Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht
Es ist für
einen Autor immer wieder
faszinierend, was beim Publikum wie ankommt. Vorausberechnen lässt sich das
leider kaum. Es gibt aber ein Grundrezept:
Sorgfältige, breit angelegte Recherche,
gewissenhafte Überprüfung der Quellen,
akribische Dokumentation und Auswahl der Zitate,
Quervernetzung mehrerer Aspekte, differenzierte
eigene Wertung, aufwändige
sprachliche Korrekturen – und das
Ganze wird ein Flop.
Die großen Erfolge gehen so: Man setze sich
– angetan von einer simplen Idee –
pubertär verkichert an die Tastatur und klopfe in einer Dreiviertelstunde mit viel Pennäler-Komik
einen Artikel zusammen, den jede Schülerzeitung
nehmen würde. Dies spaltet dann die riesige Leserschaft in ebenso niveaulos Gackernde sowie schwer Angepisste.
Wenn man viel Glück hat, inszenieren Letztere dann noch einen wütenden Shitstorm, der Material für weitere Texte liefert.
Das Erfolgreichste, was ich je zum Thema
Tango veröffentlicht habe, folgte einem satirisch tausend Mal verbrauchten Konzept: Eine ironisch-sarkastische Typologie von Tänzern, die ich mit Buchstaben-Kürzeln versah. Sie entstand
um das Jahr 2008 – und in einem Anfall von Größenwahn schickte ich das Manuskript
an die Zeitschrift „Tangodanza“. Die
hochgradigen Experten in Bielefeld
erkannten jedoch die literarische
Wertlosigkeit meines Artikels und wollten mir wohl die Demütigung einer Antwort ersparen.
Nun denn,
auch gut! Ich fertigte einige Dutzend Kopien
an und legte den Text auf unserer monatlichen
Milonga kostenlos für die Gäste aus, wo er wegging wie warme Semmeln.
Mehrfach musste ich nachdrucken, was ich stets dazu nutzte, den Text mit
weiteren Anekdoten aus dem Tangoleben zu bereichern – nun unter dem Titel „Kleiner Milonga-Führer“. Der Rest ist
bekannt: Inzwischen sind vom „Großen
Milonga-Führer“ drei Ausgaben erschienen.
In den
hunderten von Rückmeldungen wurden
die „Tänzer-Typen“ oft angesprochen
und trennten auch dort die beleidigte Spreu vom lachenden Weizen.
So schrieb
der Blogger Cassiel 2010 in seiner
Rezension:
„Im weiteren Verlauf des Textes gibt
es beispielsweise eine Auflistung von Tangotypen im Umfeld des DJs, aus der ich
hier exemplarisch einmal zitiere. Neben der GDS (Gemeine DJ-Schnepfe) und den
ETAs (Edeltanguer@s) werden die VIPs (völlig inaktive Profis) beschrieben:
Der
VIP-Bereich (völlig inaktive Profis) besteht aus meist lauschigen, mit quer
liegenden ETAs verzierten, relativ bequemen Sitzmöbeln auf exponiertem Terrain
und ist für die Veranstalter sowie die restlichen bereits beschriebenen Alphas
reserviert. Allenfalls noch ein Bleiberecht haben dort Mitglieder angesagter
Cliquen, die oft aus langjährigen Tangoschülern bestehen und daher schon aus
ökonomischen Gründen Veranstalters Liebling sind. Auffallend ist hierbei die
immer größere Übereinstimmung mit den Tangolehrern (Kleidung, Blick, Tanzstil)
- wobei es leider umgekehrt wie bei Haustieren ist, wo irgendwann das Herrchem
seinem Hund ähnelt...“
Diese Art von Satire fand der Schreiber natürlich überzogen:
„Um
Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe nichts gegen Satire, und eine knackige
Glosse kann sehr amüsant sein. Wenn sich aber die Satire über 300 Seiten quält,
dann wird es irgendwann anstrengend.“
https://tangoplauderei.blogspot.com/2010/09/gerhard-riedl-der-groe-milonga-fuhrer.html
https://tangoplauderei.blogspot.com/2010/09/gerhard-riedl-der-groe-milonga-fuhrer.html
Na ja, auch
hierbei handelt es sich um eine satirische
Übertreibung: Das entsprechende Kapitel „Der Ökotest: Biotope einer Milonga“ findet man auf den Seiten
56-65 (bzw. Seite 64-70 in der neuesten Ausgabe von 2016).
Das Problem ist wohl: Trotz äußerlich
zackigen Auftretens halten sich im Tango viele Männer für grottenschlecht. Daher fühlen sie sich sofort gemeint, wenn sie irgendeine satirisch überspitzte Charakterisierung lesen, und schlagen
zur Verteidigung zornig um sich.
