Karin Law Robinson-Riedl: Feminismus im Tango?



Ich muss gestehen, dass es mir bislang nicht nötig erschien, dieses Thema allgemein anzugehen: Emanzipation und Gleichberechtigung, wer streitet diese Errungenschaften einer modernen Demokratie bei uns noch ernsthaft ab?

Neulich jedoch habe ich hier einen Artikel der amerikanischen  Bloggerin Sasha Cagen besprochen, der mich mit überraschenden männlichen Ansichten konfrontierte, auf die ich in einem Folgebeitrag nochmal einging:


Auch dieser Text begegnete wieder männlicher Skepsis. Ich fand, es wäre an der Zeit, das Thema hier einmal aus weiblicher Sicht zu beleuchten. Daher freue ich mich über einen Gastbeitrag meiner Frau hierzu.

Wir beide lösen ja in unserer Umgebung durchaus unterschiedliche Einschätzungen aus. Mit Vergnügen erinnere ich mich an einen lange zurückliegenden Zauberauftritt von mir in einem Waldorf-Kindergarten. Nach der Vorstellung fragte eine Sozialpädagogin meine Frau, die mich wie üblich begleitete: „Ist der privat auch so ein Macho?“

An ihre Antwort kann sich Karin nicht mehr genau erinnern. Umso nötiger also ihre Sichtweise auf das Thema „Feminismus“, wobei sie sich stellenweise auch direkt an Kommentatoren der bisherigen Texte wendet:

Feminismus im Tango?

Der Feminismus hat aus meiner Sicht natürlich, geschichtlich und bis in die Gegenwart hinein, seine absolute Berechtigung:

Immer dort, wo Menschen benachteiligt, in ihrer Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit, ja in ihrer Würde missachtet werden, gab es und entstehen heute noch Bewegungen, die sich dagegen auflehnen, um das zu ändern.
Aufstände gegen Sklaverei, Befreiungskriege gegen Fremdherrschaft in aller Welt, Kampf gegen Diktaturen, Revolutionen gegen die Ausbeutung der Armen durch die Reichen usw.

Auflehnung von Menschen beiderlei Geschlechtes (!) gegen Ungerechtigkeiten jeder Art ist eine historische und aktuelle Erscheinung.

Der Feminismus stellt hier wohl einen Sonderfall dar. Hier kämpften und kämpfen bis heute vor allem Frauen dafür, dass ihnen dieselben Rechte zugestanden werden wie den Männern, wobei es durchaus auch Männer gab und gibt, welche die Gleichberechtigung der Frauen gedanklich und in der Tat unterstützen.

Frauen müssen gleichgestellt sein, im privaten wie im beruflichen und öffentlichen Leben! Diese Erkenntnis ist heute unumkehrbar.

Die Frage, ob „Feminismus“ heute noch nötig sei, wirkt angesichts der Situation vieler Frauen weltweit fast zynisch.

Es ist nicht ganz leicht, den Bogen von solchen wirklich existenziellen Problemen der Lebensbewältigung für Frauen zu ihrer Situation beim Tango zu schlagen.

Allerdings, lieber Robert, spiegelt diese vielleicht ein kleines Stück ernsthafte Lebenswirklichkeit wider:

Als ich mit dem Tangotanzen begann, war es für mich neu, dass man, außer bei Damenwahl, die es selbst auf konservativsten Tanzveranstaltungen ein- bis zweimal pro Abend gab, als Frau auch auffordern sollte. Das war nicht nur neu, sondern kostete mich – mangels Gewohnheit und daraus folgender Unsicherheit – Überwindung, die mir aber immer wieder gelang.

Sinnvoll erschien mir das eigene Auffordern dann, wenn ich den Eindruck hatte, dass sich ein Tänzer, aus welchen Gründen auch immer, seinerseits nicht „traute“, mich aufzufordern, oder wenn ich mich langweilte, weil einmal eine für mich zu lange Tanzpause eingetreten war. Letztere habe ich eine ganze Weile nur schlecht ertragen, weil ich es vom früher intensiv betriebenen Standard- und Lateintanzen nicht gewöhnt war.

Auch habe ich leider Milongas erlebt, wo eine so extreme Cliquen- und/oder Pärchen“wirtschaft“ herrschte, dass das Herumsitzen unvermeidbar gewesen wäre, hätte man sich nicht durch eigenes Auffordern bemerkbar gemacht. Bei solchen Milongas habe ich dann auch prompt mal einen Korb eingefangen, was mir allerdings ziemlich schnell klargemacht hat, dass man, wenn man schon auffordert, genau vorher beobachten und überlegen sollte, wen man sich aussucht. Das hilft, solche misslichen Erlebnisse zu verhindern. Aber ganz vermeiden lässt es sich nicht. Mein seelischer Schaden davon hält sich übrigens in Grenzen…

Ich selbst gebe grundsätzlich keine Körbe, bis auf extreme Ausnahmesituationen, die ich hier wohl nicht erläutern muss.

