400 Titel reichen
Der
„Offene Brief an die Tangoveranstalter“
und mein Artikel „Es merkelt im Tango“
haben mir wieder einmal den Unwillen einer bekannten DJane und
Tangoveranstalterin eingebracht. Die Reihenfolge
ist typisch: Erstmal war sie beleidigt,
weil ich sie wegen ihrer teils unklaren Aussagen mit unserer Kanzlerin
verglichen und daher „Mutti“ genannt
hatte. Weiterhin warf sie mir vor, „hochgradig
unredlich“ zu sein wegen meiner angeblichen Behauptung, sie würde sich „der
inhaltlichen Argumentation verweigern.“ Und schließlich hätte ich geschrieben,
dass auf ihrer Milonga „immer dieselbe sterbenslangweilige Musik gespielt“ werde.
Das
mit der „Mutti“ stimmt – aber was
Frau Merkel aushält, mute ich auch
meiner Kollegin im Tango zu. Alles andere ist Mumpitz: Richtig ist, dass ich
den traditionellen Tangoveranstaltern eine mangelnde Bereitschaft attestiert
habe, ihr Musikangebot näher zu erläutern oder gar Playlists zu veröffentlichen
– und in zahlreichen anderen Blogbeiträgen habe ich sehr wohl festgestellt, die
Tandas konservativ eingestellter DJs seien tendenziell oft fantasielos
aufgebaut und ließen tänzerische Dynamik vermissen.
In
ihren Antworten musste sie zugeben, hier nicht persönlich angesprochen worden zu sein. Aber das wäre ja gerade die
Gemeinheit: „…du
beherrschst meisterlich das Verfahren, etwas allgemein, im Tenor eines Textes,
zu behaupten, aber selbstverständlich nicht als persönlich zurechenbares
Zitat.“ Dies sei der Grund, warum ich „ständig dementieren“ müsse. (Zitate aus
unserer geschlossenen FB-Gruppe „Was Sie
schon immer über Tango wissen wollten…“)
Nein, werte Dame, dementieren muss ich wegen des ständigen Blödsinns, der über mich und meine
Texte verbreitet wird! Anscheinend kann oder will man nicht zwischen einer persönlichen und allgemeinen Kritik unterscheiden: Wenn ich beispielsweise erkläre, „die Polizei“ würde gegen
Gesetzesbrecher nicht streng genug vorgehen, erschließt sich schon dem gesunden
Menschenverstand: Es gibt ganz unterschiedliche Delikte, Situationen,
Gesetzesbrecher – und vor allem Polizisten. Es wäre grober Unfug, wenn der
Polizeimeister X von der Wache Y dann behauptete, er würde in meinen Augen Ganoven nicht hart genug verfolgen.
Wie bereits im ersten Beitrag meines Blogs vor fast vier Jahren angekündigt,
bin ich bei Kritik an real bekannten
Personen umso vorsichtiger, je negativer
meine Einschätzungen ausfallen. Ich halte das für keine Gemeinheit, sondern im
Gegenteil für Rücksichtnahme. Und
selbstredend können sich einzelne Polizisten, Veranstalter oder DJs hier melden
und dartun, dass und warum meine Einschätzungen auf sie persönlich nicht
zutreffen. Ich würde mich darüber freuen!
Dies als lange Vorrede,
da mir das heutige Thema garantiert wieder Vorwürfe dieses Kalibers einbringen
dürfte. Daher ganz vorsichtig und zum x-ten Mal: Ich besuche oft und nicht
ungern auch Milongas mit rein
traditionellem Musikangebot. Jenseits meines Bedauerns, nicht auch
modernere Aufnahmen geboten zu bekommen, ist die Auswahl der DJs manchmal
wirklich abwechslungsreich und zum Tanzen motivierend. In der Mehrzahl der
Fälle stelle ich jedoch fest, dass sich oft dieselben Stücke und Tandas wiederholen. Das finde ich langweilig. Mich
verfolgt seit langer Zeit die Frage: Wer schreibt da eigentlich von wem ab?
Zufall halte ich für unwahrscheinlich.
Jüngst stolperte ich über ein Angebot der bekannten Hamburger
Firma „Danza y movimiento“ aus dem
Jahr 2013: Ein Datenstick mit garantiert GEMA-freien
Tangoaufnahmen (von dieser Institution geprüft und besiegelt). Tangolehrer
und Veranstalter könnten eine Nutzungsvereinbarung
mit obiger Firma abschließen und seien so garantiert von Urheberrechts-Abgaben
befreit.
