Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 14
Gestern
bin ich auf ein sehr interessantes Thema gestoßen: Wie lernte man in der
berühmten „Goldenen Ära“, also ab Mitte der 1930-er Jahre, in Argentinien das
Tangotanzen?
Fest
steht ja: Ein Angebot von „Kursen und Workshops“ wie heute gab es sicher nicht.
Der
Artikel dazu stammt von Christine
Denniston, einer der führenden Persönlichkeiten des Tango in
Großbritannien. Die studierte Physikerin schreibt Bühnenstücke, arbeitet als
Tanzlehrerin und hat ein (in ihrer Heimat) viel beachtetes Buch herausgebracht:
„The Meaning of Tango: The Story of the Argentinian Dance“.
Sie
studierte diesen Tanz längere Zeit in Buenos Aires.
Basis
des schon 2003 veröffentlichten Textes sind die Aussagen von Zeitzeugen – und damit musste man sich schon damals
beeilen: Zirka 1925 oder früher sollten die ja geboren sein. Und, da bin ich
ganz sicher: Diese Geschichten wird Ihnen Ihr Tangolehrer – schon aus
Selbsterhaltungstrieb – gewiss nicht erzählen!
Nun
aber zum Thema:
„Der traditionelle
Weg, Tango zu lernen“
Dieser
Weg, so habe die Befragung älterer Herren aus allen Teilen der argentinischen
Hauptstadt ergeben, sei für männliche Jugendliche
erstaunlich ähnlich gewesen: Mit 13 Jahren entstand allmählich das Bedürfnis,
an Mädchen heranzukommen, was in der damaligen Gesellschaft nicht so einfach
war. Es stand jedoch ein Königsweg
offen: Tango zu lernen.
Wissen
sollte man hierzu, dass die Jungs zu der Zeit mit spätestens 11 Jahren die
Schule beendeten und mit 13 schon im Erwerbsleben standen, also viel
selbstständiger waren als ihre Altersgenossen heute bei uns.
„Tangoschulen“
gab es zwar keine, jedoch Practica unter
Männern. Und was lernte man dort erst einmal? Die folgende Rolle! Klar:
Führen konnten die Bengel ja noch nicht, also ließen sie sich von den Älteren
so lange auf dem Parkett herumschieben, bis es mit den „Frauenschritten“ so
halbwegs klappte. Mindestens ein Dreivierteljahr blieb es dabei, dann erst
durfte man unter Anleitung versuchen, Gleichaltrige zu führen.
Erst
nach insgesamt mindestens drei Jahren kam schließlich der große Moment: Der
Eleve wurde von einem erwachsenen, routinierten Tänzer auf eine Milonga begleitet. Freilich hätte er da
niemals eine Frau aufgefordert bekommen: Die Damen, damals noch deutlich in der
Minderzahl, durften unter den besseren Tänzern wählen. Der ältere Begleiter
musst da schon eine Bekannte fragen, so nach dem Motto: „Ich hab heut den Buben dabei, sei so nett und tanz mal eine Runde mit
ihm!“
Wenn
es gut klappte, wurde der junge Mann öfters zu Tangoveranstaltungen
mitgenommen, erwarb sich so einen gewissen Ruf und wurde mit der Zeit von den
Tänzerinnen als Partner akzeptiert. Wenn nicht: zurück in die Männergruppe…
üben, und zwar vier bis fünf Mal pro Woche!
