Gehen in Mekka die Lichter aus?
„Pleite gehen wie in den guten
alten Zeiten"
(Manuela Bößel)
(Manuela Bößel)
Einige
Male schon hörte ich von der neuen Entwicklung – vor einigen Tagen nun meldete
es nun auch der Deutschlandfunk: In Buenos Aires müssten immer mehr Milongas schließen.
Als
Gründe werden die immer höheren Mieten und Stromkosten sowie überzogene Sicherheitsauflagen
der Stadtverwaltung genannt. Diese kümmere sich nicht um das (seit 2009) „immaterielle Weltkulturerbe Tango“ –
entsprechende Zuschüsse der UNESO kämen in der Tangoszene (speziell in der
alternativen) nicht an. Stattdessen würden Prestige-Projekte wie die
alljährlichen Tango-Weltmeisterschaften
finanziert:
„Wir sind ein
Kollektiv aus Milongueros und wir fordern, dass die Stadt ihre Kultur schützt
und pflegt, so wie es bereits existierende Gesetze vorschreiben. (…) Die
Stadtregierung hat sich dazu verpflichtet, Tangoschulen einzurichten, einen
Fonds zur Unterstützung von Milongas einzurichten, neue Milongas zu gründen -
all das ist Science Fiction. Dabei bekommt die Stadtregierung dafür Geld von
der UNESCO, aber nichts passiert."
Mehr
als 130 neue, zeitgenössische Tangoorchester gebe es in der Stadt. Im Ausland
feierten die zwar Erfolge, doch auf dem Programm des jährlichen Tangofestivals
seien sie kaum zu finden. Nun will man ein alternatives
Festival veranstalten:
„Sprich es aber ruhig
so aus, Fuck off! Das drückt schon auch unsere Wut aus, denn die Stadtregierung
macht aus unserer Volkskultur ein hohles Geschäft. Statt Milongas veranstaltet
sie Wettkämpfe. Damit identifizieren wir uns nicht. Wir, das sind 40 Bands, die
hier sind, um unsere Kultur zu präsentieren."
Musikgruppen,
welche schon in New Yorks „Carnegie Hall“ auftreten durften, müssten hier „für fast umme“ in alten Fabrikhallen
spielen, Milongas veranstalte man in den Wohnzimmern (!) leerstehender Häuser
oder auf der Straße. Der Deutschlandfunk zitiert eine Tanguera aus der „Milonga Chanta 4“:
„Ich mag diese
Milonga hier, weil hier Tango gelebt wird, wie er heute ist. Ohne Show, ohne
strikte Regeln, jeder zahlt, was er geben kann. Hier trifft sich eher die
alternative Szene."
Zunächst freut es mich, zum wiederholten Mal zu lesen,
dass man sich im argentinischen Tango-Mekka nicht nur – wie es uns die hiesigen
Mantras einhämmern – im historischen Musik- und Tanzstil ergeht. Nein, es gibt
dort wohl ebenso eine alternative Szene
wie hierzulande.
Allerdings scheint die weltweite PR des „authentischen Tango wie in Buenos Aires“ fürchterlich zurückzuschlagen.
Nun bin ich alles andere als ein Experte in Sachen
argentinische Hauptstadt und kann so die genauen Hintergründe der Krise nicht
analysieren. Fest steht jedoch: Wenn mehr
Gäste kämen, müsste man nicht so vehement nach staatlicher Förderung rufen.
Daher möchte ich unsere argentinischen Freunde einmal öffentlich fragen:
„Wollt ihr die Sache
mit dem Tango nun ein drittes Mal versaubeuteln?“
Bereits 1913 wurde dieser Tanz von der Oberschicht seines
Ursprungslandes als „Tanz der Bordelle“
verunglimpft und konnte nur durch die Emigration nach Europa überleben.
Ab den 60-er Jahren ging es bergab, da die argentinische
Tänzerszene sich strikt weigerte, die Erneuerung des Tango durch Musiker wie Astor Piazzolla mitzutragen. Auch der
hatte erst in Übersee Erfolg und löste durch die Tangoshows zu seiner Musik in
Europa und dann weltweit einen Tango-Hype aus.
Seit gut zehn Jahren nun versucht man durch Rückzug zu den
„Goldenen Zeiten“ von einst
wiederum, diese Entwicklung niederzumachen.
Man muss es sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen:
Es gibt genau zwei argentinische Kulturschaffende, welche weltweit bekannt
sind, Carlos Gardel und Astor Piazzolla. Und genau die Musik
dieser beiden darf man auf den vorherrschenden Milongas nicht auflegen. Carlos Gardels
Originalaufnahmen wurden übrigens schon 2003 von der UNESCO zum
Weltkulturerbe erklärt. Aber auch das kümmert hierzulande kein Schwein…
Dem gegenüber kennen nur Insider (und wahrscheinlich höchstens jeder zweite Tangotänzer) Musiker wie Troilo oder D'Arienzo.
Dem gegenüber kennen nur Insider (und wahrscheinlich höchstens jeder zweite Tangotänzer) Musiker wie Troilo oder D'Arienzo.
Piazzolla
sagte 1984 in einem Interview:
"Ich bin nicht
gegen den klassischen Tango – ich will einfach anderen Tango machen. Das
Problem ist: Man kann in Argentinien alles verändern, nur nicht den Tango. Als
ich damit angefangen habe, war das eine Art Revolution."
Kürzlich war der 25. Todestag des Komponisten und
Musikers. Ist das nicht allmählich „traditionell“ genug?
Wenn
man dergestalt die Brücken zur Popularität
abbricht, darf es eigentlich niemand wundern, wenn der Mainstream-Tango zum
Museumsbetrieb verkommt und man auf die Chance verzichtet, neue Generationen für diesen Tanz zu begeistern. Warum legt man
nicht die Interpretationen klassischer Titel durch moderne Musiker auf oder
lässt diese öfters auf Milongas (und nicht nur Konzerten) spielen? Eine Frage,
die ich sowohl wiederholt als auch vergeblich gestellt habe…
Und
was die Tango-Meisterschaften
angeht: Da habe ich ja nun brav die konservative Ideologie gelernt, Tango sei
verinnerlicht, also kein bisschen auf Außenwirkung hin zu tanzen. Aha, und nun
also Wettbewerbe vor Zuschauern – und zwar nicht nur im Bühnentango, sondern
ebenso im geheiligten „Tango de Salón“?
Also Schweinefleisch im Tango-Mekka? Wo bleibt da eigentlich der Shitstorm der Kulturbewahrer
hierzulande? Mei, wenn ich sowas erfunden hätt‘…
P.S. Eine sehr interessante Darstellung von Nicole Nau, die ich leider zu spät entdeckt habe, findet sich hier: https://www.facebook.com/nlpereyra/posts/10155743485494636
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