Nach momentanem Stand (August 2017) enthält die Datei folgende Titel:
„40
Aufnahmen von Troilo, 10 von Biagi, 32 von Firpo, 10 von Lomuto, 6 von Canaro,
41 von d’Arienzo, 17 von Pugliese, 37 von de Caro, 22 von Donato, 11 von
Arolas, 54 von di Sarli, 4 von Gobbi, 6 von Demaria, 18 von Gardel, 7 von
Cambareri, 7 von Tipica Victor und der Rest von anderen Interpreten - etwa 75
Aufnahmen sind mit Gesang, somit etwa 305 instrumental - etwa 330 Tangos, 13 Milongas, 17 Valses und
der Rest andere Rhythmen - die Datenbank enthält ca. 170 unterschiedliche
Werke, da einige Titel in Einspielungen von unterschiedlichen Orchestern
vorliegen - einige Titel kommen mehr als
einmal, allerdings in unterschiedlicher Klangqualität vor.“
(Gardel - also pfui!)
Insgesamt seien dies zirka 380 Stücke. Welche genau, wird
wohlweislich verschwiegen, sonst könnte man sich die Aufnahmen eventuell auch
von anderen Musikportalen herunterladen – für wenig bis gar kein Geld…
Und eine Weitergabe
der Dateien an Dritte ist selbstverständlich untersagt.
Auch selber darf man diese Musik nicht unbegrenzt nutzen,
sondern lediglich innerhalb einer Vertragsdauer
von 5 Jahren. Die Preise hierfür betragen momentan
850 € (für das mp3-Format) bzw. 995 € (unkomprimierte WAV-Datei)
– inklusive 7 Prozent Umsatzsteuer macht das also etwa 910 bzw. 1065 €.
(Eine „Smartrate“ von
600 € gibt es „auf Anfrage und nur für
Kleinunternehmer mit speziellem Nutzen wie z.B. als Hintergrundmusik“.)
Wenn wir einmal vom Basisangebot (850 € + 7 % USt, mp3)
ausgehen, so sind das monatliche Kosten von gut 12 €. „Danza y Movimiento“
argumentiert logischerweise so: Wer bislang mehr als diesen Betrag an die GEMA
entrichten musste, spart mit diesem Angebot Geld.
Allerdings nur, wenn er außer diesen knapp 400 Titeln nichts anderes mehr auflegt – und schon
gar keine moderne Tangomusik…
Auf die Gefahr hin, nun wieder als „Verschwörungstheoretiker“
bezeichnet zu werden: Irgendwie habe ich schon ganz lange den Eindruck, dass
manche DJs aus einem Fundus in dieser Größenordnung auflegen: Bekanntlich gibt
es in konservativen Kreisen den Begriff „EdO-Kernrepertoire“.
(Dessen Umfang wird unterschiedlich beziffert: Swetoslaw Beltschew spricht in Cassiels
Blog einmal von 1600 Titeln – vielleicht besitzt er ja vier dieser Sticks…)
Aber im Ernst: Es liegt mir fern, einzelnen traditionellen DJs
etwas zu unterstellen. Abgekupfert allerdings wird in der Branche, dass Gott
erbarme. Und bei der besagten Hamburger Firma hat man dieses Angebot im Laufe
von fünf Jahren ausgebaut. Ich halte es daher für nicht wahrscheinlich, dass es
keinen Erfolg hat.
Und erst recht hat die angesprochene DJane sicher keinen solchen
Stick – und ihre Vorliebe für die ganz alte Tangomusik ist sicherlich nicht auf
GEMA-Vermeidung zurückzuführen. Daher rate ich vom prophylaktischen Beleidigtsein ab!
Übrigens darf man diese GEMA-freie Musik nicht nur zur „Beschallung
von Räumen“ einsetzen, sondern auch für „Telefonwarteschleifen“.
Dies beschreibt für mich ganz zutreffend den Eindruck, welchen ich in manchen
Milongas habe. Allerdings sollte die Firma alsbald ihren Namen ändern: „Danza“
heißt ja „Tanz“ und „Movimiento“ „Bewegung“ – ich würde daher zukünftig „Caminar y Abrazo“ vorschlagen…
Quellen:
https://www.danzaymovimiento.com/index.php/de/gemafreie-musik/hintergrundinformationen
Abgesehen von den reinen Zahlen würde mich vom Erwerb schon mal der in meinen Augen.extrem hohe Instrumental-Anteil vom Kauf abhalten. Und ansonsten ist, wie Du ja vorgerechnet hast, der Business Case wirklich nicht toll - ausser für den Anbieter. Zudem war ich überrascht - ich hätte gedacht, in der TJ-Community würden Listen mit solchen Stücken frei zirkulieren. Wäre so eine Liste nicht mal was für eine akademische Arbeit in einem einschlägigen Fachbereich?
