Liebes Tagebuch… 43
„Im Gegensatz zu
früher dürfen heute beide Geschlechter gleichberechtigt zum Tanz auffordern.
(…) Lehnen Sie als Herr eine Aufforderung zum Tanz ab, sollten Sie dafür einen
guten Grund nennen; alles andere wäre unhöflich. Als Dame dürfen Sie einen Tanz
zwar ohne Grund ablehnen, es ist jedoch höflicher, einen zu nennen.“
Es
ist teilweise schier unglaublich, was Männer
beim Tango im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts von sich geben. Leider
sind die Herren in meiner Anwesenheit ziemlich zurückhaltend – könnte ja
anschließend auf meinem Blog stehen…
Frauen
gegenüber ist man da mitteilsamer – siehe „Mansplaining“:
Es
ist allerdings schwierig, von den Damen O-Töne
einer solchen Performance zur Veröffentlichung zu erhalten. Man möchte diese
Dinge, auch wenn sie schrecklich sind, lieber im Privaten belassen – und in der heimischen Szene doch noch
gelegentlich aufgefordert werden. Natürlich kann ich das verstehen –
journalistisch ist es aber unbefriedigend und führt dazu, dass man das Maß maskuliner Vermufftheit in der heutigen
Tangoszene chronisch unterschätzt.
Privat
erhalte ich andauernd solche Nachrichten, aber nur in wenigen Fällen wird mir
gestattet, darüber zu berichten. Daher bin ich einer Leserin umso dankbarer für die Erlaubnis zum Zitieren. Dass sie
ungenannt bleiben möchte, kann ich gut verstehen. Fairerweise versuche ich
auch, die Identität des betreffenden
Herrn zu verschleiern. Nur so viel: Er spielt im Tangoleben einer ganzen
Region eine wichtige Rolle und gilt als sehr begehrter Tänzer – und es geht mir
nicht um eine persönliche Herabsetzung eines durchaus netten und nicht
unsympathischen Zeitgenossen.
Sollte
er sich wiedererkennen, könnte dieser Text auch einmal ein Anlass sein zu
bedenken, dass Einstellungen, die mir eher ins 19. Jahrhundert zu passen scheinen, nicht bei allen Frauen gut
ankommen. Die folgenden Zitate aus
E-Mails der Leserin habe ich zur Anonymisierung leicht bearbeitet, die
Kernaussagen allerdings sind wörtlich übernommen.
Sein
übliches Auftreten auf Milongas wird wie folgt beschrieben:
„Er schwebt durch den Saal und begrüßt sämtliche anwesende Bekannte –
zumeist weiblicher Natur – mit Bussi-Bussi-Umarmung, setzt sich sodann zu den
seiner Kategorie am besten entsprechenden Leuten, ratscht und sondiert dabei
erstmal eine gute Zeitlang die Lage. Welche seiner bevorzugten Damen ist heute
wohl anwesend? Aha, ah ja, mal sehen. Keine da? Ach, dann schau ich am besten
intensiv nirgendwohin…
Ist eine ‚seiner‘ Damen da, dann wird getanzt. Seiner Haltung und seinem
Habitus der Partnerin gegenüber sieht man deutlich an, dass er beim Tango keine
Eigenwilligkeiten der Frau möchte, geschweige denn Vorschläge einer
individuellen Ausführung von Frauenseite, da muss schon getanzt werden, was er
führt (nun ja, da ist er aber nicht der Einzige), und zwar exakt. Bei
Ungenauigkeiten darf man nicht mit milder Nachsicht, geschweige denn einem
Lächeln oder gar Lachen rechnen, sondern sollte sich eher auf ein Zucken der
Nasenflügel oder Augenbrauen einstellen (…). Gottlob sieht das die
Tanzpartnerin nicht, sondern nur ein dritter Beobachter. Ebenso kann man sehen,
dass er die Perfektion, die er von seinen Partnerinnen erwartet, zuerst einmal von
sich selbst verlangt. Man wird ihn auf keiner Milonga eine Figur oder
Schrittfolge tanzen sehen, die er erstmal ein wenig ‚probiert‘.“
Obwohl
meine Leserin daher nach eigenem Bekunden nicht gerade scharf auf einen Tanz
mit dem Herrn war, ergab sich bei einer Milonga ein hochinteressantes Gespräch mit ihm.
