DJ ans Telefon!


In einer Facebook-Gruppe für Tango-DJs (für mich immer wieder ein Quell der Realsatire) las ich neulich die Anfrage:

„Was denkt ihr über DJs, welche die meiste Zeit mit ihren Smartphones chatten, während sie Musik auf Milongas oder Encentros spielen?“

Was mich inzwischen nicht mehr erstaunt: Die Mehrzahl der Kollegen hält das für nicht weiter schlimm. Was ausschließlich zähle, sei die gebotene Musik:

„Nur das Ergebnis zählt, nicht der Aufwand.“

„Ich denke, es ist nur ein Problem, wenn die Qualität leidet, wenn nicht, wen interessiert das?!“

„Solange die Musik gut ist, können sie alles machen, was sie wollen.“

Die bekannte Tangoexpertin Melina Sedó setzt noch einen drauf:

„So lange die Musik gut ist, habe ich keine Einwände. (…) Als Veranstalter erlaube ich meinen DJs sogar zu tanzen, solange ihre Musik gut ist. (…) Das Ergebnis zählt.“

Echt? Nun weiß ich endlich, wieso die meisten „traditionellen“ DJs selber nicht tanzen: Der Veranstalter hat es ihnen wohl verboten!

Ansonsten, so einer ihrer Kollegen, solle man es locker nehmen:

„Komm schon, eine Milonga ist kein Begräbnis, es ist ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem Menschen zwischen Tangos sprechen, kommunizieren, leise sprechen oder wirklich laut sind. Seid nicht zu pingelig, wenn ihr jemanden mit einem Telefon seht. Es passiert die ganze Zeit, sogar während der Cabeceo-Phase, da sitzen Leute an ihren Handys.“

Na ja, ich kenne Beerdigungen, auf denen mehr gelacht wird als auf manchen Milongas… Aber das wäre doch die Lösung des leidigen Cabeceo-Problems: Während der Cortina einfach eine WhatsApp an den Wunschpartner schicken! Garantiert diskret und ohne blamable Folgen… sozusagen ein „Cabeceo telefónico“!

Etliche Kommentatoren machen sich einen Jux aus der Anfrage ihres Kollegen:

„Weißt du, dass sie plaudern? Vielleicht surfen sie im Internet nach Informationen über einen Song oder einen Künstler?“

„Oder sie macht eine Duo-Milonga mit ihrer Non-Tango-Zwillingsschwester, die an einem anderen Ort eine Unmenge Geld verdient und die Tandas per Messenger verschickt...

„Vielleicht tauscht er oder sie heiße Botschaften mit einem Liebhaber aus, und es hilft, eine Tanzfläche in Brand zu stecken.“

Nebenbei habe ich wieder was dazugelernt: Der englische Fachausdruck hierfür lautet „Sexting“ – also die Versendung anzüglicher Texte oder gar Fotos auf dem Kurznachrichten-Weg.

Oder, für Männer mindestens genauso wichtig:

„Ich kenne einen DJ, der IMMER Fußball guckt, wenn er auflegt...“

Einer gar empfindet eine solche Frage gar als Zumutung:

„Was ist das für ein seltsames Thema? Verwandelt sich dieser Kanal jetzt in eine Tratsch- und seltsame Dramaseite? Was kümmert es euch, ist das eure Sache? Ich kann einen seltsamen anklagenden Unterton in der Frage hören.“

Es gibt jedoch auch einige Stimmen, welche ein solches Verhalten von DJs für problematisch halten:

„Ich kann mich mit jemandem unterhalten, der gleichzeitig an seinem Telefon ist, aber ich bevorzuge es, seine volle Aufmerksamkeit zu haben. Gleiches gilt für DJs.“

„‚Abwesend‘ zu sein oder den Eindruck zu erwecken, dass ‚ich bessere Dinge zu tun habe, die meine Aufmerksamkeit mehr beanspruchen‘, ist ein egoistisches Verhalten und missachtet die Rolle, für die man eingestellt wurde“.