AntwortenLöschenFrei zirkulierende Listen habe ich auch schon gesehen – den Link finde ich auf die Schnelle aber nicht mehr. Und natürlich gibt es auf FB und YouTube jede Menge „Tandas of the week“.
AntwortenLöschenOb sich das für den Veranstalter rentiert? Bei größeren Milongas ergeben sich monatlich wohl dreistellige GEMA-Abgaben. In dem Fall ist es schon eine Ersparnis.
Übrigens höre ich auf streng traditionellen Milongas überwiegend instrumentale Titel. Zufall?
Legt man modernere Tangomusik auf (so wie ich), gibt es kaum Vorlagen dieser Art. Da darf man dann so richtig kreativ sein!
Beste Grüße
Gerhard
Hm ja...was Instrumental angeht, ist natürlich sehr subjektiv, aber stimmenlose Musik ist nicht so mein Ding, in kleiner Dosis gehts, aber irgendwie fehlt mir da eine Dimension. Und hm ja zum Businessmodell. Klar, wenn man das ganze Programm mit dieser lizenzfreien Musik bestreitet - sonst wärs ja eine Mischkalkulation und es fielen immer noch GEMA- Gebühren an, nur halt weniger.
AntwortenLöschenGenau!
LöschenUnd übrigens beeinflussen auch für mich Sänger(innen) ganz wesentlich den Charakter eines Tango.
Instrumental vs. mit Gesang ;-)
LöschenSo unterschiedlich können die Geschmäcker sein. Ich steh auf rein instrumental und habe den Eindruck, dass die Leute häufig nur deshalb auf Gesang fixiert sind, weil sie keinen Sinn für die Musik haben ;-)
Ciao, Robert
Tja, darum besuchen auch gerade besonders unmusikalische Menschen Opern...
LöschenNaja, die besuchen aber auch Instrumentalkonzerte, Sinfonieorchester, Jazzabende usw. Alles (meist) ohne Gesang, während die "Unmusikalischen" sich höchstens Popmusik und Schlager anhören (niemals ohne Gesang), und vielleicht ihre Lieblingssongs erst dann erkennen, wenn der Gesang anfängt ... ;-)
LöschenEs ist sogar noch schlimmer: Manche Texte werden für mich erst erträglich, wenn man sie mit Musik unterlegt.
LöschenAls Musizierende drängt es mich, Stellung zu dem Satz zu nehmen, dass „Leute häufig nur deshalb auf Gesang fixiert sind, weil sie keinen Sinn für die Musik haben ;-)“.
AntwortenLöschenLieber Robert: O weh! Was heißt denn dieses Smiley? Hoffentlich, dass du diesen Eindruck selbst nicht so ernst nimmst oder dir nicht sicher bist, ob er stimmt?
Das würde mich beruhigen!
Denn du kannst doch nicht wirklich glauben, dass Sinn für Musik den Gesang ausschließt? Da würde gleich eine Heerschar von Sängern sowie Liebhaber des Gesangs über dich herfallen!
Sänger gestalten mit ihrem Instrument (!), der Stimme, u.a. Textinhalte und erzeugen damit Wirkung bei den Zuhörern (wie gut es auch immer gelingen mag). Ein Sänger, der nicht weiß, was und wovon er singt, ist für mich nicht akzeptabel. Das gilt für die Aufführung von Kunstliedern, für Schlager, Oper, für den Tangogesang, die Kirchenmusik…
Ich erlebe leider immer wieder, in den verschiedensten Musikrichtungen, dass Musiker auf ihren Instrumenten Melodien brav nach dem vorgegebenen Notenmaterial herunterspielen bzw. -singen. Das kann’s einfach nicht sein!
Die Interpretation von Kompositionen, ob mit Text oder ohne, erfordert von jedem Instrument, eben auch der Stimme, und vom Zuhörer sehr viel musikalischen Sinn!
Naja, ich verwende den ";-)" immer gemäss seiner Bedeutung: zum Andeuten von Augenzwinkern ...
Löschen(Und wie ich meinen Spruch gemeint habe, kannst vermutlich meiner Antwort an Gerhard entnehmen)