Daher habe ich in den neuen Auflagen dem Text eine Warnung vorangestellt:
„Im
Folgenden werden diverse Arten von Tangofest-Besuchern mit zwei- bis
dreibuchstabigen Kürzeln charakterisiert, was zu Missverständnissen führen kann
und mir schon schwerste Vorwürfe eingebracht hat. Mir liegt jedoch die
Behauptung fern, dass beim Tango nur Spinner oder Stümper herumliefen – im
Gegenteil! Vorwiegend trifft man zwar nicht völlig normale, aber nette
Menschen, allerdings je nach dem speziellen Event mit einer Häufigkeit zwischen
95 und 5 Prozent…
Und bitte lassen Sie die mir schon
häufig gestellte Frage: ‚In welche Kategorie würde denn ich gehören?‘ Es ist
nicht mein Problem, wenn Sie eines mit Satire haben!“
Tatsächlich
habe ich es damals schon ziemlich krachen lassen und beispielsweise folgende Tanguero-Typen näher beschrieben:
PP (Parkett-Pauker)
GF (Gefühlter Fortgeschrittener)
GFD (Gemeiner
Figurendreher)
STA (Standard-Abweichler)
PD (Posendrücker)
OL (Orientierungsloser)
RT (Rückwärtstänzer)
TS (Tangoschleicher)
AAT (Acrobatic Action Tanguero)
TH (Tango-Hirsch)
Näheres dazu
können Sie in meinem Tangobuch
nachlesen… Was, das haben Sie noch nicht? Na, also echt?
Ich muss
gestehen: Heute würde ich das so nicht mehr schreiben, da es schlicht politisch unkorrekt ist. Im Sinne der Gender-Gerechtigkeit fehlen nämlich die
Frauen! Daher erlaube ich mir, eine
diesbezügliche Ergänzung
nachzureichen.
Ach ja, den wichtigsten Typus habe ich ja schon im
Buch beschrieben:
ETA (Edeltanguera):
Das dem männlichen ETA zugehörige Weibchen leidet an parabolischem
Schleierblick unter markisenlang geschwungenen Wimpern, blondiertem Haar,
Magersuchtfigur sowie bauchfreiem Hohlkreuz an Bumbelhose oder Rock mit
Kimme-Raffung und schmiegt sich schattengleich an das rangordnungs-kompatible
Männchen.
Ich darf aus heutiger Sicht noch
ergänzen: Ja nicht auffordern – man erhält sonst als Statussymbol einen Korb
oder einen grauenhaft arroganten Tanz!
RK (Ratsch-Kathl):
Kann eindeutig besser sowie schneller reden als tanzen und versorgt einen daher
vor, während und nach einer Tanda mit dem neuesten Tango-Klatsch. Für Blogger
als Material-Lieferantin für neue Artikel unverzichtbar!
GA (Gefühlte Anfängerin):
Während Männer sich vorwiegend und nach außen hin als Fortgeschrittene
betrachten, teilen Tänzerinnen dem auffordernden Tanguero gerne von vornherein
mit, dass sie tangomäßig noch fast nichts drauf hätten. Das erscheint dringend
nötig, da dies der Tanzpartner angesichts von Turnschläppchen, Jeans, Sekretärinnenbluse
und unsicherem Gestus keinesfalls erahnen kann!
Dies kann
sich steigern bis zum Endstadium der
SB
(Selbst-Bezichtigerin):
In einer schier endlosen Suada bekommt
man von ihr zu hören, dass sie nichts könne, die geführten Schritte nicht beherrsche und überhaupt für den Tango völlig ungeeignet sei. Vorsicht: Ja nicht
fragen, was sie dann auf einer Milonga überhaupt wolle! Merke: Weibliches
Gejammer stellt einen Selbstzweck dar und erfordert daher keine wechselseitige Kommunikation!
FF (Feedback-Forderin): Da
dieser Typus sehr am eigenen tänzerischen Fortkommen interessiert ist, wird der
Tanzpartner ständig mit Fragen gelöchert, wie es denn sei oder gewesen wäre.
Typisch ist die Formulierung: „Gell, ich tanze doch schon besser als beim
letzten Mal?“ Tipp: Diplomatisch antworten im Stil von „Ach, haben wir schon einmal miteinander getanzt?"
HS (Heu-Schrecke): Wie
beim entsprechenden Insekt reicht eine filigrane Berührung aus, um gewaltige Hüpfer zu bewirken. Fast auf
jeden Taktschlag wird daher der Tanguero durchgerüttelt wie bei der Fahrt in diversen
Brechreiz-Erzeugern auf Volksfesten. Eine gewisse Linderung wird durch stramme Umarmung erreicht, wobei diese Spezies sich dann gerne über Männer
beschwert, die ihnen den Atem rauben.
Eine Steigerungsform bildet die
KT (Karate-Tanguera):
Die dem Weibe gebührende Eigenständigkeit kommt hier durch diverse, musikalisch
meist unmotivierte Tritte bis in Kopfhöhe des Partners zum Ausdruck, wobei man durch
den größeren Tanzabstand vor dem Geruckel eher geschützt ist. Hier hilft nur:
Aus dem Weg tanzen und so Körpertreffer vermeiden!
