Kleines Handbuch der Mirada-Aufforderung
Durch
den Berliner Kollegen Thomas Kröter wurde ich auf dieses
eindrucksvolle Werk aufmerksam. Es stammt von einem Tango-Sachverständigen,
welcher unter dem Namen „Carlos Di Sarli (Anonymous)“ hierfür ein Copyright beansprucht (na,
hoffentlich haben die Erben des großen Tangomusikers nix dagegen…).
„Tango-Thomas“ schreibt dazu auf Facebook:
„Wenn jemand zu viel Zeit
hat – bitteschön: Hier iss ne Gelegenheit, sie totzuhaun. Ich hab nach ca 1/4 dieses
sicher grundlegenden Werkes aufgehört. Mehr möcht ich zu dem Quatsch nich mehr
sagen. Aber hinter den 7 Bergen, bei den 7 Zwergen...
Da
hiermit ja nur meine Anschrift gemeint sein kann, möchte ich das obige
„Handbuch“ doch vorstellen, übersetzen und kommentieren:
Bedauerlicherweise,
so der Autor, gebe es eine Menge populärer und falscher Vorstellungen zum
Thema, insbesondere dort, wo sich Frauen beim Auffordern schwer täten. Also ist
der der Experte gefragt!
Das
System der Blickelei-Einladung sei zunächst
einmal gekennzeichnet durch
·
Symmetrie: Beide Geschlechter
könnten aktiv werden.
·
Respekt: Sowohl Männer als
auch Frauen wären frei darin, aus allen möglichen Gründen Tanzangebote zu
akzeptieren oder zu verweigern – ganz ohne Zwang.
·
Effektivität: So werde eine
maximale Zahl von Aufforderungen möglich
Tschuldigung, wenn
ich da schon ins Grübeln komme: Zusammen mit der Cortina-Unterbrechung setzt
jede Viertelstunde für zirka eine Minute ein Blickehagel ein, während dem man
dann – eventuell trotz Brille noch sehbehindert – eine Partnerin zu ergattern
hat. Sehr effektiv…
In
der Folge wird das Dingens dann für Blöde erklärt:
Starre man lange genug auf das „Objekt der Begierde“, kriege dieses es – wenn
man Glück hat – mit und schaue halt hin oder weg. Im positiven Fall nicke der
Männe dann zuerst (aha!) und dann die
Frau.
Insbesondere
werde so die „Bagger-Aufforderung“
vermieden, bei welcher der Herr die Hand der Dame packe und sie so aufs Parkett
schleife (was angeblich in Bordeaux, der
Heimat der Website, oft vorkommt). Allerdings, so wird zugegeben, wäre auch
die Verweigerung eines Cabeceo für den Auffordernden nicht völlig schmerzfrei.
Perfekt sei dieses System nicht, nur optimal.
Es
habe den Sinn, Ablehnungen zu erleichtern – ein nur scheinbarer Widerspruch
dazu, dass es Aufforderungen produzieren solle. Aber Letztere seien halt dann
nicht erzwungen:
„In der Tat ist das Üben der Mirada eine
Manifestation der Suche nach Qualität im Tanz.“Na, hoffentlich findet man sie auch…
Aber
der Autor wäre kein Experte, wenn er sich nicht nachfolgend noch den „Feinheiten des Systems“ widmen würde.
Es
gebe ja ein Davor und Danach:
Voraussetzung
sei eine frontale Position der
Interessenten. Damit das Ganze funktioniere, müssten sich (wie in Buenos Aires)
Männlein und Weiblein gegenüber sitzen.
Eben – durch die
Geschlechtertrennung wie im Kindergottesdienst alter Zeiten und die
erforderliche Beleuchtung entsteht sicher eine sehr entspannte Atmosphäre!
