Die Gefahr aus dem Westen



Es fasziniert mich immer wieder, welch toleranten, respektvollen Umgangston man gerade im traditionellen Tango pflegt. Heute erreichte mich zu meinem Artikel „Sachsen-Tango: Geht man als Fremder?“ ein bemerkenswerter Kommentar – seffaständlich anonym. Natürlich musste ich den gemäß meiner Kommentarbedingungen löschen – sonst handle ich mir wieder den Vorwurf ein, mir irgendwelche Ausnahmen von meinen Regeln zu leisten.

Dennoch ist der Beitrag derartig beispielhaft für die meine Auseinandersetzungen mit einer bestimmten Tangopopulation, dass ich ihm hier Raum für eine gesonderte Besprechung bieten möchte. Zunächst der Text (von mir nicht rechtschreibkorrigiert oder gekürzt):     

„Herr Riedel,

ob Sie meinen Kommentar veröffentlichen oder nicht, ist mir ziemlich egal - er kommt definitiv bei IHNEN an; ich möchte nur loswerden: das, was Sie Ihre "satirische Neigung" nennen (Personenbeschreibung) halte ich für Bösartigkeit. Und immer schön die loben, die in das gleiche Horn wie Sie tröten (vgl. Kommentare zu diesem Post). Selbst wenn mich der Tango kaltlassen und ich besagte Personen, die Sie mit Ihren Zeilen (vornehm) kritisieren bzw. (auf gut deutsch) runtermachen, nicht kennen würde, ist für jeden, der sich die Mühe macht, Sie zu lesen klar, was Sie u Ihre Kommentatoren von uns Ossis halten und was Sie, allgemeiner gesprochen, für ein Mensch sind (ich wiederhole mich nur zu gern) - bösartig! Grüße aus dem allertiefsten Ossi-Land und auch wunderbar ohne Sie oder Ihre immer wieder zitierte Frau tanzend...“

Meine Antwort:

Sehr geehrter Herr,

Sie sind doch einer – oder zumindest ein Mann? Ich könnte drauf wetten, da Frauen das unter Tangueros übliche Gockelgefecht-Bullshit-Bingo eher vermeiden.

Na schau‘n Sie, nun kommt Ihr Text doch nicht nur bei mir, sondern bei ALLEN Lesern an: Mehr Aufmerksamkeit geht nicht! Besser wird Ihr Beitrag dadurch aber nicht: Sinnentnehmendes Lesen mag zwar in der Steinzeit noch nicht als Selektionsvorteil gegolten haben, im 21. Jahrhundert ist es jedoch zweifellos einer.

In diesem Fall hätten Sie nämlich bemerkt, dass der Begriff „Ossi“ (oder Umschreibungen) in meinem Beitrag überhaupt nicht vorkommt – im Gegenteil wünsche ich, dass man in den neuen Bundesländern fast drei Jahrzehnte nach der Wende endlich zu vollem Selbstvertrauen findet und daher nicht jede Kritik auf die Herkunft beziehen muss.

Mir ist es völlig egal, ob eine Milonga, die ich bespreche, in Leipzig oder Bad Wörishofen liegt. In diesem Fall habe ich vier Tangoveranstaltungen in Sachsen näher beschrieben und dabei zwei sehr positiv, eine durchwachsen und eine eher negativ bewertet. Das ist doch ein recht differenziertes Urteil, oder?

Ich weiß auch nicht, welche Personen ich „runtergemacht“ habe – ich sehe da höchstens eine, deren Namen ich nicht genannt habe. Und selbst diesem DJ habe ich „routiniertes Auflegen“ attestiert – halt nur (aus meiner Sicht) wenig einfallsreich und ziemlich angepasst. Und „Bösartigkeit“… für  den einen ist der Spruch „Musikantenstadel-Tango“ lustig, für den anderen abgrundtief respektlos. Aber der Herr spricht ja offenbar selber – in anderem Zusammenhang – von „Püppi Tango“, was für mich etwa in die gleiche Liga gehört. Daher fand ich auch diesen Ausdruck lediglich amüsant.

Ob es sehr höflich ist, Kommentatoren, welche mir zustimmen (und teilweise sogar aus dem Osten stammen), zu bescheinigen, sie würden „in das gleiche Horn wie Sie tröten“, bezweifle ich. Nochmal zur Klarstellung: Hier darf jeder kommentieren, wenn er seinen realen Namen nennt und beleidigende persönliche Angriffe unterlässt. Eine Zensur findet nicht statt – im Gegenteil: Ich freue mich über kritische Beiträge, vor allem, wenn sie zu einer spannenden inhaltlichen Auseinandersetzung führen. Leider werde ich damit nicht oft verwöhnt.

