Gerhard Riedls garantiert unanonymes Blog zum Tango argentino
Sasha Cagen: Wie kannst du eine Feministin sein und Tango mögen?
„Mansplaining“ ist
ein Kunstwort, das sich aus „man“ und „explaining“ zusammensetzt: „Das, was
passiert, wenn ein Mann herablassend mit jemandem (vor allem einer Frau) über
etwas spricht, von dem er unvollständig in Kenntnis ist, unter der fälschlichen
Annahme, er wisse mehr über es als die Person, mit der er spricht."
Der
amerikanischen Autorin und Bloggerin Sasha Cagen ist ein (auch sprachlich) bemerkenswerter
Artikel gelungen:
“How Can You Be a Feminist and Like Tango?”
Anlass
ist ein Erlebnis, das wohl die hiesigen Tangueras ebenso kennen:
„‚Du wirst die Führung
nicht bekommen', sagt er zu mir. Ruppig, mit Knopfaugen und einem
Pferdeschwanz, der halb hinter seinem Rücken verschwindet, hat der
Pferdeschwanz-Mann mich in einem Fortgeschrittenen-Kurs im Floreal, einer
traditionellen Milonga in Buenos Aires, zur Partnerin auserkoren. Es ist schön,
gewählt zu werden, aber nun bin ich mir nicht mehr sicher.“
Geübt
wurde eine unübliche Sequenz, welche die beiden miteinander nicht hinbekamen.
Als die Autorin von ihrem Partner auch noch Kritik einstecken musste, probierte
sie die Figur mit dem Tangolehrer und anderen Tänzern: Mit allen klappte es –
nur nicht mit Herrn Pferdeschwanz. Als sie ihm das mitteilt, wird die Situation
nicht freundlicher:
„Soll ich dir
wirklich erzählen, was Sache ist? Du musst wissen, dass du beim Tango bist, und
Tango ist halt ein Macho-Tanz. Er wurde von Männern erfunden – das ist so, und
du musst das akzeptieren, schließlich bist du in Buenos Aires.“
Sasha
Cagen weigert sich schließlich, weiter mit dem Herrn zu tanzen. Der sucht sich
umgehend ein neues Opfer. Sollte sie wirklich akzeptieren, dass dies eine
Männerwelt sei? Sie bespricht den Vorfall mit ihren Freunden, wobei Ausdrücke
wie „Karikatur“ und „Trottel“ fallen. Ihr Tangolehrer jedoch findet,
sie habe einfach „Pech“ gehabt.
Auf
der Heimfahrt gehen ihre Gedanken weiter: „Das
kannst du leicht sagen, Kumpel. (…) Vielleicht dramatisiere ich, vielleicht nicht. Vielleicht ist dies der Moment, zu sehen, wie es wirklich
ist: Der Tango spiegelt die Gesellschaft wider, bringt die bekannten weiblichen
Kämpfe zur Sprache. Je älter ich werde, desto klarer sehe ich, dass Sexismus
die Welt formt. Ich habe den nicht so mitbekommen, als ich jünger war und die
Privilegien der Jugend genoss. Nun aber kann ich nicht verleugnen, dass
arrogante Männer das Parkett mit ihren Weisheiten beherrschen und es viel mehr
Druck auf Frauen als auf Männer gibt, dekorativ, jung und schlank zu sein. (…) Man
erwartet von dir, ein gutes Mädchen zu sein, zu lächeln und vorzugeben, dass es
Sexismus nicht gibt. Mir ist nicht danach, ein gutes Mädchen zu sein.“
Am
nächsten Tag kontaktierte die Autorin ihren Ex-Partner Miles, mit dem sie noch
gut befreundet ist. Die beiden hörten früher gerne zusammen Tangos, auch solche
mit einem Macho-Text wie „Porque canto así“:
„Und ich bestand aus
Tangos,
weil… weil Tango
männlich ist!
Weil Tango mutig und stark
ist!
Er hat etwas vom
Leben,
er hat etwas vom Tod.“
Nachdem
Miles dieses Lied gespielt hatte, fragte er sie: „Wie kannst du Feministin sein und Tango mögen?“
„Natürlich kann ich
das“,
antwortete sie: „Feminismus handelt von
Freiheit, davon, dass Frauen menschliche Wesen sind. Eine Feministin kann das
Tanzen genießen.“
Beim
Tango möchte Sasha Cagen als Frau gesehen werden – nicht im Sinne von Kleidern
und Highheels, sondern in einer tiefer gehenden Weise: Eine männliche Energie empfangend und eine weibliche zurücksendend, mit den Geschlechterrollen spielend: „In sechs Jahren formte mich der
Tango zu einer Königin, und das in einer Weise, wie es keine Psycho- oder
Physiotherapie geschafft hätte.“
Doch:
„Sehen Männer die
Folgenden als gleichrangig?
Sehen wir Frauen uns
als gleichberechtigt?
Seit der letzten
Nacht mit Herrn Pferdeschwanz überlege ich, ob Miles nicht recht hat.“
Sie
erzählte ihm die Geschichte, und Miles lachte:
„Offenbar ist dein
Feminismus stärker als deine Liebe zum Tango.“
„Stimmt“, antwortete sie, „ich weigere mich in einer Umgebung zu
bleiben, die mich herabsetzt.“
„Tango ist sehr macho“, sagte er. „Und Buenos Aires ist noch mehr macho.“
„Ich weiß“, meinte sie.
