Tango im Selchkarree
„Das Kasseler oder Kassler,
in Österreich
Selchkarree, in der Schweiz
geräuchertes Rippli, ist ein gepökeltes
und leicht geräuchertes
Schweinefleisch.“
„Das Räuchern (in Österreich
und Bayern auch Selchen) ist
ein Verfahren zur Konservierung
bzw. Aromatisierung
von Lebensmitteln, vorwiegend von Fisch
und Fleisch.“
(Quelle:
Wikipedia)
Manchmal
habe ich den Eindruck, mein Berliner Tangokollege Thomas Kröter durchsuche auch deshalb so erbittert
das Internet, um mir immer wieder Tango-Abstrusitäten zum Fraß vorzuwerfen.
Diesmal
stieg ihm eine Encuentro-Einladung in die Nase, bei welcher sich unter der Rubrik „Códigos der Milonga“ auch die
folgende Vorschrift fand: „Körperpflege
(gut riechen, gepflegtes Äußeres)“. Seine entgeisterte Frage hierzu: „muss man den edo-fans wirklich erst sagen,
dass sie sich gefälligst waschen sollen?“ Keine Panik, lieber Thomas, muss
man nicht: Sie sollen ja lediglich gut riechen – der Fokus liegt auf dem
Äußeren – wie’s da drinnen aussieht, geht niemand was an. Dies hat ja durchaus
Vorbilder im Frankreich des 17. Jahrhunderts, wo die feinen Herrschaften
Schminke, Puder und Parfüm zur körperlichen Haltbarmachung einsetzten…
Wie
jeder Metzger weiß, ist Pökeln und Räuchern da allerdings wirksamer – und somit
hätten wir die Kalauer-Brücke zum Kasseler
überquert: In dieser Metropole wird demnächst wieder einmal per „Encuentro milonguero“ der Versuch unternommen,
den Tango per Einsalzen und Weihräucherung zu konservieren: „Ronda del querer“ nennt sich eine
dreitägige Veranstaltung in einem dortigen Vier-Sterne-Hotel – also wörtlich „Runde des Wollens“. Und was will man
da?
Was
man nicht möchte, kann man der veröffentlichten Código-Liste entnehmen, welche
deutlich aus der Hardcore-Abteilung stammt: Außer brav dem Vordermann
hinterhertappen ist da praktisch alles verboten:
Auffallend
ist aber schon, dass sich die Sachkunde des Veranstalterpaars, welches nach eigenem
Bekunden schon zirka 30 Jahre in der Tangoszene aktiv ist, in gewissen Grenzen
hält. So findet sich beim Código „Keine
hohen Voléos, Sacadas oder hochfliegende Beine“ eine folgenschwere
Verwechslung: Man wollte wohl die „Boleos“
verbieten und nicht den (übrigens akzentfreien) Volleyball! Und schlägt man
dazu in ihrem „Kleinen Tango-Wörterbuch“ nach,
gestalten sich auch die weiteren Erklärungen nicht nur orthografisch
suboptimal: „Voleo
– fliegendes Bein / Saccada
– Impuls am Bein oder Fuss“. Immerhin: Wer da nicht das Knigge-Bein macht, fliegt offenbar volley raus!
Auch
mit der historischen Einordnung der „Goldenen Tangozeit“ hat man da so seine
Schwierigkeiten. Auf der Veranstalter-Website finden sich in drei Varianten die
Angaben „40er Jahre“, „30er bis 40er Jahre“ sowie „30er bis 50er Jahre“. Und ebenso
bestätigt sich der Verdacht, mit „Monte
Video“ sei ein Bergsteiger-Film gemeint, hoffentlich nicht…
Zudem
wird Sinn und Zweck des Encuentros sprachlich ein wenig verschwurbelt
dargeboten: „Hier treffen sich
TangotänzerInnen mit den gleichen musikalischen und tänzerischen Interessen,
die im Fluss der Musik
der Época de oro (30er - 40er Jahre) in Tandas & Cortinas
schwingen.“ Hm. Also wer schwingt da jetzt? Die „TänzerInnen“, die Musik
oder die Interessen? Na ja, ist auch wurscht. Hauptsache, es schwingt nicht zu
sehr…
Zur
Illustration dessen bietet uns das Veranstalterpaar eine kleine Auswahl eigener
Tänze, wobei ich den zu „Silueta porteña“
besonders nett finde:
Hier
zeigen sich doch klar die Vorzüge der „Milonga
lisa“ („einfach und schlicht“) im
Gegensatz zum artistischen Getue sogenannter „Showtänzer“:
Oder, anders gesagt: Das Spiel „FC Bayern München gegen SV
Hundszell“ wird vorhersehbar enden…
Nachdenklich macht mich allerdings die Selbstauskunft der
Gastgeber, man habe unter anderem beim Berliner Showtanzpaar „Stravaganza“
gelernt – was genau, wird zum Glück nicht gesagt:
Mir
geht es jedoch nicht darum, hier bestimmte Tangoorganisatoren zu verunglimpfen.
Deren lautere Motive und ihre Liebe zum Tanz will ich nicht anzweifeln. Sie
haben mir halt ein Beispiel für einen Modetrend geliefert, der in meiner Sicht
auch eine betriebswirtschaftliche
Komponente hat: Das Veranstalten von Encuentros bietet im Tango eine der
seltenen Chancen, Geld zu verdienen. Dazu eine kleine Kalkulation.
