Dramatis Personae

 

Derzeit komme ich aus Diskussionen über den neuen Verein proTango e.V. nicht heraus. Gestern fragte mich eine Gesprächspartnerin: „Wer ist denn da alles im Vorstand?“ Eine berechtigte Frage. Anhand der Personen des Dramas sollte man doch abschätzen können, inwieweit dieser Zusammenschluss die hehren Ziele „Tangokultur“ und „Weltkulturerbe“ tatsächlich im Blick hat, ja vielleicht sogar erreichen kann.

Daher habe ich mich einmal auf die Suche gemacht. Wobei ich gerne gestehe: Ich kenne die Damen und Herren kaum persönlich. Also muss ich von dem ausgehen, was ich im Internet über sie gefunden habe. Sollte ich dabei Wesentliches übersehen habe, wäre ich für Benachrichtigungen dankbar. Aber gewisse Herrschaften sprechen ja nicht mehr mit mir…

Speziell interessiert haben mich die Fragen, inwieweit das Personal tatsächlich an der Schaffung von Tangokultur mitwirkt und wirklich den breiten Bereich vor allem der Musik repräsentiert, die ja mit dem UNESCO-Gütesiegel ausgezeichnet wurde.

Der Vorstand des Vereins besteht aus fünf Personen:

Jörg Buntenbach (1. Vorsitzender):

Er ist Herausgeber eines Tango-Online-Magazins: tango-argentino-online.com Anscheinend kann man dort bezahlte Werbung veröffentlichen. Er arbeitet seit 1993 als DJ und moderiert Radiosendungen. Soweit ich die Live-Streams verfolgt habe, bietet er dabei ein durchaus breites Musikspektrum. Vollkommen respektabel also. Klar, so einen braucht man im Verein: Er hat lange Tangoerfahrung und kennt sich in Öffentlichkeitsarbeit aus.

Letztlich sind seine und meine Tätigkeiten ein wenig vergleichbar. Ich lasse sie mir nur nicht bezahlen. Und leider spricht Buntenbach nicht mehr mit mir.

Christine Grunert (2. Vositzende):

Sie wird als zeitgenössische Tänzerin, Choreografin und Dramaturgin vorgestellt. Im Tango dagegen ist sie eher ein Neuling – erst seit 2015 hat sie ihn entdeckt. Wichtiger ist wohl, dass sie in der Redaktion der „Tangodanza“ für den Tangokalender zuständig ist. Offenbar ist sie im Verein als Gesandtin des „Herzogs“ aktiv – wie überhaupt von dieser Zeitschrift aus wohl ziemlich dicke Strippen gezogen werden.

Als Sitz des Vereins nennt die Satzung Bielefeld. Das Impressum von proTango e.V. ist adressenmäßig identisch mit dem der Tangodanza. Noch Fragen?

Isabella Bayer (Beisitzerin):

Die studierte Wirtschaftsinformatikerin und Betriebswirtin ist Chefin des Mannheimer „Tango Flores“: https://www.tango-flores.de/ Vor dem Tango hat sie sich mit einer großen Zahl anderer Tänze beschäftigt.

Auf der Website ist zu lesen, man wolle „das große kulturelle Erbe des Tangos in allen seinen Formen authentisch vermitteln und kultivieren“. Worin dieses nach Ansicht der Veranstalter besteht, was „alle seine Formen“ bedeutet und was man unter „authentischer Vermittlung“ versteht, bleibt unklar.

Wenn sie aber ihre argentinischen Lehrer aufzählt und betont, ihr Stil sei „durch die Eindrücke geprägt, die sie auf traditionellen Milongas in Buenos Aires gewonnen hat“, so wird etwas klarer, woher der Wind weht.

https://www.tango-flores.de/ueber-uns/

Amir Helalat (Beisitzer):

Dass es sich bei dem Tanzschulbesitzer um einen knochentrockenen Tango-Konservativen handelt, kann man nicht bestreiten. Seit 2012 veranstaltet er zusammen mit seiner Frau zwei Mal im Jahr ein Encuentro Milonguero („Ronda del querer“) in Kassel. Ich habe in einem Artikel darüber berichtet. Lustig finde ich, dass früher auf seiner Website eine Sammlung von Tanzvorschriften prangte. Die Seite gibt es zwar noch, jedoch ohne Text. Dies ist übrigens ein genereller Trend: Die allzu plakativen Belehrungen der Gäste hinsichtlich der „Códigos“ scheinen sich doch als abschreckend erwiesen zu haben.  Außerdem landet man dann meist auf meinem Blog:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/10/tango-im-selchkarree.html