Der
Autorin sind natürlich die historischen Ursachen bekannt: Durch die
Auswanderung vor allem von Männern an den Rio de la Plata herrschte großer
Frauenmangel. Die Kerle übten miteinander in der Hoffnung, gut genug zu werden,
um an eine der raren Damen heranzukommen: „Tango
ist die Chance des einsamen Mannes, eine Frau zu umarmen.“ Heute dagegen
habe sich die Situation total geändert: Es gebe mehr Tänzerinnen, aber
immer noch herrschten die traditionellen Codes. Ein Ausweg wäre natürlich,
selber führen zu lernen.
Sie
habe viele Tangokurse besucht, wo man den Tänzerinnen Passivität gelehrt habe.
Ein bekannter argentinischer Lehrer habe ihr gesagt, sie brauche keinen eigenen
Stil zu entwickeln, da sie sonst weniger „formbar“
sei. Dessen eigene Partnerin sei technisch perfekt, aber seelenlos und
langweilig gewesen.
Für
sich selber stellt die Schreiberin fest:
„Ich liebe die
weibliche Rolle im Tango. Aber ich möchte auch eine Stimme haben, ein
vollwertiger Partner sein, keine sexy Stoffpuppe, die betanzt wird. Ich möchte
fühlen, dass ich selber tanze.“
Nichts
sei weniger sexy als sich sexy aufmachen zu müssen.
Sasha
Cagen wechselte zu einer Lehrerin, die ihr beibrachte, wie man einem
Mann eigene Aktionen signalisieren, sich Raum dafür verschaffen könne: „In einer sehr körperlichen Weise lehrte
mich der Tango, wie ich als Frau in einem männlich geführten Tanz glänzen
konnte, indem ich eine bremsende Körpersprache entwickelte: ‚Mein Liebster, mein Leben,
das ist jetzt mein Moment.‘“
Tangostunden
hätten sich ihr stets auch als Bezug zum restlichen Leben dargestellt: Die
wirkliche Welt lehre die Frau, weniger Platz einzunehmen, zum Beispiel die
Beine zu überkreuzen (während ein Mann breitbeinig dasitze), Diät zu halten, zu
lächeln, wenn ein Mann sie unterbreche, sich auf der Straße mit hängenden
Schultern unauffällig zu machen. Tango hingegen bringe einer Frau bei, höher
und größer zu erscheinen, auch in der Begegnung mit dem anderen Geschlecht.
Bei
einer weiteren Tangostunde erhielt sie von ihrem Lehrer diese Rückmeldung:
„Zeig mir, wer du
bist. Sei mehr du selber. Ich spüre dich nicht. Vertraue darauf, dass es gut ist, was du machst. Du
spielst ein Spiel, um zu sehen, wer das mag und wer nicht. Was würdest du zu
den Männern sagen, denen es nicht gefällt?
‚Ich bin auch eine
Person',
antwortete ich, ein Lachen unterdrückend."
Einige Tänze der beiden sind auf Video
dokumentiert. Wer genau hinsieht, bemerkt das von der Autorin Beschriebene. „Ich sehe etwas, das ich an mir noch nie
beobachtet habe: einen Dialog, eine Frau, die zur Hälfte das Gespräch führt.
Plötzlich macht das Klischee ‚es braucht zwei zum Tango‘ in einer neuen Weise
Sinn. Der Tanz verbessert sich durch zwei völlig ausgeprägte Individuen, die
ihre eigenen Verzierungen, Pausen und Einwürfe hinzufügen. Man folgt nicht, man tanzt; einer inspiriert den anderen.”
Ein
Jahr sei nun seit dem Zusammenstoß mit Herrn Pferdeschwanz vergangen. Wenn sie
heute zum Tango gehe, so die Autorin, suche sie sich die Partner aus, welche
eine gleichrangige Beteiligung der Tangueras wollten, den Rest blende sie aus.
Und sie nehme nur noch bei Lehrern Stunden, welche diese weibliche Rolle
wertschätzten. Überlassen wir das Schlusswort Sasha Cagen:
„‚Mister Ponytail‘
und viele seiner Generation werden es nie kapieren. Aber die Kultur entwickelt
sich ebenso, wie der Tanz eine Evolution durchmacht. Es ist auch wichtig, wie
ich mich selber sehe. Manchmal, wenn ich mich zum Tanzen herrichte und nachdem
ich mich parfümiert habe, sage ich mir ein Motto vor, das nur aus einem Satz
besteht:
‚Ich
sehe mich als gleichrangig an.‘
Dann gehe ich zum
Tango.”
Zur Autorin: Sasha Cagen lebt in Buenos Aires und den USA. Seit 20 Jahren schreibt sie
Essays sowie Bücher und arbeitet als Lebenshilfe-Coach. Unter anderem bietet
sie einwöchige Seminare für Frauen in Buenos Aires an mit dem Ziel der Selbstbestätigung
durch Tango.
P.S. Hier noch ein aktuelles Experiment der Autorin: Sie versuchte, in Buenos Aires (!) Männer (auch verbal) zum Tango aufzufordern. Ergebnis: 29 Mal mit Erfolg, 6 Körbe.
Ein anderer Bericht aus weiblicher Sicht hier: http://tango.peter-ripota.de/männerundfraue-de-3372.html Frau Siegmann definiert auch sehr gut, was einen guten Tänzer ausmacht.
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Guter Fund. Like.
AntwortenLöschenDanke, ich werde sicher mal wieder einen ihrer Texte besprechen!
LöschenEin anderer Bericht aus weiblicher Sicht hier: http://tango.peter-ripota.de/männerundfraue-de-3372.html
AntwortenLöschenFrau Siegmann definiert auch sehr gut, was einen guten Tänzer ausmacht.
Vielen Dank, ein toller Text! Leider muss es im Link "maenner" heißen. Ich werd ihn noch oben (am Schluss meines Textes) einstellen.
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