Weltmeister-Kulturerbe
Die
Tango-Weltmeisterschaft (span. Campeonato Mundial de Baile de Tango), in der
Tango-Szene als „Mundial“ bekannt, findet seit 2003 jedes Jahr in Buenos Aires
statt. Teilnehmen können Amateure und Profis aus der ganzen Welt, seit 2013
auch gleichgeschlechtliche Paare. Im Jahr 2016 erreichte erstmals ein solches
Paar das Finale.
Da sich der Tango
Argentino nicht als Tanzsport mit Wettbewerben versteht, gibt es im Gegensatz
zum europäisierten Standardtanz Tango keine vergleichbaren Meisterschaften. Bei
der Mundial, die von der Stadt Buenos Aires veranstaltet wird, handelt es sich
um einen inoffiziellen Weltmeistertitel. Dieser wird in zwei Kategorien
vergeben:
- Tango de Pista (bis 2012: Tango de Salón), der für den
improvisierten gesellschaftlichen Tanz in Milongas vergeben wird
- Tango Escenario, dem choreographierten und
showorientierten Bühnentango
Im Vorfeld der
„Mundial“ finden in zahlreichen Ländern ab Frühjahr des Jahres ebenfalls offene
Meisterschaften und inoffizielle Tango-Wettbewerbe statt. Die Sieger können bei
dem Mundial zu einem späteren Zeitpunkt einsteigen und müssen nicht durch die
Vorrunden-Gruppen.
Seit spätestens 2003 ist nun also auch
der Tango argentino beim Preistanzen angekommen – fast hundert Jahre nach dem, was später „Standardtanz“ genannt wurde: 1912 fand im Berliner
Admiralspalast das erste deutsche Tanzturnier
statt.
„Was tanzen nun diese feinen Leute (…)? Es sind durchwegs ‚Herrschaften',
Botschafts-Attachés und dergleichen. Häufig treten sie unter Pseudonym an, und
ihre Damen werden oft überhaupt nicht genannt.
Na prima, da hätten wir doch schon mindestens
zwei Parallelen zum heutigen Tango: Namen
werden öffentlich nicht gerne genannt – und die Tänzerinnen sind schon gar nicht
erwähnenswert. Vor allem aber tanzte man sintemalen im Turnier Onestep, Boston
und… natürlich auch schon Tango!
Der rastlose Reporter Thomas
Kröter verfolgte den Wettbewerb (wie wohl alles im Tango) auf YouTube und
war not amused. Auf Facebook schrieb
er vor zwei Tagen, speziell bezogen auf die heurigen Weltmeister im Bühnentango:
Wahrlich,
auch mich erinnert die Performance eher an eine technisch perfekte Turnübung
als an etwas, das mich als „Tangogefühl“ reizt. Die Parallelen zum Turniertanzsport im Standard und Latein
sind unübersehbar.
Mag
schon sein – immerhin rappeln die nicht die hunderttausendste Cumparsita
herunter, sondern tanzen ausnahmsweise mal zu Piazzollas „Balada para un loco“ –
und erzählen sowas wie eine Geschichte. Stellenweise trampeln jedoch auch sie
sich ziemlich unbeeindruckt vom träumerischen Meisterwerk durch die
Choreografie. Schließlich muss man ja in seiner Kür genügend Höchstschwierigkeiten einbauen
(vergleichbar den Vierfachsprüngen beim Eiskunstlauf).
Eine gute Bühnenshow zielt halt auf die Herzen der Zuschauer, ein Tanzwettbewerb auf die Gehirne der Preisrichter!
Eine gute Bühnenshow zielt halt auf die Herzen der Zuschauer, ein Tanzwettbewerb auf die Gehirne der Preisrichter!
Wie
ich schon in einem früheren Beitrag erwähnt habe, hat die Geschichte noch eine
ernstere Dimension: Viele Musiker und Tänzer aus Buenos Aires sind stinksauer
auf das Gedöns mit der „Mundial“, da sie die dort reichlich verteilten Fördergelder für verschwendet halten –
vor allem angesichts der Tatsache, dass für den Tango als „Volkskultur“ kaum
etwas übrig bleibt und so in bodenständigeren Veranstaltungen die Lichter
ausgehen.
Dies
empört auch die Startänzerin Nicole Nau,
die auf Facebook ziemlich hart mit den Wettbewerben ins Gericht geht:
„Wenn
Bewegung trotz allem ‚sich Bewegen‘ statisch bleibt, kann ‚Tanz‘ nie Tanz sein.
