Herr Lehmann und der Tango
Frank Lehmann (Michael A. Grimm) hat es wahrlich nicht leicht: Nach 30 Jahren bei einer Bank wurde er dort durch einen Algorithmus ersetzt und hält sich nun mit Hausmeister-Jobs über Wasser. Im trauten Heim setzen dem linkisch-tapsigen Helden gleich drei Frauen zu: seine nörgelnde Gattin (Eva Meckbach), die maulige Tochter (Lilith Kampffmeyer) und die frustrierte Schwiegermutter (Gaby Dohm). Zänkische Weiber, Adipositas und Bluthochdruck nageln ihn schließlich per verdientem Herzinfarkt auf die Bretter: In Zukunft also bitte keine Anstrengung, keinen Sex und auch sonst strenge Diät!
Wie es Schicksal und Drehbuchautoren wollen, verirrt sich Frank aber in eine Tangoschule (der Münchner „Schlachthof“ plus angepapptem Schild: „Tango Baviera“) und wird dort von der argentinisch-gestrengen Lehrerin (Kara Wenham) einer tangotypischen Klischee-Erstversorgung zugeführt: „Tango können alle – es gibt nur vier Schritte: vor, zuruck, regts, lings. Wichtig ist: Du fuhrst als Mann die Frau – der Mann ist wie ein König, und die Frau die Königin.“
Momentan, so die Expertin, laufe er aber noch wie ein „Pichón“ (junges Täubchen), was Frank daheim googelt und darob beleidigt ist. Persönlich läge mir der Vergleich mit einem Walross näher.
Natürlich versucht unser Held zunächst, seine Tangoaktivitäten vor der Familie geheim zu halten. Als er doch auffliegt, weil er Schwiegermama plus Schwimmnudel nicht wie sonst zweimal wöchentlich ins Hallenbad chauffiert hat, trifft er auf das erwartete Unverständnis. Schließlich schmeißt ihn seine Gattin sogar aus der Wohnung, weil sich die Klassenlehrerin der Tochter als vertraute Tanguera entpuppt und ihn in offener Sprechstunde abküsst. Auch seine Midlife-Crisis-Spezln (Christian Baumann und das großartige Söder-Double Stephan Zinner) sind ihm keine wirkliche Hilfe.
Doch der Tango übt seine wohltuende Wirkung aus: Franks Blutdruck und Körpergewicht sinken, sein Selbstbewusstsein steigt, was natürlich der beknackte Kardiologe nicht einsehen will.
In diesen Teilen stellt der Film eine wirklich interessante Charakterstudie dar, die vor allem von den schauspielerischen Fähigkeiten des Hauptdarstellers lebt. Dem Regisseur (Filippos Tsitos) gelingen oft (an)sprechende Bilder, die mehr sagen als die Dialoge.
Aber da wäre ja noch der Tango:
Was Sven Elze da per „Fachberatung Tango“ für ein Disneyland zusammengeschustert hat, müssen er und andere vor ihrem Gewissen verantworten. Es wurde wirklich kaum ein Klischee ausgelassen! Glücklicherweise kann die gelackte und blasierte Münchner Tango-Statisteria weitgehend sich selbst spielen, was durchaus kabarettistische Qualität hat: Unrasierte junge Männer in Schlaghosen vollführen mit schwarzhaarigen Mägdelein im Flatterröckchen ein exquisites Füßchenspiel und befleißigen sich des Cabeceos. Und der arme Esequiel Maiolo muss mal wieder den testosteron-triefenden Quoten-Argentinier geben. Nun gut, es ist Corona und er braucht das Geld…
Wer wirklich schon mal im echten Münchner „Schlachthof“ getanzt hat, ahnt den Abstand zwischen derlei Darbietungen und dem realen Elend auf dem Parkett. Das gilt auch für die Musik: Statt zum üblichen Gewimmer aus goldigen Tangozeiten wird hier zu modernen Interpretationen getanzt, welche die großartige Gruppe „Bandonegro“ und José van der Schoot teilweise live einspielen dürfen. Und Herr Lehman vollführt mit seiner Tangolehrerin sogar einen Neotango. Ja, so könnte Tango Spaß machen! Aber wir sind ja in München.
Apropos: Es muss für Michael A. Grimm eine Herkulesaufgabe gewesen sein, die Verwandlung vom Wackelpudding zum Tangostar tänzerisch einigermaßen vorzugeben. Mit Hilfe vieler Schnitte gelingt das leidlich. Nach eigenen Angaben hat er heftig dafür trainiert. In früheren Zeiten gab es allerdings Schauspieler, die wirklich tanzen und sogar singen konnten…
Ich darf aber feststellen: In
der Tango-Wirklichkeit hätte ein Mann mit seinem Aussehen, Körpergewicht und
seiner Tanzbegabung keinerlei Chance, von der Szene
anerkannt zu werden. Da müsste er nicht mal eine Frau sein. Insofern ist
die Schlusseinstellung, in der ihn nach seinem ersten Tanz auf einer Milonga
frenetisch klatschende Tangoleute umringen und herzen, wirklich reine Tango-Fiktion. In Wahrheit wäre er für seine raumgreifende Performance gedisst worden.
Einzig was Frank gegen Ende des Films seinem Arbeitskollegen über den Tango erzählt, weist Schnittmengen mit der Realität auf. Und es ist den Drehbuchautoren hoch anzurechnen, dass sich Frank nicht in seine Tangolehrerin verliebt!
Den Film „Tanze Tango mit mir“ zeigt die ARD am kommenden Mittwoch (10.3.) um 20.15 Uhr. In der Mediathek ist er bereits jetzt und bis 10.6.21 zu sehen. Ich kann ihn wirklich empfehlen – aus diversen und gegensätzlichen Gründen!
Meine Altersgenossen werden die Titel-Anspielung verstehen: „Tanze Samba mit mir“ war 1977 die Erfolgs-Nummer von Tony Holiday (Rolf Peter Knigge). Auch hier ist die Realität meilenweit von der Illusion entfernt: Der Sänger war heimlich homosexuell und starb 1990 an den Folgen von AIDS.
https://www.youtube.com/watch?v=VHCXm10wxNg
In diesem Sinne warte ich weiterhin auf einen deutschen Tangofilm, der ohne den branchenüblichen Klischee-Schmus auskommt!
P.S. Hier ein Interview mit dem Hauptdarsteller, auf das mich mein Leser Martin Derendorf hingewiesen hat. Vielen Dank!
"in diesem sinne warte ich weiterhin auf einen deutschen tangofilm, der ohne den branchenüblichen klischee-schmus auskommt!" der könnte mit sicherheit nur in deinem wohnzimmer gedreht werden!
AntwortenLöschenOh Gott, die ganzen Filmfritzen in unserer kleinen Hütte... sicher nicht!
LöschenZudem brauchen wir in Pörnbach kaum Werbung. Die überlassen wir jenen, die auf Facebook zu jedem Käse per Kommentar ihre originelle Meinung verbreiten müssen.
dann wird es nie einen angemessenen tango film geben können.
LöschenGibt es ja längst. Die Briten schafften es mit "Tango Lesson", die Franzosen mit "Man muss mich nicht lieben", die Argentinier sowieso. Nur das deutsche Fernsehen muss stets auf diese dümmlichen Klischees zurückgreifen.
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