Der
Wert dieser Practica ging übrigens weit über ihre Funktion als „Durchlauferhitzer“
hinaus: Nach Aussage der Zeitzeugen tanzten dort Männer, welche die folgende
Rolle besser beherrschten als die Damen auf der Milonga. Wer also richtig geil
tanzen wollte, ging auf solche Übungsabende. Da durfte man auch mal was
riskieren, was tänzerisch danebenging. Milongas dagegen waren dazu da, Frauen
kennenzulernen und sich in der „Tango-Society“ einen Namen zu machen. Sich zu
vertanzen war da eine sehr schlechte Option…
Und
wie lernten Frauen den Tango? Meist
auf ganz ähnliche Weise, allerdings in der Familie: Die Mädchen übten mit
Vater, Mutter oder größeren Geschwistern, bis sie für „reif“ genug befunden
wurden, eine Milonga zu besuchen – natürlich in Begleitung eines
Erziehungsberechtigten oder des älteren Bruders. Die hatten ein waches Auge
darauf, dass die jungen Damen nicht über die Stränge schlugen: Tänzer mit schlechtem
Ruf, fragwürdigen Manieren oder rudimentären Fähigkeiten hatten keine Chance.
Und: Wegen des Frauenmangels waren die Ansprüche an das Können der Damen
deutlich geringer.
Fragte
die Autorin einen Zeitzeugen: „Die Mädchen lernten den Tango bei ihrer Mutter?
Heißt das, diese konnte auch führen?“, so wurde sie mit Blicken betrachtet, als
ob sie nicht ganz bei Troste sei. Ja doch, selbstredend konnten die Damen auch führen, was denn sonst?
Was
mich an diesem Bericht so fasziniert und meine Kritik am heutigen
Tangounterricht bestätigt: Das Erlernen unseres Tanzes wurde als langer,
organisch wachsender Prozess
betrachtet. Wer also heute Angebote wie „Schnupperstunde
und dann gleich auf der Milonga weitertanzen“ macht, hat – zumindest in den
Augen der Altvorderen – einen an der Waffel. Und jeder, der sich ernsthaft mit
diesem Metier beschäftigte, lernte beide Parts – die Männer sogar zunächst die
folgende Rolle.
Und
– erstaunlich genug – das Tanzen unter Männern hatte offenbar keinerlei „schwule“ Attitüde, denn diese Neigung
hätte in der damaligen Gesellschaft zu einer harten Ausgrenzung geführt.
Auf
jeden Fall hatte das Erlernen des Tangotanzes in der „Goldenen Epoche“ kaum
etwas mit dem zu tun, was heute – auch und gerade bei „Traditionalisten“ – als „Tangounterricht“ akzeptiert wird. Die resultierende
Elend kann man auf fast jedem Milongaparkett beobachten.
Führt,
wie man ja heute ansonsten gerne glaubt, ein Weg zurück in diese Epoche? Wohl nicht! Eine Voraussetzung wäre,
dass es (wie damals) für die durchschnittlichen Menschen nur wenige
Alternativen gäbe, aus der Freizeit etwas Sinnvolles und Attraktives zu machen.
Heute herrscht hierbei eher ein Überangebot: Wenn’s mit dem Tango nicht gleich
klappen sollte, versucht man es halt mit
Qigong oder Töpfern…
Lästerliche
Schlussfrage: Ist die „EdO“ gerade
deshalb so zu preisen, da es damals noch keine „Tangolehrer“ gab?
Hier
der Originaltext:
http://www.history-of-tango.com/learn-to-dance.html
"Milongas dagegen waren dazu da, Frauen kennenzulernen"
AntwortenLöschenganz genau. Und das ist heute auch noch so (auch wenn auf einem gewissen Tangoblog aus Pörnbach schon gehörig dagegen gewettert wurde ;-) )
Na ja, „gewettert“… gibt’s dafür ein Zitat?
LöschenRichtig ist aber, dass ich schon oft davor gewarnt habe, die Eignung des Tango für das Finden einer stabilen Partnerschaft zu überschätzen. Im Gegensatz zu früher gibt es unzählige Gelegenheiten hierfür: Überall, wo sich Männer und Frauen treffen, besteht ein ähnliches Risiko, dass die Menschheit nicht ausstirbt.
Für kurzfristige Eroberungen bietet der Tango sicherlich mehr Chancen. Aber da scheiden sich halt die Geister zwischen denen, welche Milongas als „Aufriss-Piste“ sehen und solchen, denen es vorwiegend ums Tanzen geht. Das war sicher schon zu den Gründerzeiten ähnlich.