Nachdem
die Aufforderung durch wechselseitiges Abnicken perfekt sei, habe der Herr auf
die Dame (außen rum, nicht über die Tanzfläche) zuzugehen, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen (um
„Aufforderungs-Diebstählen“ keine Chance zu geben), dabei über einen Schuhbeutel zu stolpern und auf die Fresse zu fallen.
Sorry, Scherz!
Und
hinterher bringt der Kavalier (so er
noch laufen kann) die Lady natürlich zu ihrem Platz zurück (vielleicht nicht aus Höflichkeit, sondern weil dort seine Brille liegt).
„Natürlich muss die
Prozedur korrekt durchgeführt werden, um eine Reihe potenzieller Probleme zu
vermeiden.“
Als
da wären:
„Der miradalose
Cabeceo oder die weibliche Doppelmirada“:
Manchmal
glaube ein Mann halt, der Blick der Frau gelte ihm und nicke – in Wirklichkeit
jedoch sei der Depp nebenan gemeint, was ein sofortiges Weggucken der Dame
erforderlich mache. So sei der Weg frei für den Konkurrenten. Wenn der es
jedoch nicht schnalle, müsse man(n) es ihm aber auch nicht klar machen…
„Die männliche
Doppelmirada“:
Manchmal
fühlten sich zwei nebeneinander sitzende Tänzerinnen gemeint. Jetzt wird es
kompliziert: Der Tanguero muss dann auf jeden Fall zunächst wegschauen.
Entweder er sucht anschließend eine weniger missdeutbare Position auf und
starrt erneut und präziser, oder er hofft darauf, dass die Damen (bei genügend
Erfahrung) die Frage untereinander klären. (Sollten
sie das durch „Schere-Stein-Papier“ entscheiden, wäre darauf zu achten, ob
anschließend die Siegerin oder die Verliererin mit einem tanzt!)
„Die Doppel-Aufforderung”:
Hierbei hat der Milonga-Voyeur zwei Weiber an der
Backe, welche sich beide aufgefordert fühlen. Um den totalen Untergang zu
vermeiden, solle er eine der sich annähernden Frauen mit seinen Blicken fesseln
– in der Hoffnung, die andere werde sich elegant zurückziehen. (Dies gilt offenbar auch für den Fall, dass
er nicht taubstumm ist, das Missverständnis also verbal aufklären könnte.)
„Der Aufforderungs-Diebstahl”:
Sozusagen
eine „gefakte Doppel-Aufforderung”! Eine unfeine Frauensperson täuscht diese
vor, obwohl ihr bewusst ist, nicht gemeint zu sein, um der Rivalin den Tänzer
zu stehlen. Der sollte sie „gar nicht erst ignorieren“, sondern sich eindeutig
der Auserwählten zuwenden.
„Der echte Aufforderungs-Diebstahl“
In
dem Fall glaubt die sich annähernde „weibliche Gefahr” tatsächlich,
angesprochen zu sein. Das sollte eigentlich nicht passieren, da die Dame ja auf
ihrem Stühlchen auzuharren habe, bis der sie nicht aus den Augen lassende Mann
bei ihr angekommen sei. Ausnahmsweise dürfe hier einmal gesprochen werden: Der
Tanguero müsse die Verwechslung halt aufklären, ihr eventuell sogar die nächste
Tanda versprechen.
Kommen wir nun zum Wichtigsten im Tango: den „üblichen Fehlern”:
·
falsch gewählte Zeit:
Natürlich sollte aufs Anstarren verzichtet werden,
wenn die Dame gerade mit einer Freundin ratscht, mit ihrem Partner knutscht,
auf ihrem Smartphone rumdödelt oder was isst. (Ich frage mich in solchen Fällen eh, ob die Besucherin auf der
Veranstaltung richtig ist…)
·
die Mirada nicht beantworten, wenn man ablehnen will
Auf fragende Blicke
sollte man auf jeden Fall reagieren – mit Nicken oder Wegschauen – schon, um
die einladende Person im negativen Fall
loszuwerden.
