Traumtänzer im Golfhotel
Die
Einladung erreichte mich eben über Facebook: Ein „Sommertangoball im Hotel Kaiserin Elisabeth“ in Feldafing am
Starnberger See.
Für
Auswärtige: Dies ist die Gegend im Süden Münchens, wo die „Geldigsten der
Geldigen“ ihre Villenquartiere aufgeschlagen haben. Der Golfclub Feldafing (http://www.golfclub-feldafing.de/)
sorgt für ausreichende Kundschaft sowie gesalzene Übernachtungspreise (Doppelzimmer
ab 165, Suite ab 285 € pro Nacht). Bereits im 16. Jahrhundert stand dort ein
Dorfwirthaus, welches ein Münchner Industrieller und Großgrundbesitzer,
Reichsrat Anton Ritter von Maffei, 1856 kaufte und mit freier Aussichtsterrasse
ausbaute. Die regelmäßig auf Urlaub dort weilende Kaiserin Elisabeth von Österreich („Sisi“, aufgewachsen im nahen
Schloss Possenhofen) machte weitere Anbauten erforderlich. Im Jahre 1900
erhielt man vom Wiener Hofmarschallamt die Erlaubnis, sich „Hotel Kaiserin
Elisabeth“ nennen zu dürfen.
Selbstverständlich
gibt es beim bevorstehenden Großevent im
Golfhotel (durchaus eine etwas teurere Alternativbeschäftigung zum Tango)
eine „einzigartige Mitternachtstanzshow“ sowie
zwei Tanzfächen (outdoor auf überdachter
Terrasse) und indoor (Ballsaal) sowie „herrliche
Tangomoden“ plus „elegante
Tangoschuhe“. Wer sich die Explosionen in Kitsch näher betrachten möchte:
Und
das Ganze – im Gegensatz zum Schlagen weißer Bällchen auf dem Grün – zu moderaten Eintrittspreisen (Vorverkauf
15, Abendkasse 19 €). Kein Wunder, dass die Ankündigung auf Facebook bereits
jetzt 35 Teilnehmer und 132 Interessierte ausweist.
Der
„übliche Irrsinn“ halt – und bis hierher hätte ich der Chose keinen Artikel
gewidmet. Gestolpert bin ich allerdings über zwei unsägliche Zeilen in der Ankündigung.
Die
erste ist noch lustig: „Sissi meets Buenos Aires“
Hach,
da haben die Veranstalter es doch geschafft, zum Glitzerbegriff der Metropole
am Rio de la Plata noch einen zweiten zu gesellen. Das fühlt sich dann wohl so
an…
Etwas
nüchterner allerdings ließe sich feststellen: Den Kosenamen der
österreichischen Majestät schreibt man schon mal mit einfachem S – bereits deshalb,
weil es auch nicht „Elissabeth“ heißt. Und zweitens: Das Ganze findet lediglich
in einem Großkopfeten-Hotel am Starnberger See statt – von Sisi oder gar Buenos
Aires keine Spur…
Den
zweiten Spruch in der Ankündigung allerdings halte ich für mehr als ärgerlich:
„Dresscode: elegant, stilvoll, ‚Buenos Aires in den guten alten Zeiten‘“
An
einem Mangel an romantisierender
Geschichtsverklitterung leiden wir beim Tango ja wahrhaftig nicht – aber irgendwo,
so meine ich, muss eine Grenze sein! Ich habe daher die argentinische
Geschichte in der famosen EdO-Ära einmal kurz recherchiert:
1930 wurde der
demokratische Präsident Hipólito
Yrigoyen bei einem Militärputsch gestürzt. Der konservative General José Félix Uriburu machte sich daran,
die alte Ordnung wiederherzustellen.
Ein Rechtsbündnis, das Concordancia genannt
wurde, blieb letztendlich bis 1943
an der Macht.