Es
begann mit ihrer Frage: „Was hältst Du – mal allgemein – davon, von einer Frau auf der Milonga
aufgefordert zu werden?"
Der weitere Dialog:
„Er schaute mich an
und meinte, er halte davon gar nichts.
Ich fragte ihn, ob er
mir seine Gründe genauer erklären könne.
Daraufhin fing er an,
dass es generell nicht üblich sei im Tango, direkt aufzufordern, deswegen gebe
es ja die entsprechenden Aufforderungsriten. Er wolle immer für sich selbst
entscheiden, WANN er tanzen wolle und zu welcher Musik – und es wäre dann auch entscheidend,
mit wem zu welcher Musik, und dass er sich diese Entscheidung nicht von einer
Frau, die ihn jetzt – direkt oder auch indirekt – auffordere, nehmen lassen
wolle. Es gebe auch Abende, da tanze er sehr wenig, und auch diese Entscheidung
wolle er allein treffen.
Dann ging es noch so:
‚Weißt Du, ich bin ja
sehr viel unterwegs, und ich mache immer wieder die Erfahrung, dass an
bestimmten Stellen des Saales die Frauen stehen und nur so auf einen gieren. Am
schlimmsten ist es auf bestimmten Milongas in (…). Da stehen die Frauen am
Eingang, und kaum geht man vorbei, verwickeln sie einen schon in ein Gespräch,
und nach ein paar Sätzen kommt eine Aufforderung. Ich kann das überhaupt nicht
leiden. Ich sage da schon fast grundsätzlich nein, aus Prinzip nämlich, und da
habe ich mir schon viele böse Kommentare eingehandelt und sogar schon mit
Frauen bis auf's Messer gestritten. Da gibt's schon einige mittlerweile, die
mich nicht mehr anschauen. Aber so ist das halt, ich mag nicht aufgefordert
werden.‘
Die Erklärungen
gingen schon noch ein bisschen ausführlicher, im Kern haben sie sich dennoch
ständig wiederholt: Mann hat das Recht aufzufordern und Frau hat das Recht,
anzunehmen oder nicht. Basta. Mehr Gleichberechtigung gibt‘s beim Auffordern in
der Milonga nicht."
Interessant
finde ich auch das Ende der Geschichte: Überraschenderweise forderte der Herr
dann meine Leserin doch noch auf. Über die Tanda selbst schweigt sie sich
fairerweise aus; nur so viel: „Trotz
einem in meinen Augen schönen Kompliment meinerseits hatte ich das Gefühl, es
würden noch mehr positive Verbalbekundungen erwartet.“ Dazu ihr weiterer Kommentar
mir gegenüber: „Selbst wenn ich mit
jemandem so etwas erlebe, dann drücke ich diese Verzückung nicht unbedingt
verbal aus. Das ist mein Frauenrecht. Mann kann es annehmen – oder auch nicht.“
Seinem
Ruhm in der Szene wird das alles keinen Abbruch tun. Von einer anderen
Besucherin erhielt meine Leserin hinterher die Bemerkung: „Beschwer Dich fei jetzt nicht, wenn Du ein bissl sitzt, Du hast heute
schon mit IHM tanzen dürfen!“
Mit
einem gewissen Schmunzeln habe ich mir überlegt, wie der obige Dialog in meinem Fall verlaufen wäre.
Sicherlich kürzer:
„Was hältst Du – mal allgemein –
davon, von einer Frau auf der Milonga aufgefordert zu werden?"
„Sehr viel, ist doch toll. Warum fragst Du, willst Du tanzen?“
„Ja, gerne.“
„Na, dann los!“
So
war es für mich auch vor einigen Tagen – und die folgenden zwei
Neotango-Interpretationen waren traumhaft. Für den obigen Herrn wär das aber
nix gewesen, da meine Tänzerin sich äußerst kreativ und selbstständig bewegte.
Tja, Burschi, da gilt leider das alte Motto von „Fisherman’s friend“ (den
anderen kleinen Lutschpastillen zur Aktivierung der Manneskraft):
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