Ronda...
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