Tango Bootcamp
Nicht
nur in der hiesigen Tangoszene wetteifert man offenbar untereinander in der
Etablierung möglichst unpassender
Begriffe: Diese reichen von „traditionell“ und „authentisch“ über „sozialer
Tango“ plus „Führen und Folgen" bis zu meinem bisherigen Lieblingswort: „Workshop“.
Darunter
versteht man tangoseits einen Spezialkursus, welcher nur wenige Stunden dauert.
Mit der ursprünglichen Bedeutung hat dies so gut wie nie etwas zu tun:
„Aktive Teilnahme der
Gruppenmitglieder, Visualisierung der Ideen und Beiträge sowie eine offene
Planung in Reaktion auf die Gruppengeschehnisse. Dagegen ist es kein Workshop,
wenn primär Wissen vermittelt werden soll oder vermittelte Inhalte in der
Veranstaltung geübt werden. Wissensvermittlung in Workshops dient nur der Hilfe
zur Bewältigung von Aufgaben.“
Aber „Workshop“ klingt halt viel toller als „zweistündiger
Lehrgang“…
Nun aber droht offenbar die
Einführung eines noch dümmeren – gleichfalls englischen – Wortungetüms: „Bootcamp“.
Nach
dem „Arbeitsladen“ nun also das „Stiefellager“!
Zur
Herkunft des Begriffes:
„Als Bootcamp werden umgangssprachlich
bestimmte Einrichtungen zum Strafvollzug und zur Um-Erziehung von jugendlichen
Straftätern genannt. Der Name wurde von der umgangssprachlichen Bezeichnung für
die militärische Grundausbildung in den Vereinigten Staaten übernommen (Navy,
Army und Marines) bzw. vom Ort, wo diese stattfindet. Boot Camps werden nach
den disziplinarischen Grundregeln von US-Militäreinheiten geleitet. Die Philosophie
dieser Camps ähnelt der der Marines: Willen brechen, um ihn später wieder
aufzubauen.“
In letzter Zeit wird der Begriff wohl auch in anderen
Branchen (Computer- und Fitnessbereich) nachgeplappert – und nun im Tango für Schnell- und Intensivbleichen verwendet,
bei denen man (meist am Wochenende) in einer eindrucksvollen Stundenzahl das den
Tanzenden hineindrücken möchte, was bei organischer Entwicklung Monate oder
Jahre dauert.
Googelt man den Titelbegriff, so findet man eine Menge
Angebote aus dem englischsprachigen Raum – hierzulande ist die Auswahl (noch)
begrenzt. Drei Beispiele:
„Kommt zu Amaya und Felix, zu fünf Tagen non-stop Tango training.
Preise: 260 € oder der Frühblüher Rabatt 220 € bis zum 31sten Mai
(…)
Das Anfänger Bootcamp beinhaltet:
- 12 Unterrichtsstunden
- 10.5 Stunden Tango Trainings Café. Amaya und Felix sind in
dieser Zeit für euch da um Fragen zu beantworten
- 1 Milonga mit einem Glas Prosecco
- Es gibt die Möglichkeit noch eine privat Stunde mit Amaya un
Felix zu Buchen ( für einen extra Preis)
Na ja – „nonstop“ bei täglich zirka 4,5 Stunden (Unterricht und Practica) ist
ja noch relativ moderat, ebenso der Stundenpreis von wohl um die 10 €. Dennoch
wird man das Gratis-Glas Prosecco bei der Milonga gut brauchen können.
Bei einem „Milonga-Bootcamp“ (ersatzweise auch in „Sacada“ erhältlich) darf
man von Freitag bis Sonntag täglich 5 Stunden hintereinander üben (davon 2
Stunden als „betreutes Tanzen“ – auch ein schöner Begriff). Für insgesamt
schlappe 100 € (also einen Stundenpreis von knapp 7 €) ein echtes Schnäppchen!