Das
Event ist auf maximal 200 Gäste ausgelegt. Der „Ronda-Pass“ für fünf Milongas
kostet 72 Euro – das bedeutet einen Eintrittspreis von je 14,40 Euro (bei „Konservenmusik“
sind sonst 5-7 Euro üblich). Häufig sind solche Treffen überbucht, da eine wohl
knapp vierstellige Zahl von Aficionados europaweit lemmingsartig von einem
Encuentro zum nächsten zieht. Sollten hier auch nur 150 Gäste erscheinen,
bedeutet dies gut 10000 Euro für den Gastgeber. Die Saalmiete dürfte sich in Grenzen
halten, da hierbei die Anweisung gilt: „Bitte
bucht euer Zimmer direkt beim Ramada Hotel. Standardkategorie: EUR 99,00 pro
Doppelzimmer / Nacht inkl. Frühstück“. Bei geschätzten 50 Paaren würde dies
fürs Hotel einen Umsatz von 2 x 99 x 50, also zirka 10000 Euro bedeuten,
Speisen und Getränke noch gar nicht eingerechnet. Bliebe noch das Salär für die DJs – und die Tonanlage
ist entweder stationär vorhanden oder kann von den Beteiligten preisgünstig
organisiert werden.
Die
Aussicht, mit einem solchen Event schwarze Zahlen im vierstelligen Bereich zu
schreiben, ist jedenfalls sehr realistisch. Kein Wunder, dass immer mehr
Veranstalter das „Geschäftsmodell
Encuentro“ abkupfern, auch wenn sie persönlich über keinen
hundertprozentigen Bezug zum Thema verfügen. Aber vielleicht ist das alles ja
ganz anders, werden wir doch per „Haftungsausschluss“ belehrt: „Der Autor übernimmt keinerlei Gewähr für die
Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten
Informationen.“
Und
ich will ja auch niemandem seine Freude am organisierten
Wochenend-Gleichschritt nehmen – und schon gar nicht am Gewinn machen. Was
immer da in Kassel und sonst wo nicht gut riechen mag – Geld kann es nicht
sein. Denn wie schon der römische Kaiser Vespasian bei der Einführung der Latrinensteuer
wusste: „Pecunia non olet“.
Und
wir Freunde des abwechslungsreichen Tangos dürfen uns mit einer Sentenz der
Veranstalterin trösten:
„Der Kasseler Tango war immer geprägt durch die Lust am
Experimentieren, Improvisieren - am Dialog.“
P.S. Gerade las ich die Código-Liste der Hamburger Milonga "La Yumba". Sie endet mit dem Satz: "Von Zeit zu Zeit veranstalten wir Milongas, bei denen wir Wert auf die Códigos legen."
Na prima: Schau'n wir mal wieviele Gäste kommen - vielleicht wenden wir die Geschäftsidee dann generell an. Für's Erste aber: "Und kommenden Samstag zur Abwechslung mal mit Códigos"...
P.S. Gerade las ich die Código-Liste der Hamburger Milonga "La Yumba". Sie endet mit dem Satz: "Von Zeit zu Zeit veranstalten wir Milongas, bei denen wir Wert auf die Códigos legen."
Na prima: Schau'n wir mal wieviele Gäste kommen - vielleicht wenden wir die Geschäftsidee dann generell an. Für's Erste aber: "Und kommenden Samstag zur Abwechslung mal mit Códigos"...
Einen der DJs kenne ich, dadurch war ich in einem etwas angeregteren Zustand der Neugier. Habe mir daher mal die Fotos angesehen. Zumindest im letzten Jahr hatte das Hotel wohl keinen Riesen-Umsatz. Oder 90% der Leute haben dem Fotografiert-werden widersprochen. Eine gute Kamera hatte der Fotograf jedenfalls, an zuwenig Licht abends dürfte es nicht gelegen haben.
AntwortenLöschenWie auch immer - schade um den vielen ungenutzten Platz auf der Tanzfläche.
Was die Videos angeht, möchte ich es mal mit einem kurzen Satz einer meiner früheren literarischen Lieblingsfiguren, Donald Duck, sagen: Schluck.
Die Fotos sind aus den Jahren 2012 und 2013 - da war die Encuentro-Welle noch nicht so heftig. Damals sah es auch nicht so aus, als ob man hinsichtlich der Räumlichkeiten schon mit maximal 200 Personen geplant hätte.
LöschenWie dem auch sei - ich habe ja betont, dass mir diese nette Código-Einladung nur als Anlass gedient hat. Wie ja Dein werter Kommentator Petersen bestätigte, sind viele Encuentros ausgebucht und werfen sicherlich einen bemerkenswerten Gewinn ab (hatte sogar Cassiel mal thematisiert). Übrigens ebenfalls interessant, was Melina Sedó in ihrem "2-Cent-Blog" neuerdings dazu schreibt.
Na, und die Bewunderung von Donald Duck haben wir auch noch gemeinsam! Beim Betrachten der Código-Liste tendiere ich allerdings zu den Bildern, welche zeigen, dass diese Ente (zoologisch ungewöhnlich) Zähne hat...
Ich muss gestehen, dass das Format Encuentro generell nicht in meine Tango-Work-Life- Balance passt. Bei aller Liebe zum Tango, drei Tage am Stück sind mir zu selten und wertvoll, um sie mit etwas so Monokulturellem zu füllen. Von daher ist mir das Innenleben dieser Veranstaltungen dann auch eher egal.
AntwortenLöschenDas geht mir genauso!
LöschenLassen wir denen, die es brauchen, halt solche Treffen - so lange sie diese nicht als die "Krönung des Tango" bezeichnen.
Ich wollte vor allem darauf hinweisen, dass etliche Veranstalter wohl aus eher kommerziellen Gründen jenes Format abkupfern und nicht aus Überzeugung, auch wenn sie meist so tun!