„Schönes Lob“ teile ich da eher selten aus – ich werde mir jedoch auch weiterhin mit Ihrer freundlichen Genehmigung erlauben, meine Zustimmung oder Ablehnung geäußerter Meinungen auszudrücken – so, wie es eben in einer freien und offenen Gesellschaft üblich ist. Ich hoffe sehr, dass Sie zu diesem Punkt keine weiteren Informationen benötigen. Und falls es Vertretern des konservativen Tango ungewöhnlich vorkommen sollte: Auch die Erlebnisse oder gar Artikel von Frauen (so wie meiner) werden auf diesem Blog weiterhin eine Rolle spielen.

Ob ich ein „bösartiger Mensch“ bin – darüber gibt es, typisch für eine pluralistische Gemeinschaft, durchaus unterschiedliche Sichtweisen, wie Sie ja selber andeuten. Und das ist gut so. Und nicht jeder" meiner Leser ist der gleichen Ansicht gerade das scheint Sie ja besonders aufzuregen.

Ich kann es auch ertragen, mit Moral in allen Löffelgrößen gefüttert zu werden. Schade finde ich es nur, wenn sittlich offenbar derart hochstehende Menschen dann nicht einmal die Höflichkeit besitzen, sich mir mit wahrem Namen vorzustellen. Das mindert die ethische Wucht des Auftretens leider etwas. Aber immerhin haben Sie meinen Namen (wenn auch falsch geschrieben) erwähnt.

Ich maße mir jedoch kein Urteil darüber an, was für ein Mensch Sie sind – das steht mir nicht zu und wäre mir auch nicht möglich. Daher nehme ich es erfreut zur Kenntnis, dass Sie auch ohne meine Gemahlin und mich wunderbar tanzen können.

Weiterhin viel Freude am (wie immer gearteten) Tango wünscht Ihnen
Ihr Gerhard Riedl

Edit:
Tatsächlich erhielt ich nun zwei weitere Botschaften des anonymen Schreibers mit ähnlichem Wortlaut. Ich zitiere die ausführlichere:

Im Übrigen ist der angepasste DJ von Leipzig Westimport ! :-) Sie sollten sich besser informieren, bevor Sie sich in politischer Polemik über die DDR auslassen....
Und vielleicht ist es sogar Ihre Art von "Satire", die den Ossi leider AFD wählen lässt.
Ihre Jana Böhmermann aus Sachsen.

Meine Antwort:

Nochmal: Geschlecht, Nationalität, Religion, Weltanschauung oder Herkunft eines DJ sind mir sowas von Wurst – für mich zählt ausschließlich, wie er auflegt.

Wo Sie die „politische Polemik“ in meinem Artikel finden, bleibt Ihr Geheimnis. Allerdings hätte ich mit der Behauptung recht gehabt, dass die Stimmenanteile der AfD im Osten tendenziell höher sind. Falls Sie Statistiken lesen können:


Darum geht es mir aber ebenfalls überhaupt nicht. Meine AfD-Anspielung sollte andeuten, dass es vielleicht derzeit weit unsympathischere Zeitgenossen gibt, welche Gästen und Interessenten gegenüber zumindest aufgeschlossener tun.

Ansonsten bin ich weiterhin gerne bereit, mit Ihnen über das zu diskutieren, woran mir liegt: Tango. Irgendwelche politischen Ossi-Debatten führen Sie bitte bei Bedarf auf anderen Foren. Weitere Beiträge zu diesem Thema würde ich kommentarlos löschen.
 

Kommentare

  1. Lieber Herr Riedl,

    ich beschäftige mich selber seit einiger Zeit mit dem getunten (von Tuning, nicht von Tunte) Import-Produkt Tango Argentino, habe damit überwiegend meinen Spaß und zum Teil eben nicht.

    Der Teil mit dem Spaß sorgt dafür, dass ich den Tango immer noch zu meinen Hobbies zähle. Der spaßfreie Teil bringt mich dahin, zu überlegen, wie ich mit diesem Teil meiner Freizeit umgehe. Mit diesem Teil darf ich beginnen.

