Veganerin trifft Moskito



Heute stieß ich auf ein ziemlich neues Blog einer slowenischen Tangolehrerin: Unter dem Label „TangoCafé HANNAH Ljubljana“ schreibt dort Hannah A. Tomšič. Ich finde ihre Texte ziemlich direkt und frech – daher habe ich einen davon übersetzt:

„Sag ja zu dir – selbst wenn das ein Nein für ihn ist“

Männer beklagen sich oft darüber, dass sie die Frauen nicht verstehen. Kein Wunder. Es ist tatsächlich kompliziert, eine zu sein.

Die starke Neigung, sich um andere zu kümmern, ihre Nöte zu berücksichtigen und die Sorge um ihre Gefühle können manchmal darin enden, das eigene Wohlbefinden zu ruinieren.

Lassen Sie mich ein Beispiel geben:

Manchmal werden Sie, eine nette Frau, von einem Mann aufgefordert, der Ihnen beim Tanzen wirklich Schmerzen zufügt – natürlich nicht mit Absicht. Vielleicht ist sein linker Arm in einer seltsamen Position und verdreht Ihre Hüfte. Oder er presst Sie zu fest gegen seine Brust. Oder, noch schlimmer, er beugt sich so über Sie, dass Ihr unterer Rücken beim Versuch, den Kontakt im Oberkörper beizubehalten, höllisch leidet. Oder er stößt ständig mit seinen Knien an Ihre.

Das gefällt Ihnen zwar nicht, aber Sie stehen es durch. Ständig sagen Sie sich, es sei nicht wirklich sein Fehler, er wisse es einfach nicht besser.

Also nehmen Sie Ihren Mut zusammen und sprechen es nach dem ersten Stück der Tanda sehr nett und höflich an. Er nimmt es positiv auf, entschuldigt sich und gibt sich viel Mühe, es zu ändern – aber innerhalb von zehn Sekunden ist seine Aufmerksamkeit sonstwo, und Sie finden sich in der vorherigen, schmerzlichen Situation wieder. 

Nun haben Sie drei Möglichkeiten: Sie können ihn entweder nochmal dran erinnern. Dies wird mit Sicherheit das Vergnügen für die restliche Tanda zerstören: Er fühlt sich kritisiert und macht dicht. Sie werden sich schlecht fühlen, da Sie seine Gefühle verletzt haben, und die hauptsächliche Aufmerksamkeit beider wird sich auf diesen Punkt des Unbehagens richten. Und Ihr Fokus liegt von Anfang an auf dem Schmerz, also kümmern Sie sich nur um sich selber.

Zweitens können Sie den Mund halten. Sie merken, dass Sie nicht viel ausrichten können. Er ist unfähig, seine Haltung zu stabilisieren, jedenfalls nicht so schnell. So leiden Sie still während der restlichen Tänze. Natürlich versuchen Sie, in eine möglichst schmerzarme Position zu kommen, weh tut es jedoch trotzdem. Sie bewahren die höfliche Atmosphäre und sind stolz auf sich, Ihre freundliche Maske aufrecht zu erhalten und keine soziale Krise zu provozieren.

Denn genau dies wäre die dritte Option: Sich beim Partner nach dem nächsten Stück zu bedanken, auch wenn die Tanda noch nicht vorbei ist. Er wird betroffen sein, und Sie werden zur Zielscheibe anklagender Blicke der anderen Tänzer. Vielleicht kommen sogar Leute und erzählen Ihnen, dass sowas im sozialen Tango nicht erlaubt sei.

Sie haben recht. Soziales Tanzen bedeutet eine gewisse Verantwortlichkeit gegenüber der Gemeinschaft. Ich bin eine starke Verfechterin einer rücksichtsvollen Ronda, in der jedes Paar auf seiner Spur bleibt und auf das Paar davor und dahinter achtet. Jeder sollte das Parkett vorsichtig betreten und sogar beim Sitzen direkt an der Tanzfläche darauf achten, nicht mit Beinen oder Stühlen den Weg der Tänzer zu blockieren. Unnötig zu sagen, dass ich eine nötige Ablehnung in einer sehr privaten Weise äußere, sodass ich Gefühle nicht öffentlich verletze.    

