Allein unter Weibern



Schon zweimal hat meine Berliner Leserin „Quotenfrau“ auf meinem Blog Gastbeiträge geboten:

Das Führen war für sie vor allem eine Möglichkeit, sich das ständige Herumsitzen bzw. die nervige Suche nach männlichen Tanzpartnern zu ersparen. Ich bin neugierig, wohin sie ihr abenteuerlicher Weg noch bringen wird!

Bei Männern – so durfte ich amüsiert feststellen – stößt diese noch seltene Erscheinung eher auf Skepsis. In einem Tangoforum schrieb ein Kommentator zu ihren Texten unter anderem:

„Ich fordere derzeit definitiv niemanden auf, der führen möchte. Da fallen Rollen-Schnellwechsler schon mal raus. Irgendwie sind Führende sowieso weniger interessant als Folgende, keine Konkurrenz, eher Kollisionspartner. (…)
Paartanz ist – so aus dem Stand – die einzige Freizeitbeschäftigung, bei der man sich üblicherweise nur mit dem anderen Geschlecht beschäftigt. (…)
Alle Bemühungen der guten Dame in Ehren, aber sie entwickelt sich leider zurück. Während diese in ihrem Gastbeitrag vor 3 Monaten noch guter Dinge war, auf der Berliner ‚Weibermilonga‘ in ihrer neuen Führungsrolle zu reüssieren, braucht sie weiterhin eine Begleiterin für ‚Anfängermilongas‘. (…)
Allerdings kenne ich persönlich keine mit den Tanzpartnern unzufriedenen folgenden Frauen, die dann beim Führen glücklich geworden wären. Ein paar Kurse und nach den ersten Milongas wird es zäh.“  


Nun gut, inzwischen hat meine Gastautorin ihre erste „Weibermilonga“ besucht und dies in einem Beitrag dargestellt:

Allein unter Weibern

Bereits zwei Texte durfte ich hier beitragen im Rahmen meiner abenteuerlichen Reise ins Land der Führenden, die im letzten Herbst begann. Vergangenes Wochenende wagte ich auf der Suche nach mehr Einsatzmöglichkeiten den Schritt auf ein ganz neues Parkett.

Da auf normalen Milongas die aufgeforderte Dame meist mit großen Augen auf meine Offerte reagiert, wenn ich vor ihr auftauche – das Anblinzeln quer durch einen schummerigen Saal fruchtet in meiner Konstellation erst recht nicht – fehlt mir außerhalb des Unterrichtes Gelegenheit, mich auszuprobieren. Zudem wird mein Repertoire zwar besser, aber reicht natürlich noch lange nicht an einen jahrelang erfahrenen Tänzer heran, und Damen können auch unleidlich sein, wenn sie nicht adäquat bespaßt werden... Zumal bei mir definitiv keine lukrative Heirat nebst Ländereien in Aussicht steht.

Daher nahm ich diesen Samstag die Gelegenheit wahr, meine erste Weibermilonga zu besuchen, welche in Berlin monatlich stattfindet. Dort konnte ich sicher sein, dass keine Gesichtszüge entgleisen würden.

In einem Wohnhaus im Hinterhof waren, wie so oft, erst fünf Etagen zu Fuß zu bewältigen, bis ich die Stätte unter dem Dach erreichte. Immerhin waren so der Kreislauf schon angeregt und die Beinmuskulatur angemessen erwärmt. Auf dem Weg nach oben ging es vorbei an Mietern, einer Karateschule und einer Kletterhalle im 3. Stock. Dies war durch eine Glastür ersichtlich, und mir ist schleierhaft, wie man so etwas in einem Mietshaus unterbringt, aber in Berlin wundert man sich ja über nichts mehr. Glücklich im Dachgeschoss angekommen, fand sich ein Sammelsurium von Winterschuhen auf einem Gestell vor der plakatierten Türe, was mir das Ziel meines Aufstieges anzeigte.

