Der DJ als Jukebox?
„Wünsche sind nie klug. Das ist sogar das Beste an ihnen.“ (Charles Dickens)
In
einem Facebook-Forum für Tango-DJs fand ich gerade eine interessante Frage:
„Ist es nicht
eigenartig, dass Musikwünsche an den DJ fast immer ... originell ... sind? (...)
Gestern zum Beispiel: „Ich tanze selber keinen Tango, und schöne Musik legst du
auf, aber kannst du nicht mal ‚Por una cabeza' spielen?"
Beim Wunsch nach
Piazolla habe ich getan, als ob ich nichts hätte. Obwohl ich mir für besondere
Gelegenheiten eine Tanda um Piazolla/Goyeneche - Vuelvo al sur durchaus
vorstellen könnte. Aber dann hätte ich auch gleich wieder fragende Blicke -
diesmal von anderen - zu erwarten ...“
Also: Profil schärfen
und verteidigen oder sich auf Zuruf in eine Jukebox verwandeln?"
An
der falschen Schreibweise zum
Begründer des Tango nuevo erkennt man bereits: Beim Fragesteller handelt es
sich um einen „traditionell“ arbeitenden
DJ. Und wer wenig originell
auflegt, wird wahrscheinlich mit umso originelleren
Wünschen belästigt…
Derzeit
ist man sich in der Gruppe überwiegend einig: Da könnte ja jeder kommen – eine
Runde Gardel, Piazzolla oder gar Non-Tango
auf einer explizit historisch angekündigten Milonga geht natürlich gar nicht.
Das wäre ja, wie ich gerade gelernt habe, aus dem „rezitalen Bereich“ des
Tango (also schwer tanzbar, jedenfalls für den betreffenden DJ).
Und
außerdem: „Ich finde,
nicht ins Programm passende Wünsche zu äußern drückt (meist wahrscheinlich
nicht bewusst) mangelnden Respekt vor der Arbeit des DJs aus.“
Tja, über den Respekt vor dem Publikum reden wir mal lieber nicht…
Doch wie gehe ich eigentlich selber mit Musikwünschen meiner Gäste um?
Ich muss gestehen: Solche Anregungen erreichen mich eher selten –
und wenn, dann in Form einer CD,
die man mir schenkt, und der ich dann oft wertvolle Ideen für zukünftige Sets
entnehme. Oder man bittet mich fürs nächste Mal um einen speziellen Geburtstagswalzer. Das mache ich dann
natürlich gerne.
Letzteres
fragte mich eine spürbar angepisste Münchner Tänzerin auf einer Neolonga. Der Grund war klar: Sie saß
mit ihrer Freundin seit einer Stunde unbetanzt
herum. Als sie dann doch mal aufgefordert wurde, lieferte ich ihr statt der
vorherigen Ballade drei rasende Milongas
und sah sie in Unschönheit sterben…
Es
ist sicher nicht der rücksichtsvollere Teil der Menschheit, der aus einem plötzlichen Impuls heraus zum DJ
marschiert und einen Musikwunsch
äußert – am besten noch verbunden mit Kritik am bisher Gehörten. Der Gedanke,
dass der Plattenreiter sich irgendwie ein Gesamtkonzept überlegt hat oder
grübelt, warum das Parkett momentan nicht voller ist, geht solchen
Zeitgenossen nicht in den Sinn.
Bei
mir kommt erschwerend dazu: Ich lege ja noch mit CDs auf und verfüge daher nicht über eine ellenlange Musikdatei, aus welcher ich in
Sekundenschnelle das Gewünschte zu Tage fördern könnte. Aber wenn ich dennoch
den Titel schnell genug fände: warum nicht?
Klar
trage ich die alleinige Verantwortung
für die Beschallung. Da ich mich aber nicht an die strengen Tanda-Regeln gebunden fühle, würden ein
bis drei Stücke, mit denen ich einem Gast erfreuen kann, schon irgendwie ins
Programm passen – vielleicht nicht gleich, ungünstigenfalls das nächste Mal.
Und
da ich mich eh bemühe, ein weites
Spektrum abzudecken, würde mich auch der Wunsch nach einer Runde mit sehr alter Tangomusik nicht schrecken –
ebenso wenig wie ziemlich schräge Non-Tangos.
Wer nicht auch gerne mal experimentiert, kommt sicher nicht zu Veranstaltungen,
bei denen ich auflege.