Bewegst Du Dich nur, oder tanzt Du schon? Tanzen, wahrhaftig tanzen ist halt
nicht einfach und durch noch so komplexe Bewegungsabläufe nicht zu ersetzen. (…)
Ganz
abgesehen davon, dass die Kategorieeinteilungen eh idiotisch sind. Als könne und
dürfe man auf der Bühne nicht ‚al piso‘ tanzen (wo sonst, den Tango Argentino,
wenn nicht am Boden?) und könne und müsse sich im Salon benehmen, als sei man
schon weit über 70. Es gibt einen einzigen Tango Argentino, und ein ganzes
komplexes Volk, das ihn tanzt, von daher wird und sollte das Bild immer
schillernd sein. Nicht wie mit der Schere geschnitten, dasselbe machend. (…)
Es ist
halt ein Staatsgeschäft, diese WM, in das bestimmt auch die Gelder der UNESCO
fließen, und natürlich die vielen Devisen der Touristen. (…) Unter die Haut
geht da nichts. Und darum ginge es aber in der Kategorie ‚escenario‘, dem Publikum
etwas zu erzählen, es zu bewegen. (…) Finalisten der WM, obwohl sie in der
Kategorie ‚Bühne‘ gewinnen, lernen auf diese Weise leider das komplexe
Geschehen Bühne nicht ansatzweise kennen, und Finalisten der Kategorie ‚Salon‘
leider eben auch nicht das Geschehen im Salon. (…) Dass es Spaß macht, dort mitzumachen, finde
ich klasse! Und ich schreibe auch nicht gegen die Teilnehmer! Aber aus einem
Wissen, das ich manchmal lieber nicht hätte. Denn sie wissen nicht, was sie
tun. Ein Schaden, der irreparabel ist.“
Zunächst einmal bin ich der deutschen „First Lady“ des Tango
unendlich dankbar, dass sie den heutigen Protagonisten hierzulande so einiges
ins Stammbuch schreibt: Ja, es gibt nur
einen Tango, und der ist schillernd und vielgestaltig und nicht
scherenschnittartig wie auf vielen traditionellen Milongas. Und Tanzen ist mehr
als Bewegung – und viel mehr als „umarmtes Gehen“…
Der Standardtanz-Trainer Karl Klöpfer kommentiert das mit den Worten:
„Tanzen
könnte so schön sein, wenn es keine Wettbewerbe gäbe. Aber der Kommerz will es
so – leider.“
Da wir früher selber Turniere getanzt haben, wage ich
einen Einspruch: Von Kommerz war bei unseren „Breitensport-Wettbewerben“ nichts
zu merken. Sicherlich erhielten die veranstaltenden Vereine eine Sportförderung
aus öffentlichen Mitteln – so wie Leichtathleten, Turner oder Schwimmer. Mehr
sollte es auch für Weltmeisterschaften nicht sein, welche man ja zusätzlich
über die Medien vermarkten kann. Uns ging es um die Freude am Wettkampf. Und
zweifellos ziehen solche öffentlichen Demonstrationen neue
Interessenten an.
Endgültig zu
weit aus dem Fenster lehnt sich Nicole
Nau jedoch mit ihrer Antwort darauf: „Umso wichtiger, den Tanz außerhalb aller
Kompetenzen zu leben, dem Kommerz den Rücken zuzudrehen.“
Das sagt jemand, der seit langer Zeit mit Tanzshows Geld
verdient... Die Marktlücke „argentinische
Folklore“ gibt da sicher einiges her – nur ist Tango mehr als einer der
vielen Volkstänze dieses Landes.
Nein, um Himmels willen – ich weiß, dass mir jegliche
Kompetenz fehlt, um diese authenthische… geschenkt!
Dennoch,
und nun komme ich zum Punkt: Auf etlichen Milongas (und gar Encuentros) wären
die beiden mit einer solch dynamischen Tanzweise des Saales verwiesen worden!
Und trotzdem höre ich aus der traditionellen
deutschen Tangoszene kein kritisches
Wort zu solchem Tun – und ich dachte immer, Tango sei absolut introvertiert
und keinesfalls für die Zuschauer zu tanzen… Wo bleiben denn da Cassiel, Sedó & Co, welche in
schöner Gemeinsamkeit auf mir herumgehackt hätten, wäre ich auf solche
Wahnsinnsideen verfallen!
Aber
der Grund ist ganz einfach: Man wird die Bestplatzierten dieses Jahres demnächst
wohl durch die Festivals treiben, um
möglichst viele Kurse, Workshops und Ballkarten zu verscherbeln. Kritik wäre da
einkommensmindernd.
Also
wird der Tango sich zunehmend dem olympischen Geist nähern: „Citius, altius,
fortius“ – was mein großes Vorbild Dieter
Hildebrandt einmal so übersetzte:
P.S. Alle Zitate sind – aus Feingefühl meinen Lesern gegenüber – rechtschreibkorrigiert.
Diese Veranstaltungen dienen ja nicht dem Tangopublikum sondern mehr dem Normaltouristen wie die Hulatanzvorführung auf Hawaii. Es ist Show, egal ob Escenario oder Salon. Beides geht so nicht in einer Milonga. Trotzdem hat Frau Nau recht mit “
AntwortenLöschen… und müsse sich im Salon benehmen, als sei man schon weit über 70.“
Es geht auch ohne Rentnertapsen nur das kostet dann Arbeit da hinzukommen.
Bsp: https://www.youtube.com/watch?v=k-RtsAARoAo
Ansonsten sind die Klassifizierungen m. E. Unsinn, jeder tanzt sein Tango, nicht mehr nicht weniger.
Gruss Bernd Corvers
Nettes Video - ja, so geht's auch!
LöschenDie "Mundial" dürfte bei 400 teilnehmenden Paaren schon vorwiegend Tangopublikum anziehen. Sollen sie - aber das öffentlich zu fördern und die kleinen Milongas Pleite gehen zu lassen, gefällt mir gar nicht.
Besten Dank für den Beitrag!