Dahinter gab es einen langen Flur mit Garderobe, an dessen Ende sich ein Raum im Format eines großzügigen, länglichen Wohnzimmers befand. Entgegen den sonst meist schmucklosen Fabrikhallen oder vernachlässigten Altbauetagen war der ausgebaute Dachstuhl mit schweren Deckenbalken in Weiß gehalten und geschmackvoll eingerichtet, mit diversen weiße Polstersitzecken plus bunten Kissen, und getanzt wurde um im Zentrum nebeneinander platzierte, niedrige Tischchen mit Dekor, ähnlich der Spina in der Mitte des Circus Maximus zur Gliederung der Bahn. Zudem gab es eine Küchenecke, wo Kleinigkeiten zur Verköstigung bereitstanden.

Ich war pünktlich, und es waren bereits ein paar Damen anwesend. Die Veranstalterin begrüßte mich freundlich und erläuterte mir die Gegebenheiten. Getanzt wurde noch nicht, dafür aber erst einmal parliert, wie das bei Damen so üblich ist. Meine Sitznachbarin erzählte, dass sie und ihr Mann Anfänger seien, und ihr Mann sich recht schwer täte – wie so oft – und deshalb fleißig Einzelunterricht nähme, und sie allenthalben alleine loszöge. Diese Gelegenheit ergriff ich – an versierte Damen traue ich mich auch noch nicht so heran – und, was soll ich sagen, wir harmonierten, als ob wir schon zehn Jahre miteinander tanzten.

Zusehens füllt sich die Veranstaltung, bis zirka 30 Damen anwesend waren, und da fast alle beide Rollen beherrschten, war immer Betrieb auf der Tanzfläche. Das übliche Problem, dass eine Fraktion ewig gelangweilt herumwartet, gab es hier nicht. Das Niveau war querbeet und je nach Rolle natürlich unterschiedlich, die Aufmachung der Damen einheitlich unaufgeregt, ohne das übliche Chi-Chi, Glitzerkleidchen oder sündhaft teure, aus Argentinien importierte handgeklöppelte Tanzschuhraritäten in limitierter Auflage.

Später gab es noch eine Speeddating-Tauschtanda, wie die Veranstalterin sie deklarierte. Dabei wird nach kurzer Zeit mitten im Stück die Musik unterbrochen, man sucht sich schnell ein neues Tanzsportgerät – natürlich muss die Rolle kurz verhandelt werden – und es geht weiter bis zur nächsten Pause im Stück und neuer Paarung. Dies ist eine hervorragende Gelegenheit, neue Tänzerinnen kennenzulernen, weil man sich meist an fremde Leute nicht herantraut. Es dürften etwa sechs Tanzpartnerinnen in fünf Minuten gewesen sein, und die eine oder andere habe ich mir natürlich gemerkt. Prädikat: besonders nachahmenswert.

Bis kurz vor Schluss bin ich dort verweilt und kann mich nicht erinnern, bisher an einem Abend so viel geführt zu haben. Alleine habe ich mich gar nicht gefühlt, Langeweile kam nicht auf, und es hat sich etwas mehr Selbstvertrauen gebildet. Der nächste Termin ist im Kalender bereits rot angestrichen. Interessant wäre noch eine Exkursion zu einer Queer-Milonga, davon würde ich natürlich gerne wieder auf diesem Kanal berichten.

Darauf bin ich jetzt schon gespannt! Herzlichen Dank für den Beitrag, der hoffentlich nicht der letzte sein wird!

Übrigens haben die Argentinierinnen bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus Tango vorwiegend in privaten Practicas von anderen Frauen gelernt (die selbstverständlich führen konnten). Aber nicht jede Tradition ist ja im heutigen Tango gefragt…

Zur Illustration und Anregung: Wenn man auf YouTube nach „Weibermilonga“ sucht, ist die Ausbeute eher frugal. Dafür sind die wenigen Beispiele dann umso überzeugender:

Kommentare

  1. Wie man zu der Ansicht kommen kann, führen könnende Frauen hätten irgendwie Defizite, ist mir absolut schleierhaft - wäre ich nicht eher höflich-zurückhaltend, würde ich die Defizite eher beim Sender einer solchen Meinung vermuten. Was die Damenperspektive angeht, gibt es wohl verschiedene Ansichten. Einige bevorzugen die " männliche Energie", anderen ist es eher egal. Was die Queer-Variante angeht: schätze, da sind dann eher wieder erotische Komponenten im Spiel, was die Energiesituation vermutlich der Mann-Frau-Konstellation ähnlicher macht.