Keiner, also weder ein Mann noch eine Frau, sollte die Arroganz an den Tag legen, jemandem, der bei einer Milonga die hier ja wohl naheliegende Absicht kundtut, mit ihm tanzen zu wollen, eine Abfuhr zu erteilen. Das ist – leider fällt mir hierzu nur ein ganz altmodischer Ausdruck ein – schlichtweg unanständig. Man verpasst niemandem eine so völlig unnötige Demütigung. Und eine solche ist es immer, egal ob mit Augenkontakt oder verbal aufgefordert wird. Das Auffordern mit Mirada/Cabeceo ist nur weniger allgemein sichtbar. Der Stachel sitzt doch trotzdem in mir selbst, wenn meinem Blick ständig ausgewichen oder nicht reagiert wird!

Ob (und wie!) jemand, Frau oder Mann, beim Tanzen auffordert, ist ganz allein eine individuelle Entscheidung. Und niemand hat das Recht, darüber hochnäsig zu urteilen.

Aufforderungsverweigerung als eine verkappte Form des Feminismus – sorry, lieber Harri Bold, diese Schlussfolgerung finde ich doch ein bisschen verwegen! Glaubst du wirklich, dass Frauen zu einer Milonga gehen, um dort „ihren Feminismus“ zu praktizieren? Ich glaube, es ist viel einfacher: Sie wollen tanzen, und zwar möglichst mit Tänzern, die sich um ein schönes gemeinsames Tanzerlebnis bemühen und – hoffentlich wie sie selbst auch – sich zu benehmen wissen!

Der Feminismus hat bis heute seine politische, soziale Bedeutung, da er zu der allgemeinen Bewegung für Gleichberechtigung aller Menschen gehört, die mir persönlich wichtig ist.

Genderorientierte Regeln des Aufforderns, die bis zu einer „Ächtung“ von Frauen, die auffordern, gehen können, überfrachten und ruinieren  völlig unnötig den gleichberechtigten, natürlichen Umgang miteinander – sowie die Entspanntheit und Freude bei dieser wundervollen Freizeitbeschäftigung!

Vielen Dank für diesen Gastbeitrag! Karin weist noch auf einen sehr interessanten Artikel hin, in dem Feministinnen aus zwei Generationen zu Wort kommen:


Sicherlich sind „Ismen“ (auch der Feminismus) anfällig dafür, von Ideologen gekapert zu werden. Andererseits wurde ich aber leserseits aufgefordert, mir einen „guten Überblick über alle Abgründe des Themas“ zu verschaffen. Meine Studien führten mich u.a. zu diesem Artikel:

http://www.berliner-zeitung.de/familie/schlaege-bis-zum-tod-haeusliche-gewalt-hoert-nie-auf--in-der-regel-wird-sie-schlimmer-28074684

 

Kommentare

  1. Liebe Karin,

    ich kann beim Nachlesen meiner letzten Kommentare nirgends finden, dass ich "Aufforderungsverweigerung als eine verkappte Form des Feminismus" bezeichnet oder geschlussfolgert hätte. Wohl habe ich von Emanzipationsverweigerung gesprochen in Bezug auf zwei Tatbestände: A wenn Frau nicht auffordern will und B wenn Frau sich nicht gegen Herrklären wehrt, sondern nur darüber lamentiert. Letzteres habe ich als larmoyanten "Feminismus" bezeichnet. Die Anführungszeichen sollten sagen, dass das allenfalls Pseudofeminismus ist.

    Frauen habe das gleiche Recht wie Männer, zum Tanz zu bitten. Aber es gibt keine Verpflichtung, dieses Recht wahrzunehmen. Das akzeptiere ich mit Bedauern, allerdings nicht gleichzeitiges Klagen übers Sitzenbleiben.

    Herzlichen Gruß

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    1. Lieber Harri Bold,

      danke für die Rückmeldung.

      ‚Aufforderungsverweigerung als verkappte Form des Feminismus‘ – das hast du tatsächlich nicht geschrieben, sondern ich.
      Dies war meine Formulierung resp. Deutung deiner (rhetorischen?) Frage, ob das ‚willig-unwillig weibliche Warten auf männliche Aufforderung zum Tanz dann vielleicht nur das tangospezifische Reziprok zum männlichen Machismo: Weiblicher reziproker Machismus‘ sei (vgl. 21.8.17).

      Wie auch immer: Ob von männlicher oder weiblicher Seite aus – gemeint ist ein (ziemlich kindisches) Machtspielchen. Und wenn’s nicht klappt, sind alle beleidigt oder so.

      Nicht unbedingt mein Traum, wenn es um Freizeitgestaltung geht…

      Ich hoffe, du fühlst dich nun nicht mehr missverstanden!

      Viele Grüße
      Karin

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