Ich mach vor
Immer wieder bin ich tief beeindruckt, wenn mir von Experten beschrieben wird, welche neue Wege der Tangounterricht heute geht. Selbstverständlich seien die Zeiten längst vorbei, in denen dem Publikum neue Figuren nach dem Motto „ich mach vor, ihr macht nach“ eingebläut würden.
Bei dem, was man denn heute stattdessen unterrichte, wird es meist eher unscharf: Na ja, Basics halt, Improvisation, gegenseitiges Erfühlen, Körperarbeit, Musikalität… ihr wisst schon!
Lassen wir uns das doch von einem Lehrer – sorry: „Tango Coach“ – zeigen, der laut eigener Beschreibung „Training, Choreografie, Casting, Beratung, Sessions für Tänzer, Gruppen & Firmen“ betreibt. Unter anderem trug er die tänzerische Verantwortung für den bekannten Film „Tanze Tango mit mir“.
Auch diese Produktion habe ich schon besprochen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/03/herr-lehmann-und-der-tango.html
Ohne Zweifel also ein Großer seines Gewerbes. Und berückend schön ist er auch noch.
Per Zufall geriet ich an ein Video, das die Zusammenfassung eines kürzlich stattgefundenen „Berlin Tango Workout“ zeigt.
Der Tangolehrer führt dabei – zusammen mit einer stummen Partnerin – in etwa vier Minuten ohne Pause eine beachtliche Vielzahl von „Figuren“ vor – natürlich ohne Musik. Dafür redet er unaufhörlich, und zum besseren Verständnis in Inglisch:
https://www.facebook.com/reel/744317738406380
Das Publikum besteht nicht etwa aus Darstellern für eine Film- oder Bühnenproduktion, die eine Choreografie zu lernen haben, sondern offenbar aus Laien, also in einen normalen Kurs. Überflüssiger Weise filmen einige das Ganze per Smartphone (heute beim Tango so unverzichtbar wie Stilettos).
Um einmal ganz vorsichtig zu fragen: Sollen die wirklich den ganzen Rotz auswendig lernen? Und wenn ja, zu welcher Musik?
Ich will nun nicht behaupten, ein solcher Unterricht sei nutzlos – es ist weit schlimmer: Die Schülerinnen und Schüler lernen Tango als eine Abfolge von „Figuren“ kennen, die man zu lernen habe. Und zwar alle dieselben. Individuelle Bewegungsmuster, eigene Kreativität, persönlicher Umgang mit der Musik? Das sollte man nicht nur vergessen – sondern möglichst gar nicht erst dran denken!
Der Kern des üblichen Tangounterrichts besteht wohl nach wie vor darin, anderen etwas vorzumachen…
Mir ist klar, dass sich bei solchen Einschätzungen Widerspruch erheben wird: Der Betreffende sei tatsächlich ein toller Lehrer. Ich bestreite keineswegs, dass er selber ein sehr guter Tänzer ist. Was mich aber viel mehr interessieren würde: Was kann er den Lernenden vermitteln? Wie die dann am Ende des Unterrichts tanzen, wird nur äußerst selten gezeigt. Man wird wissen, warum…
Aber klar: Alle sollen den Unterricht nehmen, von dem sie überzeugt sind. Und man darf hinterher begeistert sein. Aber vielleicht sollte man auch selbstkritisch überlegen, ob man danach wirklich das Gefühl hat, besser zu tanzen.
Dann wäre ja alles in Ordnung.
P.S. Was mich am Video wirklich schwer beeindruckt hat, war der weiße Gürtel des Vorführenden. Er erinnerte mich an einen meiner Lieblingswitze:
Ein Sportwagen hält mit quietschenden Reifen vor dem Gasthaus eines kleinen Dorfes. Die beiden Insassen steigen aus, und der Fahrer fragt drinnen den Wirt: „Sagen Sie mal, gibt es in Ihrem Dorf einen großen schwarzen Hund mit einem weißen Halsband?“ Der Angesprochene verneint. „Oder eine große schwarze Katze mit einem weißen Halsband?“ Auch das nicht. Die beiden bedanken sich, und im Hinausgehen sagt der Fahrer zu seinem Begleiter: „Dann haben wir wohl doch den Pfarrer überfahren.“
Und jetzt mit weißen Schuhen – und immerhin zu modernen Klängen:
https://www.youtube.com/watch?v=LWnRRQhYtPM
Wieder so ein „Riedl“: Unterricht abwerten, den man nur aus einer vierminütigen Facebook-Zusammenfassung kennt. Dass genau diese Methode – Bewegungen analysieren, fühlen, übertragen – seit Jahrzehnten Tänzer:innen erfolgreich macht, ignoriert er geflissentlich. Stattdessen: modische Haarspalterei über weiße Accessoires und ein Herrenwitz, der schon in den 70ern schal war. Kurz: riedl’n – fachlich flach, humoristisch flacher.
AntwortenLöschenBernd Hoffman
Ich habe den Unterricht nicht abgewertet, sondern ein Video besprochen. Und da muss sich halt jeder gut überlegen, was er ins Netz stellt. Habe ich auch lernen müssen.
LöschenUnd, na ja, der tänzerische Erfolg im Tango… da gibt es sicherlich mindestens zwei Meinungen!
Was ein „Herrenwitz“ ist, erkläre ich Ihnen später mal.
Immerhin hat Sie meine flache Schreibe angeregt, den Text zu lesen und sich sogar noch einen Kommentar abzuringen. Damit bin ich durchaus zufrieden.