Griseta
„Ja Gerhard, wie
schön, dich nach so langer Zeit wieder einmal zu sehen! Wie geht’s dir denn?“
Manchmal
ereilen einen die größten Überraschungen schon vor Beginn einer Milonga – mit der
Dame hätte ich nun wahrlich nicht auf diesem Event gerechnet. Schließlich wurde
hier Tango-Musik von lebenden Künstlern geboten, noch dazu einem
Ensemble, das ziemlich „schräg“ spielt.
Ich
kenne diese Tanguera seit unserer Tango-Frühgeschichte, als wir alle noch auf
so abgefahrenes Zeug tanzten. Einmal landeten wir sogar zusammen in einem Zeitungsartikel über eine Milonga, wo wir von „Fantasie" und „Improvisation" im Tango schwafelten. Tempi passati...
Da war sie sogar gelegentlich Gast auf unseren Veranstaltungen, bevor diese in den Verruf kamen, eine seltsame Mixtur von musikalisch
Mittelmäßigem sowie Untanzbarem zu bieten. Zu der Zeit war sie schon rechtzeitig
umgestiegen, selber DJane geworden. Gelegentlich las ich noch Ankündigungen
stramm konservativer Milongas, wo sie Historisches präsentierte.
„Sollte heute Abend …
noch auftauchen, möchte ich diese modernen Stücke lieber nicht auflegen“, so hörte ich damals
– mit Blick auf sie – von einem DJ, der es zunächst noch ab und an wagte, von den Pfaden
der historischen „Gran Orquestas“ abzuweichen. Ja, trotz ihres vordergründigen
Liebreizes konnte die Dame wohl durchaus massiv werden…
Das
alles schoss mir durch den Kopf, während ich – zusätzlich abgelenkt von
ihren Bussi-Attacken – irgendetwas von „Ja,
danke, mir geht’s gut“ stammelte. „Ich
hab die Gruppe ja schon mehrfach live erlebt, die sind wirklich toll“ – so ihr
wie immer strahlendes Bekenntnis. „Ja,
Live-Musik kommt derzeit wieder in Mode“ konnte ich noch hinzufügen, bevor
Mylady federnden Schritts im Foyer verschwand. Sie hatte die Ironie mit
Sicherheit nicht kapiert.
Überhaupt ist es erstaunlich, wer sich inzwischen wieder zeitgenössischer Tangomusik
aussetzt – ich erblickte Personen, die einen solchen Besuch vor Jahren nicht
einmal in Erwägung gezogen hätten! Damals war ja ausschließlich mindestens 70
Jahre alte Knistermusik erlaubt. Abweichler hätten sich umgehend einen
Bannfluch à la Cassiel zugezogen, welcher notfalls noch seinen Züricher
Kettenhund von der Leine gelassen hätte:
http://blog.argentango.ch/argentangos-angebote/
Inzwischen gilt das Motto aller Wendehälse: „Das hat man jetzt halt wieder."
Inzwischen gilt das Motto aller Wendehälse: „Das hat man jetzt halt wieder."
„Ich
habe auch mit deutschen Musikern gearbeitet. Es gibt nach meinem Geschmack
wenige, die gut Tango spielen. Oft kommt eher ‚Bachscher Tango.‘“ So
las ich erst neulich in einem Facebook-Forum. Nun, die Verzapferin solchen
Unsinns hätte sich an diesem Abend einmal das Violin-Solo zum Klassiker „Por una cabeza“ anhören sollen, in dem
es von Doppelgriffen, Arpeggios und Anspielungen auf den Leipziger Thomaskantor
nur so wimmelte. Was erschwerend hinzukommt: Der Geiger ist Norweger. Und man
durfte dazu tanzen!
Dazu kam es ja nicht von selber – wir mussten uns
erkämpfen, dass komplexere Musik zumindest an manchen Orten nicht ausschließlich
in einen Konzertteil verbannt wurde, bei dem man die Füße still zu halten hatte:
Wahrlich, vor Jahren noch hätte man Musiker, welche
solche Interpretationen klassischer Tangos gewagt hätten, auf die meisten
Milongas nicht eingeladen. Oder mit Schimpf und Schande aus dem Saal gejagt, wenn
sie einen Gardel-Titel als Kadenz dargeboten hätten. Und überhaupt hörte ich
noch bis vor einiger Zeit, solche Live-Events seien gar nicht finanzierbar.
Inzwischen bieten selbst knochentrocken konservative Veranstalter ganze
Orchester auf.
Damit man mich nicht missversteht: Ich freue mich riesig
über diese Entwicklung – und akzeptiere natürlich Modeerscheinungen, die auch
einmal in die „Retro-Richtung“ gehen dürfen. Aber man hat ja vor zehn und mehr Jahren
die EdO-Dudelbeschallung dem Publikum schlichtweg aufgedrückt: Da wurden
Hetzschriften verfasst, widerspenstige Autoren verunglimpft und abweichlerische
DJs eingeschüchtert.
Einige Wenige haben dem Druck standgehalten und
unverdrossen zeitgenössische Tangomusiker öffentlich vorgestellt, sie aufgelegt
und so bewirkt, dass diese in der Szene zumindest ansatzweise bekannt wurden. Das Tango-Publikum
hat inzwischen reagiert und strömt nun in Massen auf solche Veranstaltungen. Recht so!
Was wir aber ebenso zu Protokoll nehmen wollen: Lange
wurden wir dafür mit Dreck beworfen: „Untanzbar“ sei dies alles (eine Vokabel, welche
man in diesen Kreisen inzwischen nicht mal mehr mit der Ofenzange anfasst), ja,
und irgendwie und sowieso kein Tango! Auch diesen Bullshit hört man inzwischen nur noch selten...
Wer sich aus diesem hehren Personenkreis aber nun hinstellt
und treuherzig seine immerwährende Begeisterung für moderne
Tangointerpretationen versichert, dem sage ich: Ich will mit solchen Heuchlern
nichts mehr zu tun haben. Macht von mir aus euer Geschäft mit dem neuen Trend.
Aber seid so nett und haltet ansonsten die Klappe!
Die Dame war übrigens an diesem Abend eifrig bemüht, die
neuen Stars auf sich aufmerksam zu machen. Es gelang ihr, den Sänger in ein angeregtes Gespräch zu verwickeln und schließlich sogar aufs Parkett zu
kriegen. Da wird doch mit höchstem persönlichen Einsatz für den modernen Tango gekämpft!
Und ja, Carlos Di Sarli und Roberto Rufino haben den Titel 1941 – nach dem damaligen Zeitgeschmack – ebenfalls schön interpretiert. Warum darf nicht beides gleichberechtigt nebeneinander stehen? Für diese Idee hat man mich jahrelang als „Außenseiter“ gebrandmarkt!
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