In die Röhre geguckt?
Das
vierte Bild in Bertolt Brechts „Leben
des Galilei“ ist sicher eine Schlüsselszene des Schauspiels. In Anwesenheit
des Großherzogs von Florenz, auf dessen Förderung er angewiesen ist, versucht
der Astronom Galileo Galilei wissenschaftliche Kollegen von seinen Zweifeln am geozentrischen Weltbild (also mit der
Erde als Mittelpunkt des Universums) zu überzeugen:
Die
vier größten Jupitermonde drehten sich nämlich nach seinen Beobachtungen nachweislich
um diesen Planeten und nicht um die Erde. Zu Ehren des florentinischen
Herrscherhauses (Medici) hatte Galilei sie als „mediceische Gestirne“
bezeichnet.
Eine
Hinwendung zum (heute gültigen) heliozentrischen
Weltbild des Kopernikus galt in der katholischen Kirche als gefährlicher
Umsturz. Daher weigern sich die Gelehrten
in Florenz, sich per Blick durchs Fernrohr von den Realitäten zu überzeugen,
indem sie sophistische Debatten vom Zaun brechen.
Einige
Auszüge:
Der
Philosoph: „Herr Galilei, bevor
wir Ihr berühmtes Rohr applizieren, möchten wir um das Vergnügen eines Disputs
bitten. Thema: Können solche Planeten existieren?“
Der
Mathematiker: „Eines formalen
Disputs.“
Galilei: „Ich dachte mir, Sie schauen einfach durch das Fernrohr
und überzeugen sich?“
Der
Philosoph: „…möchte ich in
aller Bescheidenheit als Philosoph die Frage aufwerfen: Sind solche Sterne
nötig? (…) Das Weltbild des göttlichen Aristoteles (…) ist ein Gebäude von
solcher Ordnung und Schönheit, dass wir wohl zögern sollten, diese Harmonie zu
stören.“
Galilei: „Wie, wenn Eure Hoheit die sowohl unmöglichen als auch
unnötigen Sterne nun durch dieses Fernrohr wahrnehmen würden?“
Der
Mathematiker: „Man könnte versucht
sein zu antworten, dass Ihr Rohr, etwas zeigend, was nicht sein kann, ein nicht
sehr verlässliches Rohr sein müsste, nicht? (…) Es wäre doch viel förderlicher,
Herr Galilei, wenn Sie uns die Gründe nennten, die Sie zu der Annahme bewegen,
dass in der höchsten Sphäre des unveränderlichen Himmels Gestirne freischwebend
in Bewegung sein können.“ (…) Warum einen Eiertanz aufführen? Früher oder
später wird Herr Galilei sich doch noch mit den Tatsachen befreunden müssen. Seine
Jupiterplaneten würden die Sphärenschale durchstoßen. Es ist ganz einfach.“
Galilei: „Ich bin es gewohnt, die Herren aller Fakultäten
sämtlichen Fakten gegenüber die Augen schließen zu sehen und so zu tun, als sei
nichts geschehen. Ich zeige meine Notierungen, und man lächelt, ich stelle mein
Fernrohr zur Verfügung, dass man sich überzeugen kann, und man zitiert
Aristoteles. Der Mann hatte kein Fernrohr!“
Der
Philosoph: „Wenn hier
Aristoteles in den Kot gezogen werden soll, eine Autorität, welche nicht nur
die ganze Wissenschaft der Antike, sondern auch die Hohen Kirchenväter selber
anerkannten, so scheint jedenfalls mir eine Fortsetzung der Diskussion
überflüssig. Unsachliche Diskussion lehne ich ab. Basta.“
Vom
anwesenden jungen Großherzog Cosimo de
Medici kommt übrigens nur die naive Frage: „Ist etwas nicht in Ordnung mit meinen Sternen?“
Das
Ganze erinnert mich sehr an zurückliegende Diskussionen mit Vertretern des rein traditionellen Tango:
Das
pseudohistorisch zusammengekupferte Weltbild
des tänzerischen Idealzustands der 1940-er Jahre mit ihrer
unvergleichlichen Musik ist ebenso wenig zu erschüttern wie der Glaube, es
habe schon immer den einen, reinen Salontanzstil gegeben, die durchgehend
ehernen Regeln zu Bewegungsweise, Auffordern und Musikanordnung. Da kannst du
widersprechende Quellen zitieren bis zum Umfallen: keine Reaktion! Nein, ein „Gebäude
von solcher Ordnung und Schönheit“
darf man einfach nicht zum Umsturz bringen!