Die Konservativen
waren der Meinung, dass das argentinische Volk noch nicht reif für die
Demokratie sei und daher in seinen Entscheidungen die wahren nationalen Werte
nicht achte, weshalb sie den Wahlbetrug als gerechtfertigt ansahen.
Die 30er Jahre sind
daher in Argentinien unter dem Namen década
infame (deutsch: berüchtigtes Jahrzehnt) bekannt, auch unter Historikern
werden die Regierungen dieser Zeit mehrheitlich als illegitim betrachtet.
Ramón Castillo wurde 1943 durch einen Putsch entmachtet, es folgte eine Übergangsphase bis 1946, in der
das Militär die Macht innehatte.
Juan Perón gewann
die Wahlen 1946. Seine
Regierungszeit kann man als Mischung aus Demokratie und Diktatur bezeichnen:
Andere Parteien waren zwar zugelassen, und es gab freie Wahlen, doch die Medien
sowie die Gewerkschaftsbewegung unterlagen der Kontrolle durch Perón und seiner
Partei.
Perón ist in Deutschland
heute vor allem wegen seiner Sympathie für die Ideologie des
Nationalsozialismus umstritten. Er bewunderte nicht nur Mussolini und äußerte sich extrem
antisemitisch, sondern sorgte für eine Einreiseverhinderungspolitik
gegenüber jüdischen Flüchtlingen
(Politik der „verschlossenen Türen“) und unterstützte gleichzeitig die Fluchtwelle von NS-Kriegsverbrechern
und NS-Kollaborateuren aus ganz Europa, die so ihrer Gerichtsbarkeit entgingen.
Im September 1955 (sogenannte Revolución
Libertadora) gelang es Militärs unter Führung von Eduardo Lonardi, erfolgreich zu putschen und Peróns Regierung
abzusetzen.
Nett,
gell? Nun lege ich ja gelegentlich deutsche
Tangos aus den 30-er und 40-er Jahren auf, würde aber nie behaupten, diese
stammten aus den „guten alten Zeiten“.
Nein, diese Zeiten waren beschissen – sowohl in Deutschland als auch in
Argentinien!
Aber, so weiß ich spätestens seit Sebastian Herrmanns „Starrköpfe-Buch“, man hält eben nicht das für wahr, was stimmt, sondern das, was sich gut anfühlt…
Apropos
Beschallung: Die kommt verräterischerweise in der Einladung nur am Rande vor.
Hauptsache, der DJ hat einen italienisch klingenden Namen und spielt „wunderschöne
Musik“. Nur dem Insider wird hier klar: hundert Prozent Tradi-Tango.
Aber das ist wurscht, denn um die Musik geht es nicht – das Ganze ist ja
keine Tanzveranstaltung: Wichtig sind abgehobenes Ambiente,
Bussi-Bussi-Society, Sehen und Gesehen werden – und als Alibi sparsame Bewegungen auf dem randvollen, kaiserlichen Parkett.
Den Spruch habe ich übrigens noch vermisst: „Der Kongress tanzt“…
An
der Stelle muss ich an ein Zitat von Alessandra
Seitz denken, die uns neulich in Pörnbach besucht hat: „Aber das Allerschönste ist, es ist eine
Milonga für Tänzer und nicht für Spaziergänger. Und solche waren auch
ausnahmslos anwesend. Tänzer, in deren Gesichtern man sehen konnte, wieviel
Spaß sie hatten.“
Und
zum wiederholten Mal, allerdings wohl vergeblich wie zuvor, fällt mir ein Satz
von Carmencita Calderón, der
Tanzpartnerin des legendären „El Cachafaz“, ein:
„Der Tango kommt aus den Slums, nicht vom Parkett. Und
wenn man das nicht mehr sieht oder spürt, dann ist er tot.“
P.S.
A bisserl Werbung als Ausgleich zu meinen bösen Anmerkungen:
https://www.facebook.com/139498502739498/photos/pcb.1857218111263494/1511301722225829/?type=3&theater
Kommentare
Kommentar veröffentlichen