Wovon
ich aber dringend abrate: Einen größeren
Teil oder gar das Gesamtprogramm
den Gästen zu überlassen. Ich habe
das in meiner Frühzeit einmal versucht. Obwohl ich bat, mir die Wünsche rechtzeitig vor dem
Termin zukommen zu lassen, wurde ich in letzter Minute mit Anliegen gestresst –
und manche wussten zwar den konkreten Titel des Stücks nicht, waren aber
bereit, es mir vorzusummen…
Den
Vogel schoss eine Tanguera ab, die sich eine Runde Pugliese wünschte, und zwar mit mir als Tänzer! In der Eile fand
ich nur zwei „Osvaldos“ und komplettierte die Tanda mit einer Di Sarli-Aufnahme (Ohnmachtsanfällen von
Kollegen sehe ich gelassen entgegen…). Hernach ihr strahlender Kommentar: „Also, gerade der dritte Pugliese hat mir
sehr gut gefallen!“
Ich
habe das „Wunschkonzert“-Konzept nun
einige Male auch als Gast erlebt – in keinem einzigen Fall fand ich es gelungen,
selbst wenn man wirklich nur vorab genannte Titel berücksichtigte. Irgendwie
klang es doch nach „Kraut und Rüben“.
(Und ich erschauderte gelegentlich, was manche sich beim Tango zum Tanzen
ersehnen.)
Daher
habe ich einem DJ gegenüber noch nie Musikwünsche
geäußert. Warum denn auch? Spielte er genau das, was ich auflegen würde,
könnte ich doch auch daheim bleiben und meine Lieblings-CDs in den Apparat
schieben! (Und wäre nicht mehr konkurrenzlos…) Nein: Ich bin trotz meines hohen
Alters noch extrem neugierig und möchte daher eine individuell geprägte
Musikauswahl hören. Und nicht das, was alle auflegen.
Ich
kenne gerade im Neo-Bereich DJs, die
ich fallweise mit der flachen Hand erschlagen könnte ob der Katzenmusik, die sie mir zum Tanzen
andienen. Aber: Die wenigsten Stücke kenne ich – und neben Vermeidbarem ist
meist auch Geniales darunter. Und
mit Ende 60 muss man eh nicht mehr den ganzen Abend tanzen…
Wer
mich dagegen mit der „Tanda of the Week“
malträtiert, die ich bereits von einem Dutzend seiner Kollegen kenne, muss
Körperverletzungen durch mich nicht fürchten: Da schläft mir vorher aus lauter Langeweile die Hand ein… Ich gehe
allenfalls nach Hause und falle ins Bett. Seit ich Tango tanze, habe ich keine
einzige Schlaftablette benötigt.
Auch ein Vorteil!
Daher
kann ich nur allen Gästen raten:
Wenn euch die Musik nicht behagt – beschwert
euch während der Milonga nicht beim DJ! Aber ihr könnt ihm gerne hinterher eine
Mail schicken, am besten nicht mit Vorwürfen, sondern positiven Anregungen. Und
schenkt ihm doch eure Lieblings-CD
(oder schickt den entsprechenden Link). Wenn er gut ist, wird er darüber
nachdenken und sich inspirieren lassen.
Wenn
nicht, sollte man solche Veranstaltungen nicht
mehr besuchen. Das gilt natürlich für beide Seiten: Bevor ich mich als DJ
geschmacklich verbiege, lege ich eben für ein bestimmtes Publikum nicht mehr
auf. Nochmal, weil es viele Kollegen für unmöglich halten: Man kann Gigs auch ablehnen!
Aus
eigener Erfahrung kenne ich sogar Kollegen, die unausgesprochene Wünsche erfüllen. Mehrfach ist es mir schon
passiert, dass ein DJ mit Blick auf mich einige meiner Lieblingsstücke auflegte
(erraten: Piazzolla!). Und einmal forderte mich eine Tänzerin mit den Worten
auf: „Der … hat mir gerade gesagt: ‚Jetzt
kommt eine tolle Tanda – such dir einen guten Tänzer aus!‘“ Dass ich sowas
noch erleben darf!
Daher
sollten wir Aufleger stets auf Anregungen
achten, uns aber nicht von unserer Linie
abbringen lassen. Eine „Jukebox“ ist
der DJ sicherlich nicht: Bei der auch als „Groschengrab“
bezeichneten Anlage handelt sich dabei ja um einen Automaten, der durch den
Einwurf von Münzen Musik abspielt.
Doch viele von uns legen ja kostenlos
auf – manche sogar umsonst…
https://de.wikipedia.org/wiki/Jukebox P.S. Das schönste Zitat aus der obigen DJ-Gruppe (Edit 1.8.19):
„Die meisten an DJs herangetragenen Musikwünsche sind meines Erachtens ein Mangel an Einfühlungsvermögen, Respekt, ein Zeichen von Arroganz, Kontrolle und einer gehörigen Portion Egoismus.
Wenn mir die Musik des DJs nicht passt, dann passt er nicht für mich, aber zu erwarten, dass er seine Idee auf mich abstimmt, finde ich unglaublich vermessen."
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