Von der wohltuenden Nähe
Mein letzter Artikel – „Eng oder offen tanzen?“ – regte einen altgedienten Kommentator meiner Texte zu einem bemerkenswerten Beitrag auf Facebook an. Die beiden Damen, denen ich den Kommentar beim Sonntagskaffee auf der Terrasse vorlas, hatten jedenfalls viel Spaß:
„Ich verstehe deine Skepsis, aber die wissenschaftliche Forschung zum Thema Körperkontakt zeigt ziemlich eindeutig, dass Nähe und Berührung für Menschen allgemein gesundheitsfördernd wirken – unabhängig vom Geschlecht. Studien belegen, dass körperliche Nähe Stresshormone wie Cortisol senkt, das Immunsystem stärkt, die Ausschüttung von Oxytocin (dem sogenannten ‚Bindungs- oder Kuschelhormon‘) fördert und damit emotionale Stabilität, Vertrauen und soziale Verbindung unterstützt. Körperkontakt ist also keineswegs nur eine ‚männliche Erfindung‘, sondern ein tief menschliches Grundbedürfnis.
Dass manche Männer damit besondere Schwierigkeiten haben, hängt stark mit Sozialisationsmustern zusammen. In vielen Kulturen wird Jungen früh beigebracht, körperliche Zärtlichkeit oder Nähe – außer im sexuellen Kontext – zu meiden, weil das als ‚unmännlich‘ oder ‚schwach‘ gilt. Dadurch fehlt Vielen später die Erfahrung, wie wohltuend und unproblematisch nicht-sexualisierte Berührung sein kann. Gerade deshalb suchen manche Männer über Tanz, Sport oder andere Kontexte einen sicheren Rahmen, um körperliche Nähe ohne Stigmatisierung zu erleben.“
https://www.facebook.com/profile.php?id=100014360957851 (24.8.25)
Als studiertem Biologen sind mir die Zusammenhänge hinreichend bekannt – Hormone gehörten an der Uni zu meinen Lieblingsthemen. Leider musste ich im schriftlichen Zoologie-Staatsexamen dann das Kreislaufsystem der Wirbeltiere beschreiben. Na gut, man kann nicht immer gewinnen…
Daher ist mir durchaus klar, dass Nähe und Berührungen über die Oxytocin-Ausschüttung durchaus heilsame Wirkungen haben können. Aber es gibt halt auch Körperkontakte, welche das Adrenalin pushen, den Stress erhöhen, und für die sich möglicherweise sogar der Staatsanwalt interessiert. So breit ist das zwischenmenschliche Spektrum!
Ich möchte aber doch mutig die Frage stellen: Geht es beim Tango wirklich und ausschließlich um „nicht sexualisierte Berührung“? Klar, die Männer behaupten das gerne – verlassen würde ich mich darauf nicht. Und auch nicht auf den „sicheren Rahmen“. Jedenfalls nicht für die Damen.
Natürlich ist Körperkontakt keine rein „männliche Erfindung“. Bei der Hartnäckigkeit, mit der man beim Tango den Frauen beibringt, sich an die Tanzpartner kleben zu müssen, habe ich aber meine Vermutungen, von wem solche Ideen stammen. Auch wenn die Herren der Schöpfung treuherzig behaupten, das sei gesund und fördere sogar das bessere Tanzen. Denkt man dann noch an den extremen Frauenmangel zu den Tango-Gründerzeiten, sollte die Motivation klar sein! Und für weitergehende Wünsche war damals meist ein Puff nicht fern.
Da kann das Gegenteil noch so oft behauptet werden: Bei einem minimalen Körperabstand werden viele Bewegungen im Tango schwierig bis unmöglich. Für diese Erkenntnis braucht man kein abgeschlossenes Tanzstudium – das versteht sich, wie es Franz Müntefering in anderem Zusammenhang einmal ausdrückte, schon „mit Volksschule Sauerland“.
Es mag ja pervers klingen – aber ich besuche Milongas weniger zum Kuscheln als zum Tanzen. Streicheleinheiten gehören in mein privates Umfeld. Und übrigens kann vor allem Bewegung das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit fördern. Doch damit sieht es im heutigen Tango eher bescheiden aus.
Daher rate ich den Damen, nicht auf pseudomedizinischen Schmus hereinzufallen, wenn es den Kerlen eher darum geht, statt inspiriertem Tanzen Stehkuscheln zu betreiben – Motive zumindest fraglich.
Und merke: Wer lausig tanzt, freut sich über eingeschränkten Platz!
Von der Neurowissenschaftlerin Julia F. Christensen lernen wir: Bewegung macht glücklich! (Wobei in der Sendung der weibliche Modeator sofort darauf anspringt, ihr männlicher Partner dagegen den Rückwärtsgang einlegt - typisch!).
https://www.youtube.com/watch?v=23zwSlCufwg
Auf Arte gibt es dazu einen längeren Beitrag. Auch da bewegt man sich ziemlich heftig:
https://www.arte.tv/de/videos/121399-007-A/twist/
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