    Der spaßfreie Teil ist von Personen und Situationen auf und dicht neben der Tangofläche geprägt, die - zusammengefasst und verkürzt gesagt - den Respekt und die Höflichkeit gegenüber dem Mittänzer vermissen lassen. Es gibt auf jeder Tangoveranstaltung, sei es Übungsabend, sei es Milonga, mindestens einen Lapsus über den ich irritiert bis verärgert bin.

    (Besonders ärgerlich finde ich das im Biotop des Tango, weil hier die Ansprüche an die Protagonisten ja besonders hoch sind, was Eleganz, Respekt, Nachhaltigkeit und Liebenswürdigkeit anbelangt. Ginge es nur um irgendeinen Dorf-Bums wären die Ansprüche und damit meine Irritationen nicht so groß.)

    Aber ehrlich gesagt passiert mir solcherlei jeden Tag auch überall anders (Autobahn, Supermarkt, Schwimmbad, Sportstudio ...)

    Also zurück zu dem Teil MIT dem Spaß: mit den richtigen Menschen getanzt und erlebt ist der Tango für mich lustig bis schön bis wunderbar bis einfach nur 'geil'. Die Grundstimmung hierfür ist aber eine ausgesprochen lockere und gelöste. Dafür muss ich einfach in der Lage sein, den Krampf des spaßfreien Teiles auszublenden.

    Und das wünsche ich mir an dieser Stelle nun für uns alle. Für Sie selber, für mich, für die Menschen, die mit uns tanzen und für den geneigten Teil Ihrer Leserschaft: genießen wir die Lockerheit und Schönheit des Tango, die Lockerheit und liebenswürdige Süffisanz Ihrer Tango-Artikel und blenden wir einfach den krampfenden Rest des Tangobiotops aus. Dazu gehört eben auch, dass wir nicht jedem tangover-NARR-ten Selbstdarsteller den Raum öffnen, auch nur einen Teil unseres Lebens zu bestimmen.

    Was mich betrifft, wird nämlich der Tango immer nur Freizeit und Erholung sein, niemals Religionsprothese oder Broterwerb.

    Viele Grüße aus Freiburg
    Joachim Gutsche

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    1. Lieber Joachim,

      ich möchte Ihnen ein großes

      "Daumen hoch"

      bzgl. Ihres Kommentars schicken.

      Herzliche Grüße
      Sandra

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  2. Na, da schließe ich mich doch meiner Vorrednerin aus vollem Herzen an!

    Über die Vorzüge des Tango müssen wir nicht diskutieren. Was die Schattenseiten betrifft: Klar nervt es erheblich, wenn Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander driften. Für einen Satiriker entsteht so aber genau die Fallhöhe, welche ihm die Ausübung dieser Literaturgattung erst ermöglicht. Insofern macht mich das lockerer, nicht verkrampfter.

    Ich weiß, es ist für Menschen, die lieber auf eine Pointe verzichten als auf einen Freund, schwer nachvollziehbar, wenn Verrückte wie ich das umgekehrt sehen. Aber auch diese Art zu schreiben ist eine Leidenschaft – wie der Tango.

    Milongas – gerade die „angesagten“ - sind ein „Dorf-Bums“! Wenn man sie mit dieser Erkenntnis besucht, wird vieles leichter.

    „Die Füße im Schlamm der Straße und der Blick zu den Sternen gerichtet“ – das ist für mich Tango. Als Religion oder Einkommensquelle dagegen wird er fürchterlich. Dann muss man sich nämlich anpassen.

    Schöne Grüße!
    Gerhard Riedl

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  3. Da, schon geht’s wieder los: Realsatire!

    Da es mich im Schummerlicht vieler Tangogarderoben nervt, meine schwarzen Schnürsenkel (wenn sie denn mal rausrutschen) in die Ösen meiner gleichfarbigen Sneakers zu puzzeln, habe ich mir gestern rote (!) Schnürsenkel bei Amazon bestellt Wer’s nicht glaubt:

    https://www.amazon.de/SNORS-Schn%C3%BCrsenkel-FLACHSENKEL-90cm-Dunkelrot/dp/B01AV2YSXQ/ref=sr_1_6?ie=UTF8&qid=1504781925&sr=8-6&keywords=schuhb%C3%A4nder+rot

    Heut krieg ich die Rechnung – und wo sitzt die Lieferfirma?
    SNORS shoefriends | Untere Aktienstrasse 7 | 09111 Chemnitz GERMANY

    Bin ich froh, dass ich mir keine roten Socken bestellt habe…

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