Wo ist denn die Karin?
Neulich
auf einer Münchner Milonga: Ich sitze solo im Vorraum. Da meine Frau die bessere
Parkplatz-Finderin ist, hat sie mich schon mal vor der Tür abgesetzt. Zeit
genug also, in aller Ruhe die Schuhe zu wechseln.
„Hallo, grüß dich,
Gerhard!“ „Ja, grüß euch…“ Händeschüttel, Bussi-Bussi – ein Paar, das uns seit
einiger Zeit immer wieder beim Tango über den Weg läuft. Während er schon zum
Kleiderständer schreitet, kommt von ihr nach prüfendem Rundblick die mir nur
allzu vertraute Frage: „Wo ist denn die
Karin?“ „Die sucht noch einen Parkplatz.“ „Ah, so.“
Zwei
Minuten später: Ein Tangobekannter, der seit langer Zeit als Single zum Tanzen
geht. Diesmal in Begleitung. Händeschüttel, ohne Bussi. Ich kenne die Dame ja nicht.
Er setzt sich neben mich, packt seine Schuhe aus. „Wo ist denn die Karin?“ „Die sucht noch einen Parkplatz“.
Fragender Blick seinerseits – wahrscheinlich sieht er das als reine
Männerdomäne. Daher ergänze ich: „Die
kann das besser als ich.“ „Ach, echt?“ „Ja, sie ist das gewöhnt, sie stammt aus
München.“ „Ja, in Pörnbach ist das einfacher, was?“
Ja klar, du
Obertrottel, in unserem Provinzdorf fahren ja auch noch weitgehend
Pferdefuhrwerke – und Karin besucht mich dort nur gelegentlich, wenn es ihr in
München zu stressig wird!
Natürlich
sagte ich das nicht laut – hätte es aber gerne. Der ältere Herr war schon
öfters sehr an unserem Lebenswandel interessiert. Als wir einmal einer
Tangofreundin kurzfristig unseren Zweitwagen liehen, da ihr Fahrzeug in
Reparatur war, hatte er offenbar den Parkplatz genau im Visier: Unsere Kollegin
habe plötzlich dasselbe Ortskennzeichen wie wir, woher das denn käme?
Mehr
noch als die Ehefrau stehen andere weibliche Wesen im Fokus, wenn sie uns
gelegentlich zum Tango begleiten. Wer denn die andere Dame sei, mit der wir
immer (!) zum Tanzen gingen? Wie sie wohl heiße, wo sie wohne und etliches mehr
wird dann als Auskunft erwartet. Und ob sie heute gar nicht da sei?
Einmal, als unsere Begleiterin hinter uns saß, antwortete meine Frau: „Frag sie halt selber – sie spricht schon!“
Damit
man mich nicht missversteht: Natürlich sind solche Fragen unter guten Freunden
üblich und verständlich. Und da sind sie sicher von persönlicher Anteilnahme
getragen. Wenn ich alleine zu einer Gesellschaft erscheine, zu der wir beide
eingeladen sind, würde ich spätestens beim Eintreffen von selber erklären, dass
und warum meine Frau nicht mitkommen konnte. Und wahrscheinlich auch
Fragen zu anderen nahestehenden Personen beantworten, soweit sie nicht zu
indiskret sind.
Aber
beim Tango? Von vielen Leuten, die ich dort seit Jahren kenne, weiß ich (wenn
überhaupt) zwar den Vornamen, sonst aber so gut wie nichts. Wieso auch?
Wohnort, Beruf, Familienstand, Alter und vieles mehr sind völlig belanglos,
wenn man nur gelegentlich mal miteinander tanzt. Und in den sehr wenigen
Fällen, wo sich eine Freundschaft über den Tango hinaus entwickelt, wird man
sich sowieso näher kennenlernen.
Selber
würde ich nie einer Tanzpartnerin mit derlei Erkundigungen kommen. Es geht mich
schlicht nichts an! Wenn sie mir von sich aus etwas erzählen will, wird sie es
tun – und selbst da möchte ich manches lieber nicht hören.
Und
gerade bei Paaren kann man doch in tausend Fettnäpfchen (oder Schlimmeres)
treten! Dass der Partner nicht mit zur Milonga erscheint, hat eventuell Gründe,
über die man aus gutem Grund nicht reden möchte: Vielleicht hängt gerade der
Haussegen schief, der andere ist (schwer) erkrankt oder man hat sich gar
getrennt? Wie peinlich, wenn man dann den Bekannten vor die Alternative stellt,
entweder über schlimme Dinge sprechen zu müssen oder sich in Sekundenschnelle
eine Notlüge auszudenken! Und gerade bei Krankheiten wäre in unserer Generation
ein längeres Gespräch garantiert…
Ich
frage mich oft, wie denn Tangobekannte reagieren würden, wenn ich
beispielsweise wissen wollte: „Du kommst
seit Jahren allein zu den Milongas. Wieso klappt es denn so gar nicht mit einer
Partnerin / einem Partner?“ Oder: „Wo ist denn die
Blonde, mit der du seit einiger Zeit tanzen gehst? Schon wieder abgehauen?“
Wieso
dieser depperte Reflex, bei alleinigem Auftreten einer Person sofort nach dem
Partner zu fragen? Wirklich persönliches Interesse? Mag manchmal sein, aber ich
fürchte, es ist oft viel einfacher: Im optischen Gedächtnis ist halt das Bild
des Paares gespeichert, und beim Solo-Erscheinen kommt dann die Fehlermeldung: Wo
ist der andere? Und in den (nicht seltenen) Fällen, wo der optische Cortex fast
ohne Beteiligung weiterer Großhirnareale mit dem Sprachzentrum verbunden ist,
liefert die Kehlkopfmuskulatur die vorprogrammierte Frage: „Wo ist denn die Karin?“
Letztlich
ist das durchaus mit einem Huhn vergleichbar, welches man an den Schwanzfedern zieht und
das dann „Gack“ sagt…
In
manchen Fällen möchte ich andere Erklärungen nicht ausschließen: Klar kann die
Frage nach dem Partner auch aus der Erwartung resultieren, den Betreffenden
leichter auf das Parkett zu kriegen. Oder man stellt sie in der Hoffnung, etwas
Unrat aufzustöbern: „Ja, weißt du, meine
Frau ist immer so eifersüchtig, da habe ich ihr heute verboten, mitzukommen!“
Fragen
nach weiteren Personen (des meist anderen Geschlechts) dagegen resultieren wohl
häufig aus einem naheliegenden Motiv: der Organisation einer Anmache. So erfährt
man schon einmal Näheres über das Zielobjekt, um es nach einem gemeinsamen Tanz
gezielter belabern zu können.
Daher,
liebe Fragesteller:
Wenn
ich einmal ohne meine Gattin auf einer Milonga erscheine, hat das meist den
einen Grund: Karin ist mal wieder musikalisch beschäftigt: Dabei geht es nicht
nur um Auftritte, sondern um die normalerweise noch viel zeitraubenderen
Proben, die häufig an Wochenenden stattfinden. Oder meine Frau sucht einen
Parkplatz, weil sie das besser kann – dann erscheint sie in Kürze, nur Geduld…
Und
was mich betrifft: Als Motiv für mein unbegleitetes Erscheinen auf Milongas
scheidet Geschlechtsverkehr generell aus. Da sind noch so
intensive Nachforschungen zwecklos. Und auch der Rest geht euch einen Schmarrn an!
Ach
ja, liebe Tangueros: Beim Anmachen
irgendwelcher Weiber bin ich euch nicht behilflich. Das müsst ihr schon allein schaffen!
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