·
Kopfschütteln als Antwort
Besser sei kurz hinzuschauen und dann deutlich wegzugucken
– die direkte Verneinungsgeste sollte, schon aus Diskretionsgründen, auf äußerst
hartnäckiges Personal beschränkt werden.
·
trotz Ablehnung Weiterglotzen
gelte als wenig zartfühlend – die Person mit
Blicklöchern in der Figur könne sich sogar genötigt fühlen, ihren Platz zu
verlassen.
·
Verzicht auf die Mirada bei guten Bekannten
Nö, warum auch? Es könne ja sein, dass im Einzelfall
doch keine Tanzlust vorliege… (Muss ich
mal mit meiner Gattin versuchen – eine Betreuungsverfügung für ähnliche Fälle
hat sie ja schon!)
·
Akzeptieren direkter Aufforderungen
Diese Inkonsequenz trage wenig zur „Erleuchtung der
Gruppe“ bei – wir kennen ja aus der
Justiz die Problematik der „Präzedenzfälle“…
Freilich müsse man in der Begründung nicht unfreundlicher sein als nötig.
In einem letzten Kapitel geht der Verfasser, wohl
Böses ahnend, auch auf mögliche Kritik
an diesem System ein:
·
Nein, auch Frauen dürften so auffordern. Schauen kann ja
jede(r)!
·
Und nein,
das Verfahren sei nicht sexistisch: Der Cabeceo wäre zwar dem Mann vorbehalten,
aber das sei ja eher ein Risiko denn ein Vorteil. (Da darf ich den Damen ein großes männliches Geheimnis verraten: Hätte
der Cabeceo für uns Kerle mehr Nachteile, hätten wir ihn nie erfunden!)
·
Nein, die direkte Aufforderung sei nicht einfacher – es gebe
halt sehr scheue Menschen. Und bei verbaler Ablehnung reagierten gerade Männer
mit Groll und Rachegefühlen. (Ja, so sind
wir halt…)
·
Und es sei unsicher,
ob die Damen verbal zu mehr Tänzen kämen – eher zu mehr Ablehnungen. Und die
Tandas, welche sie dann erhielten, seien (wohl wegen der männlichen Unlust) von
„schlechter Qualität“. Und Frauen, welchen es nur um einen Tanz – egal wie gut –
gehe, verdienten eh keine Runde auf dem Parkett!
Trotz der Fülle an Informationen ist das Werk leider nicht vollständig: Ich
hätte mir jedenfalls noch einige Anmerkungen zum „Prä-Cabeceo“ sowie dem „Cabeceo
unter Führenden“ (keine Erfindung, gibt es!) gewünscht.
Für den Autor habe ich nach vielen Gesprächen mit Tangueras eine Neuigkeit: Ihr „Qualitätsanspruch“ beim Tanzen hält sich – nach langjährigen
Erfahrungen – gemeinhin in engen Grenzen. Wenn ein Tanguero nett und freundlich
agiert sowie wegen der 12 Minuten auf dem Parkett nicht so ein Gedöns
veranstaltet, ist das schon die halbe Miete.
Tango wurde von einfachen Menschen
erfunden – ich bin sicher, die haben zum Auffordern keine „kleinen Handbücher“ (hier mit 2162 Wörtern) verfasst. Die kauften
sich eher eine Blechmarke, welche sie zu drei Tänzen mit einer freischaffenden Tanguera
berechtigte. Heute hingegen kann man an vielen Texten im Internet die Verwüstungen erahnen, welche ein Psychologie-
oder Soziologiestudium in männlichen Gehirnen hinterlässt.
Ich werde mich daher weiterhin an mein Aufforderungsprinzip halten:
Schauen, ob die Dame mental und
tatsächlich „frei“ ist, hingehen und fragen.
(Das waren 12 Wörter.)
Der Originaltext
des „Mirada-Handbuches“ jedoch ist keine satirische Erfindung:
https://www.el-recodo.com/mirada-en?lang=en
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