Oliver Quick (Beisitzer):

Der studierte Medientechnik-Ingenieur ist Mitinhaber des Hamburger Tangostudios „El Abrazo“. Auch wenn die Homepage des Instituts zwei miteinander tanzende Frauen abbildet, sollte man sich nicht täuschen lassen: Dort gibt es wohl fast nur historischen Tango der üblichen Art. Aufschlussreich ist die Vorstellung der DJs, die unter anderem bekennen:

„Wir lieben es, die musikalische Vielfalt, Energie und Dynamik der ‚goldenen‘ Orchester so zu kombinieren…“

„Je länger ich die Musik der Época de Oro tanze, desto mehr berührt sie mich. Ich bin beeindruckt von der einzigartigen musikalischen Leidenschaft der damaligen Orchester. (…) Unter Berücksichtigung der orchestertypischen Charakteristika spiele ich eine tanzbare und abwechslungsreiche Auswahl und jede Menge ‚Klassiker‘ der 20er bis 50er Jahre. Ich lege ausschließlich traditionell mit Tandas und Cortinas auf und folge dabei der klassischen TT-V-TT-M-Struktur.“

Gut, was an dieser monotonen Reihenfolge „klassisch“ sein soll, müsste mir DJane Suse erstmal erklären. Aber die spricht wahrscheinlich auch nicht mit mir…

Oliver Quick selber bekennt:

„Ich bin ganz dem traditionellen Tango verfallen. Seine Tiefe, sein musikalischer Reichtum und seine Tanzkraft überraschen und faszinieren mich jedes Mal wieder neu. Dabei gibt es so viele tolle traditionelle Tangos, sie lassen sich unmöglich in 5 oder 6 Stunden Milonga alle spielen…“

Prima, dann wiederholt es sich ja nur alle zwei- oder dreimal!

https://www.elabrazo-tangohamburg.de/milongas/

Wenn ich mir die Struktur des Vorstands so ansehe, fürchte ich: Freidenker Buntenbach ist von Konservativen umzingelt.

Aber es gibt ja noch die Koordinator/innen der Arbeitsgruppen. Auch zu einigen von ihnen fand ich Aussagekräftiges:

Judith Preuss (Arbeitsgruppe 2: „Sondervereinbarungen“)

Unter diesem mystischen Titel scheint es irgendwie um die Reduzierung von GEMA-Gebühren und ähnliches zu gehen. Die Chefin des Berliner Tangostudios „Mala Junta“ strebt laut Untertitel „die Vielfalt des Tangos“ an. Dazu schreibt Blogger-Kollege Thomas Kröter in seinem heutigen Artikel:

„Die ‚Vielfalt des Tangos‘,  mit der diese Schule im Untertitel wirbt, habe ich hier allerdings nicht erlebt. (…)  Im ‚Mala Junta‘ wechselten zwar wöchentlich die DJs, aber nicht die grundsätzliche Stilrichtung. Alle durchaus wahrnehmbaren Nuancen beweg(t)en sich im Rahmen dessen, was ich ‚klassischen Tango‘ nenne –  also Musik, die in den goldigen Zeiten vor dem Ende der 1950er Jahre aufgenommen wurde.“

http://kroestango.de/aktuelles/alles-hat-seine-zeit-2/

Christian Beyreuther (Arbeitsgruppe 2: „Sondervereinbarungen“)

Den Veranstalter einer Regensburger Nobel-Milonga mit zeitgenössischem Tango in Verbindung zu bringen, würde wohl er selber als Verleumdung empfinden. Über seinen ziemlich lustigen Versuch, in der oberpfälzer Metropole Encuentros zu etablieren, habe ich einmal berichtet. Das wollte er mir anschließend verbieten und warnte seine Mitstreiter davor, auf meinem „bekloppten Tango-Blog“ zu landen. Er nannte mich „Penner“ und stelle fest: „Der muss halt sein verkacktes Leben an uns auslassen.“

http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/06/eine-rucklichtslosigkeit-sondershausen.html

http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/09/offener-brief-die-zweite.html

Andreas Küttner (Arbeitsgruppe 3: „Beratung und Vermittlung“)

Der ausgebildete Sänger ist Mitbetreiber des „Tango Salon Leipzig“, wo er auch unterrichtet. Über seine genauere Tango-Orientierung fand ich, außer seinem Pferdeschwanz, nichts Aussagekräftiges. Da ich aber das frühere „Alma en Vuelo“ von einem Besuch her kenne, ahne ich: Modernen Tango tanzt man dort wohl nicht.