Und
Piazzollas Musik ist entweder kein
Tango (ältere Fassung), zum Tanzen ungeeignet (neuere Version) oder wurde vom
Komponisten selbst als nicht tanzgeeignet bezeichnet (neueste Ausgabe). Alles
zwar nicht wahr, aber dennoch: Du kannst dicht vor ihren Augen zu „Libertango“ tanzen – sie weigern sich,
durchs Fernrohr zu sehen. Erstmal müsse man ihnen beweisen, dass es überhaupt
Sinn mache, durch die Röhre zu gucken… Ja, die Jupitermonde und der Tango nuevo sind vor allem
eins: unnötig.
Und
dass du seit vielen Jahren Frauen ganz normal um einen Tanz bittest, anstatt
ihnen Löcher in die Figur zu starren und dennoch kaum einen Korb kriegst und
man sich erklärtermaßen nicht sexuell belästigt, sondern hocherfreut zeigt – vergiss
es: „Früher oder später wird Herr Riedl
sich doch noch mit den Tatsachen befreunden müssen.“ Auch mit der Tatsache,
dass auf Milongas, in denen ich tanze, offenbar der Notarzt im Dauereinsatz
ist, um die von mir verletzten oder psychisch gepeinigten Mittänzer zu
versorgen.
Und
der Gipfelpunkt, den mir gerade der stets äußerst feinsinnig
kommentierende Herr Bruno Rogalla
wieder einmal klar gemacht hat: Es ist einfach eine mir nicht zustehende „Unverschämtheit“, Erscheinungen im Tango
zu kritisieren – oder, in der Version des 17. Jahrhunderts: „Wenn hier Aristoteles in den Kot gezogen
werden soll…“ Nein, bestimmte Autoritäten darf man schlicht nicht
angreifen, da geht’s nicht um Argumente, sondern die fehlende Erlaubnis!
Und
die führenden Herrscher des Tango schweigen sich aus oder brabbeln höchstens
irgendeinen Dünnsinn…
Das
Schlimme an Brechts Drama ist übrigens, dass es ziemlich genau den historischen Fakten folgt: Galileo
Galilei musste seinen Theorien abschwören und kam so zwar um Folter sowie Scheiterhaufen
herum, musste sich aber die restlichen Jahre seines Lebens mit Hausarrest und Publikationsverbot
abfinden. So lautete das Urteil der päpstlichen Inquisition vom 22.6.1633 –
doch schon am 2.11.1992 wurde er von der katholischen Kirche rehabilitiert – schlappe 359 Jahre später.
Hoffen
wir, dass es nicht so lange dauert, bis wir auf einer normalen Milonga mal auf Gardel und Piazzolla tanzen dürfen.
Scheiterhaufen gelten ja heutzutage bei uns nicht mehr als humaner Strafvollzug
– und nicht auszudenken, wenn Galilei damals schon ein Blog gehabt hätte!
Wenn
ich das nächste Mal mit einer Tänzerin einen Tango nuevo tanze, habe ich mir
fest vorgenommen, danach den Galilei zugeschriebenen (und auf die Erde
bezogenen) Satz zu murmeln:
„Eppur
si muove“ („Und sie bewegt sich doch“)
Zumindest bei den Scheiterhaufen bin ich zuversichtlich. Sie würden wegen zu hoher Feinstaubwerte heute sicher verboten werden. Im übrigen kann man sich bei Mode relativ sicher sein, dass sie zyklisch ist. Hoffen sollte man nur, dass die Torquemadas der Tangowelt diese nicht vorher zu Tode gelangweilt haben.
AntwortenLöschenJa, und das Schlimmste: Zu Tode zu langweilen ist keine Straftat!
LöschenAber, wie schon öfters erwähnt, bei den Zyklen bin ich bei meiner Lebenserwartung skeptisch.
Nur für die weniger gebildeten wie mich, die den Namen erst nachschlagen müssen: Tomás de Torquemada war der erste Großinquisitor Spaniens.
Übrigens war man sich über die Entstehung der Bewohner Amerikas uneins: Torquemada war der Meinung, dass die Menschen und Tiere Amerikas von Engeln über den Ozean getragen worden seien, während viele Konquistadoren und später auch der geographisch interessierte Jesuitenpater Lafiteau, der Missionar in Kanada war, schlechthin bestritten, dass die Indianer von Gott geschaffen seien. Nur Atheisten könnten so etwas behaupten.
Da gibt's doch bestimmt ein Soft-Air update für, oder?
LöschenOhhh, nein, du hast (..)bis wir auf einer normalen Milonga(..) "normalen" geschrieben.... :'''( Da geh ich doch noch lieber zum Tango Salon jetzt am Freitag und in der nächsten Spielzeit im Staatstheater Wiesbaden, sogar im Rahmen der Maifestspiele nächstes Jahr ;-P
LöschenIch bin sicher, man könnte bei Bedarf schadstoffreduzierte Scheiterhaufen konstruieren. Hat bei den Dieselfahrzeugen doch auch geklappt...
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