Aber es gibt einen Punkt, wo für mich das „Veganer trifft Moskito“-Thema beginnt. Eine enge Freundin von mir ist seit Jahrzehnten Veganerin und achtet sehr darauf, kein anderes Lebewesen auf diesem Planeten zu verletzen. Klugerweise meinte sie aber einmal, sie müsse gelegentlich Moskitos töten. Das überraschte mich, doch sie erklärte es mir: Es demonstriere, dass ihre Selbstliebe größer sei als die Liebe zu den Moskitos.

Genau deshalb müssen wir Folgenden manchmal ja zu uns selber sagen, indem wir anderen ein Nein geben. Das ist nicht angenehm, aber wir haben jedes Recht zu zeigen, dass wir unseren eigenen Körper respektieren und daher keinen unnötigen Schmerz akzeptieren.

Daraus könnte sich ein zusätzlicher Nutzen ergeben. In einer Tangoszene, in der die Mehrheit der wunderbar Tanzenden weiblich ist, müssen sich die knappen Männer nicht sehr um Verbesserung bemühen. Vielleicht merken sie nicht einmal, dass es in ihrem Tanz noch etwas zu reparieren gibt. Nach einigen Jahren des Lernens hörten sie mit dem Unterricht auf, da sie genügend tanzbereite Folgende auf den Milongas fanden. Möglicherweise fehlt ihnen die Motivation, sich weiter zu verbessern. Wenn niemand ihnen erzählt, dass sie Schmerzen bereiten, merken sie es eventuell nicht einmal. Ich gebe zu, dies ist nur meine Vermutung. Sehr wahrscheinlich gibt es viele Gründe, warum jemand mit dem Lernen aufhört. Aber das ist eine andere Geschichte.

Soweit der Text, welcher einige Wahrheiten, jedoch auch etliche Ansatzpunkte für Satire liefert.

Vielleicht sollte ich doch einmal nach Slowenien reisen, wenn dort „die Mehrheit der wunderbar Tanzenden weiblich ist“, Männer hingegen zur Quälerei tendieren. Aber im Ernst: Ich kenne viele der Empfindungen der Autorin vom eigenen Tanzen – nicht direkt körperliche Schmerzen, aber doch den Wunsch, das erste Stück der Tanda möge auch das letzte sein.

Auf jeden Fall aber dürfte der Artikel zu verstärkten Kursanmeldungen von Tangueros führen, und dann hat er ja zumindest einen Zweck erreicht.

Doch ich möchte mich mit Anmerkungen zurückhalten, denn ich verstehe die Frauen ebenso wenig wie die Tänzer in Slowenien. Vielleicht können weibliche Leser hier treffendere Gedanken äußern.

Die Einstellung der Veganerin ist mir jedenfalls nicht fremd: Wenn ich die Wahl zwischen gnadenlosem Hunger und einem Schweineschnitzel habe, ist meine Selbstliebe… genug, diese Fraktion kann gelegentlich ziemlich militant sein!

Hier der Originaltext:

P.S. Der Biologe in mir sträubt sich allerdings gegen den Moskito-Vergleich: Bei den Stechmücken saugen nur die Weibchen Blut, die Mundwerkzeuge der Männchen sind verkürzt und so für das Stechen ungeeignet. Sie beschränken sich daher auf das Ansaugen freiliegender Flüssigkeiten.


Kommentare

  1. Was die Veganer angeht...ich hoffe jetzt mal, dass ich den hier nicht genau von Deinem Blog habe: "Der Geschmack eines Tofugerichts lässt sich deutlich verbessern, indem man es kurz vor dem Servieren durch ein Schnitzel ersetzt.". Was nun das Thema Feedback angeht: Nicht dass ich immer Spass dran habe, aber ich bin für Rückmeldungen zu Hand- Körper-
    und sonstigen Haltungen immer dankbar, auch auf Milongas. Auch weil das Spektrum dort grösser ist als in Kurs, WS oder Practica. Man kriegt es nicht immer gleich umgesetzt, aber es ist dann schon mal in der Pipeline und kann wirken.

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    1. Lieber Yokoito,

      doch, den Veganerwitz hab ich mal irgendwo veröffentlicht. Offenbar stammt er aus Kreisen der Berufsfeuerwehr, wo ja Männer für Männer kochen.

      Zum Thema Feedback: Daher plädiere ich ja für Übungsgruppen mit Tanzenden unterschiedlicher Erfahrung. Da bekäme man Rückmeldungen von verschiedenen Seiten. Die Altvorderen haben angeblich so Tango gelernt - und einen größeren Mist als heute haben die auch nicht zusammengetanzt...

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