http://milongafuehrer.blogspot.com/2017/09/sachsen-tango-geht-man-als-fremder.html

Dafür spricht auch ein Video, in dem er mit der früheren Chefin Angela Sallat zu sehen ist:

https://www.youtube.com/watch?v=S-_O5sMyC_A

Klaus Wendel (Arbeitsgruppe 4: „Vernetzung“)

Zweifellos ist es eine gute Idee, das diplomatische Talent und die zurückhaltende Art des Tangolehrers für Kontakte zu Vertretern anderer Tänze zu nutzen. Obwohl er in seinem neuen Blog durchaus neue Ansätze offenbart, wird er sich auch selber kaum als Vertreter des modernen Tango sehen.

Iwan Harlan (Arbeitsgruppe 5: „Marketing / Presse / Öffentlichkeitsarbeit“)
Dem Tango-Tausendsassa kann man das Etikett „Vielfalt im Tango“ zu Recht verleihen. Er verkörpert den Typus des Milonga-Sascha Hehn, dessen Schüsse aus der Emotions-Bazooka mit Sicherheit den „Hach-Faktor“ des weiblichen Publikums erhöhen. Ob er sich in dem konservativen Umfeld durchsetzen kann, bleibt die Frage.  

Stefanie Stenzel (Arbeitsgruppe 6: „Tangokultur intern“)

Vielfalt ebenfalls zuzubilligen ist der Vertreterin des Tangovereins Azahar: https://www.tango-azahar.de/  Als einzige Quelle lese ich da etwas von der Förderung moderner, junger Orchester“. Ebenfalls singulär wirkt die Feststellung: „Wir möchten Tango als Tanz und nicht als argentinisches Folkloreerbe fördern. Wir differenzieren nicht nach Alter, Gender, Herkunft und gefühltem Status.“

Quelle: https://protango.de/ueberuns/

Fazit

Bei meinen intensiven Recherchen habe ich so gut wie keine differenzierte Auseinandersetzung mit dem „Weltkulturerbe Tango“ gefunden. Auf den meisten Webseiten vermeidet man sogar fast ängstlich eine Darlegung, welche Tangomusik man bevorzugt – oder gibt gar Playlists preis. Musik, so scheint es, ist den meisten Vertretern des Vereins nicht so wichtig.

Auch die „Schaffung von Tangokultur“ kommt in der Mehrzahl der Fälle über einige Phrasen nicht hinaus. Die meisten Personen würde ich eher als Dienstleister im Tangogeschäft einordnen.

Mit einer einzigen Ausnahme habe ich nichts von einer fachspezifischen Musikausbildung oder einem Abschluss an einer staatlich anerkannten Tanzakademie gelesen. Alle Beteiligten haben einen oft weit entfernten Brotberuf und sind zum Tango als Freizeitbeschäftigung gekommen. Die haben sie dann ausgebaut und erzielen nun mit diesem Bereich meist ein mehr oder weniger hohes Zweiteinkommen. Sich dann „Professionals“ zu nennen finde ich ziemlich mutig.

Ebenfalls vertritt nur eine Minderheit die Vielfalt im Tango. Die meisten Repräsentanten des Vereins halten am historischen Tangoghetto der dreißiger bis fünfziger Jahre fest. Das ist deutlich von der Definition der UNESCO entfernt, auf die man sich so gerne beruft.

Daher meine ich: Der Verein ist auch vom Personal her meilenweit von den selbst gesteckten Zielen entfernt. Die „Offenheit“, mit der man weiterhin mit Kritikern wie mir umgeht, spricht weitere Bände.

P.S. Eine „Dramatis Persona“ hat sich mit dem oben zitierten Artikel heute aus dem Blogger-Leben zurückgezogen: Thomas Kröter. Ich bin versucht, das so zu kommentieren wie ein ranghoher Kirchenvertreter den gestrigen Rücktritt von Kardinal Marx: „Es geht der Falsche.“

Der Berliner Kollege schreibt: „Wer ein Forum wie dieses gestaltet, braucht nicht nur Interesse für das Thema, Engagement, Fleiß und Ideenreichtum. Er kommt auch nicht ohne veritable Portionen an Eitelkeit, missionarischem Eifer und Dickfelligkeit  aus.“

Nun gut: Mit all dem kann ich – in welchem Mischungsverhältnis auch immer – sicherlich dienen. Man wird sich also bei proTango e.V. an gelegentliche Botschaften aus Pörnbach gewöhnen müssen…

Kommentare

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