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    1. Die Erfahrung zeigt mir: Wann immer ich (oder ein Gastautor) über weibliche Initiativen im Tango schreibe, sind die männlichen Reaktionen eher verhalten bis kritisch.

      Und ziemlich schnell kommen dann Vokabeln wie "Lesben" oder "Transvestiten".

      Irgendwie spürt man die Furcht, die männliche Dominanz im Tango sei gefährdet...

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  2. Meine Beobachtung ist die, dass es insbesondere die sehr guten (folgenden) Tänzerinnen sind, die wohl irgendwann gelernt haben (zusätzlich zu ihrem Folgen) auch noch gut bis sehr gut selbst zu führen.
    Meine Hypothese, weshalb solche Damen diese Kompetenz hinzuerwarben, lautet folgendermaßen:
    "sehr gut" folgende Damen sind ab einem bestimmten Punkt ihrer "Karriere" zu gelangweilt, ob des tänzerischen Könnens vieler der verfügbaren Männer. Die Anzahl der zumindest "einigermaßen gut" folgenden Damen, ist hingegen normalerweise recht groß auf Milongas.
    Und auf größeren Milongas, mit vielen Besuchern, gibt es eigentlich immer eine verlässlich große Menge an guten (folgenden) Damen.
    Frauen, die sowohl folgen als auch führen, gehören meiner Beobachtung nach unter den "guten" Herren, zu den begehrtesten Tanzpartnerinnen.
    Auch ich tanze sehr gerne mit Damen, die ich bereits habe führen sehen. Ich habe das bisher noch NIE bereut.
    Leider fällt es mir normalerweise schwer, diese Damen auf einer Milonga danach zu fragen, ob Sie denn MICH führen würden. Das liegt in erster Linie daran, dass ich diese Damen nicht unnötig meinem Doppelzentner an Folge-Tapsigkeit aussetzen möchte - wo sie doch sicherlich einige Damen hätten auffordern können, die wesentlich besser folgten als ich selbst.
    Auf geschlechtsparitätischen Veranstaltungen gibt es ja immer wieder Damen, die sich als "leader" registriert haben. Mehrfach schon hätte ich gerne bei solchen Veranstaltungen mit einer dieser Damen getanzt. Und zwar eigentlich egal ob führend oder folgend!
    Diese Damen führen (aus meiner beobachtenden Perspektive) üblicherweise deutlich besser als der Durchschnitt der anwesenden Männer. Wenngleich es dort normalerweise kaum „Anfänger“ unter den Männern gibt.
    Per Blickkontakt ist mir eine solche Aufforderung leider bislang noch nie gelungen... Ich weiß, ich weiß... ich brauchte ja bloß mal verbal nachzufragen. Aber bevor das geschieht, muss ich noch etwas an meinen Folgekünsten feilen.
    An die wenigen Damen, die sich durch Tango-blogs lesen: Wenn es selbst die Männer schaffen, einigermaßen brauchbar zu „führen“, dann schaffen das auch die Damen. Vermutlich mit besserem Ergebnis in kürzerer Zeit. Die Qualität des Führens ist dann lediglich noch eine Frage der investierten/praktizierten Gesamtzeit.

    Grüße,
    M.Botzenhardt

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    1. Klar, ein gewisser Ehrgeiz ist meist mit dem Wunsch verbunden, die andere Rolle im Tango zu erlernen. Aber schon auch der Frust bei den Frauen, zu wenig aufgefordert zu werden – und wenn, dann eher von schlechten Tänzern.

      Eine Erfahrung kann ich nicht teilen: Frauen, die auch führen, haben gerade bei konservativ gestrickten Tangueros schlechte Karten.