WL (Wirbellose):
Diese immer häufiger auftretende Variante muss man als Opfer des heutigen
Tangounterrichts betrachten. Da man die Damen auf bedingungslosen Gehorsam
konditioniert, folgen sie ausschließlich dem Führer und sehen auch nicht ein,
wieso sie selber aufrecht in der Achse stehen oder sich gar eigenständig
bewegen sollen. Weil sie auch keine eigene Balance aufbauen, fallen sie sofort
von einem Fuß auf den nächsten (wenn man Glück hat, ihren eigenen). Das Idealbild des Tango als „umarmtes Gehen“
wird bei solchen Schläferstündchen mühelos (!) erreicht.
ÜM (Überhang-Mandatin): Meist ältere Dame, welche ihren imposanten Oberkörper maximal nach hinten hängen lässt, ihren rechten Arm majestätisch von sich streckt und so jeden Führungskontakt verhindert. Die Gewissheit, dass bei einem Rückwärtsfall der Oberschenkelhals garantiert durch ist, erzeugt spannende Tanz-Momente!
ÜM (Überhang-Mandatin): Meist ältere Dame, welche ihren imposanten Oberkörper maximal nach hinten hängen lässt, ihren rechten Arm majestätisch von sich streckt und so jeden Führungskontakt verhindert. Die Gewissheit, dass bei einem Rückwärtsfall der Oberschenkelhals garantiert durch ist, erzeugt spannende Tanz-Momente!
TTO (Tanzpuppe Typ
Olympia): Je nach Zahl schon besuchter
Encuentros sind diese Tangueras auf zirka 10 bis 20 Einzelbewegungen
programmiert. Führt man etwas anderes, so erscheint auf dem Display: „Eingabefehler
– access denied“. Häufig verbunden mit dem männlichen Pendant nach dem Motto: „Schlaghose
meets Harems-Beinkleid“.
http://milongafuehrer.blogspot.com/2016/10/tanzpuppe-typ-olympia.html
NG (Nieren-Greiferin): Tritt oft in Personalunion mit der TTO auf und ist erkennbar an ihrem linken Arm, den sie über die Schulter des Partners nach unten bis in dessen Nierenregion vorstreckt. Dass sie wegen der hochgezogenen eigenen Schulter ihr linkes Ohr blockiert, erkennt man oft an ihrer Musikinterpretation.
NG (Nieren-Greiferin): Tritt oft in Personalunion mit der TTO auf und ist erkennbar an ihrem linken Arm, den sie über die Schulter des Partners nach unten bis in dessen Nierenregion vorstreckt. Dass sie wegen der hochgezogenen eigenen Schulter ihr linkes Ohr blockiert, erkennt man oft an ihrer Musikinterpretation.
EW (Esoterik-Wachtel):
Vertreterinnen dieses Typus arbeiten häufig als Therapeutinnen, Coaches oder
betreiben „Hellsehen ohne Hilfsmittel“. Ihr Zweithobby ist nicht selten Töpfern
oder Aquarellmalerei. Gehüllt in weite Schlabberhosen oder andere wallende
Gewänder wird man bis zur Bewusstlosigkeit in weibliche Weisheit getaucht und
darf zur Kenntnis nehmen, welche neue tolle Erfahrung der Tango doch aus
spiritueller Sicht sei. Tänzerisch meist nicht der Burner, jedoch als Material-Lieferantin
für Glossen unersetzlich!
Dies kann
sich im Extremfall weiterentwickeln
bis zur
CT (Con-Tanguera):
Sie hat eine entsetzliche Freude daran, den Tango (gerne auch
jegliche andere Musik) bis zur
Auflösungsgrenze zu schreddern. Getreu dem Motto „Wer braucht schon Technik,
wenn das Gefühl stimmt?“ wird dem verblüfften Tanguero alles geboten, was man
auf gar keinem oder bis zu vier Beinen veranstalten kann. Tipp für die
Tanzpartner: Wenn Sie in einen solchen Maori-Fruchtbarkeitstanz verwickelt
werden (und das darf man wörtlich nehmen), sollten Sie den beruhigenden Schluss
ziehen: „So schlecht, wie ich immer glaubte, tanze ich doch gar nicht!“
Fazit:
Meine Damen,
ich hoffe, Sie sind mir nun nicht allzu gram! Wer keinen an der Klatsche hat,
tanzt schließlich auch nicht Tango… Was wären wir Männer ohne unsere (doch zumeist)
wunderbaren Tänzerinnen!
Das wussten
1915 schon die Librettisten Leo Stein
und Bela Jenbach, als sie für Emmerich Kálmáns Operette „Die
Csárdásfürstin“ diesen Kracher schrieben:
Aus ist’s mit der Liebe bei mir ein für
allemal -
schau kein Mädel mehr mir an, schau
mir keine an!
Wenn auch tausend Herzen brechen, das
ist mir egal.
Über alle Weiblichkeit zieh ich einen
Strich –
in der schönsten Blütezeit zieh zurück
ich mich!
Mein Entschluss steht felsenfest:
Mit der Liebe ist es Rest!
Doch: Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht…
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