„Wenn ich oder jemand anderes das Telefon herauszieht, um nach etwas anderem als der Uhrzeit oder einer kritischen DJ-Datei / Tatsache zu suchen, haben meine Gedanken den Raum verlassen. Das Herz folgt.“

Meine Ansicht hierzu ist um Grade radikaler:

Vielleicht kommt dies daher, das ich zu einer Generation gehöre, wo man meist eine Telefonzelle finden musste, wenn man außer Haus jemanden anrufen wollte. Weiterhin musste die grade frei sein, Kleingeld in Form von mindestens zwei Groschen (für ein Ortsgespräch) verfügbar sein, welche der Apparat dann noch zu schlucken hatte. Und wenn man von viel Pech verfolgt war, hatte irgendein Idiot die Handy-Epoche vorausgeahnt und den Hörer mitgenommen…

Dennoch (oder gerade deshalb?) wuchsen wir zu stabilen, nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft heran.

Klar, inzwischen sitze ich auch viel vor dem Computer (bedingt durch meine umfangreiche Freizeit) – eben daher besitze ich aber gar kein Smartphone, sondern lediglich ein total uncooles Senioren-Handy (das die eingetippten Zahlen zu meiner Beruhigung laut nachspricht). Damit kann ich telefonieren oder eine SMS versenden. Mir reicht das – eine 24 Stunden-Online-Verfügbarkeit fände ich schrecklich.

Wenn ich eine Milonga besuche, bleibt das schnurlose Teil ausgeschaltet im Auto oder in der Garderobe. Und sollte ich dringend jemand erreichen müssen, telefoniere ich draußen vor der Tür (wohin man die Raucher ja längst verbannt hat).
Sicherlich steht es mir nicht zu, andere Gäste für ihr Verhalten zu verurteilen – aber ich kann daraus meine Schlüsse ziehen. Daher bleiben Damen, die auf einer Tanzveranstaltung in ihr Smartphone glotzen müssen, von einer Aufforderung meinerseits verschont.

Und schon gar nicht gebe ich mein Geld für Veranstalter oder DJs aus, die sich während einer Milonga eher mit der weltweiten Kommunikation als mit ihren Gästen beschäftigen.

Ich kann es zwar verstehen, wenn sich ein DJ dabei langweilt, immer denselben öden Schmus aufzulegen – aber das könnte er ja mit einem interessanteren Programm vermeiden. Und er dürfte auch gerne zum Zeitvertreib – auch ohne die Einwilligung Melina Sedós – mal mit den Besuchern tanzen.

Was würden diese Leute eigentlich fühlen, wenn sie ein Arzt untersucht und dabei gleichzeitig mit seiner Kommunikations-Krücke herumdaddelt? Wäre es ihnen ein Trost, falls der Mediziner versicherte: Keine Angst, ich kann beides gleichzeitig? Schließlich zählt doch nur das Ergebnis, oder?

Was immer mehr verloren geht, ist eben die Einsicht in sozial adäquates Verhalten: Man kann sich doch in der S-Bahn die Nägel schneiden, vor dem Bankschalter am Hintern kratzen oder im Schatten des Apple seine Mails abrufen. Stört doch keinen, oder?

Doch: Mitmenschen ab einem bestimmten Geschmacksniveau schon!

In meiner Jugendzeit war im Fußball ein Sprechchor üblich, mit dem man Fehlentscheidungen des Spielleiters kommentierte:
„Schiedsrichter ans Telefon!“
Diese zarte Andeutung legte dem Pfeifenmann nahe, ob seiner Unfähigkeit doch zwecks Telefonierens das Spielfeld zu verlassen und möglichst nicht mehr wiederzukommen.

Wie sich doch die Zeiten ändern! Heute könnte der durchaus auf dem Platz telefonieren – ach so, macht er ja schon beim Video-Entscheid

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