      Nur so als Tipp: Wenn man sieht, dass eine Frau auch führt, diese einfach auffordern und während des Tanzes schlicht die Rolle wechseln. Erfahrungsgemäß kapieren die sofort, was man will, und sind meist sehr angetan.

      Und keine Angst vor Vergleichen: Wenn die der Maßstab sind, müssten ganz viele Tänze unterbleiben.

      Übrigens: Nach allen Rückmeldungen, die ich bekomme, lesen mein Blog sehr viele Frauen…

      Vielen Dank und beste Grüße!

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    2. Nachtrag
      Nicht die Mehrheit der „konservativ“ gestrickten Milongueros wird von mir notwendigerweise zu den „guten“ Tänzern gerechnet, auch wenn es durchaus eine Schnittmenge gibt.
      Deshalb hätte ich wohl besser »unter „vielen“ der guten Herren« schreiben sollen :-)
      Natürlich nutze ich auch den Rollenwechsel während des Tanzes, bzw. zwischen einzelnen Titeln (Dein Tipp). Dies aber eben lediglich bei Männern oder aber bei (sehr wenigen) Frauen, von denen ich weiß, dass sie sich damit wirklich wohl fühlen.
      Wie gesagt - ich möchte keiner guten (führenden) Tänzerin meine Masse und mein Unvermögen aufzwingen. Vor allem nicht, wenn währenddessen mehrere gut-folgende Damen neben der Tanzfläche sitzen. Und natürlich möchte ich dies erst recht keiner damit möglicherweise überforderten Führenden zumuten.

      Soeben entdeckte ich bei der stets ironischen Irene (in ihrem jüngsten Blogbeitrag) einen Aspekt bezüglich der unterschiedlichen Schuhvoraussetzungen, die beim Führen ggf. ebenfalls eine Rolle zu spielen scheinen: Die Höhe der Absätze:

      „You also don't want higher heels because you're going to be leading in those heels. Yep. Don't be alarmed, we will be fine leading in heels because we won't start early (In fact, you and I never wanted to start leading, we're going to say no, no, no, no, no to Man Yung who keeps on saying it's good for you (yeah right, I don't buy it) to lead for the next decade. That is, UNTIL we find out it is handy to take over the lead in situations where Man Yung is getting pissed off at some crazy flinging leader who is tailgating and wants to head butt/kick them while he is dancing). In fact, we're not going to start leading until our following is rock solid. But it's not going to work in 4 inch heels - we aren't going to follow well at that height, of course we won't be able to lead well.“

      Von: [http://ireneandmanyung.blogspot.de/2018/03/an-email.html]

      M. Botzenhardt

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    3. Ich meinte das mit den "konservativ gestrickten Tangueros" unabhängig von ihren tänzerischen Leistungen. Irgendwie scheinen führende Frauen in deren Augen oft "seltsam" zu wirken - jedenfalls nicht so, dass man sie gern auffordern würde.

      Und ja, das Führen scheint auf hohen Absätzen schwieriger zu sein. Wissen wir Männer doch auch!

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  3. Auch ich bin der Meinung, dass Damen welche auch führen, sehr gute Folgende sind und ich tanze sehr gerne mit ihnen. Sie lassen sich nicht nur gut führen, sondern sie interpretieren mit eigenen Ideen die Musik und da fängt der Spaß erst so richtig an.

    Servus aus Wien
    Berni

    Bernhard Mairinger

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    1. Lieber Berni,

      da stimme ich Dir völlig zu: Frauen, die auch führen, gehören meist - in beiden Rollen - zu den sehr guten Tänzerinnen.

      Und wenn es das Ziel ist, dass bei einem hochklassigen Tanz Führen und Folgen eh verschwimmen, wird der Zusammenhang ja auch klar.

      Grüße nach Wien!
      Gerhard

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  4. Reizvoll der Führungswechsel - ganz gleich zwischen welchen Partnern!
    Und überhaupt - Führen oder Folgen, das ist fast so wie bei polyphonen Musikstücken: Alle Stimmen sind (nahezu) gleichberechtigt.
    Höchste Aufmerksamkeit ist gefordert.

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