Immerhin, so erfahren wir, habe die
Instruktorin ihre ersten Tangoschritte in „Camel Boots“ zurückgelegt – ein
schönes Beispiel für eine posttraumatische Belastungsstörung: 5 Stunden Milonga
(oder Sacadas) am Stück…
Aus der Fülle englischsprachiger Angebote ein besonders drolliges!
In zwei Mal anderthalb Stunden „Intensivkurs für alle Niveaus“ erhält man
eine „sorgfältige Auswahl von Material
aus unserem Tango argentino-Lehrplan: Grundlagen, Figuren, Führen und Folgen,
Umarmung, Haltung, Musik, Etikette, Improvisationstechnik.“
Da ist man dann den anderen, welche
hierfür Jahre brauchen, weit voraus!
Nicht überraschend, dass auch die
Miterfinderin des kasernierten Tangos, die Saarbrücker Firma Sedó und Engel, hierzu einen Premium-Beitrag leistet: In
ihrem „Tango-Bootcamp“ kriegt man in
Kleingruppen (höchstens 5 Paare) und 4
Wochenenden (Freitag bis Sonntag) insgesamt 80 Tangostunden
hineingedrückt – also täglich fast 7 Stunden! Ein „konzentriertes Arbeiten“ sei
da schon erforderlich… und das Ganze für lockere 1950 € pro Person (also einen
Stundensatz von fast 25 €).
Inbegriffen seien „Getränke, Obst und Snacks, um über den Unterrichtstag
zu kommen“ – dies übrigens in krassem Gegensatz zur traditionellen
saarländischen Lebensart: Erscht mohl
gudd gess, nix geschafft hann mir dann schnell!
Aber nicht, dass da nun jeder kommen könnte: „Tänzer/innen,
die noch nicht an unseren Workshops teilgenommen haben, möchten wir auf jeden
Fall vorher kennenlernen, um sicher zu stellen, dass die notwendigen Grundlagen
vorhanden sind. Wir empfehlen in diesem Fall wärmstens die vorherige Lektüre
unseres Grundlagenwerkes“.
Im Gegensatz zum klassischen Bootcamp muss die
Umerziehung also schon vorher stattgefunden haben!
Ob solche Intensivkurse etwas
bringen, ist für mich sehr fraglich: Tänzerische
Entwicklung braucht nach meinem Verständnis sehr viel Zeit, Muße,
verschiedenste Erfahrungen und vor allem Spaß. Ob man sich den bei solchen
Dauerbestrahlungen erhalten kann?
Der Tod eines 14-jährigen Schwarzen führte in den USA zu
tiefgreifenden Reformen im Strafvollzug, unter anderem in Florida zur
Schließung der fünf Bootcamps für Jugendliche. Martin Lee Anderson brach bei einem Dauerlauf zusammen und wurde von sieben
Aufsehern drangsaliert. Im nachfolgenden Strafverfahren (mit einer rein weißen
Jury) wurden seine Peiniger freigesprochen.
Die fällige moralische Empörung überlasse ich diesmal
dem Tangokollegen Thomas Kröter,
welcher neulich auf Facebook schrieb:
„Das Wort soll
signalisieren: strenger, effektiver Drill. Hier kriegt ihr was für euer Geld, Leute!
Aber passt das zusammen: Tango und Drill? Brechung der Persönlichkeit, damit ein
richtiger Kämpfer aus dem Haufen zivilen Mülls wird? Ich geh mal davon aus: Die
Tangobusinesspeople, die sich der militärischen Terminologie
befleißigen, werden derlei Ziele bestreiten. Ok, dann lasst den Quatsch! Suggeriert
den künftigen Tangueros/as nicht, es gebe einen Shortcut zum tollen Tangotanz,
wenn man/frau sich nur genug schindet. Die Arbeit am Tango iss hart und langwierig. Aber sie macht auch Spaß. Das Bootcampversprechen iss nix als ein großer, im Zweifel
gefährlicher BLÖDSINN.“
Ich darf noch hinzufügen:
Arbeit macht unfrei.
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