Milonga für Anfänger



„Es gehört viel Erfahrung dazu,
wie eine Anfängerin zu küssen.“
Zsa Zsa Gabor

Tango-Neulinge sind oft sehr zögerlich, wenn es um den Besuch von Milongas geht. In der „geschützten“ Atmosphäre ihres Kurses oder einer Practica, mit dem vertrauten Tanzpartner glaubt man sich vor Risiken sicher. Gerade Männer befürchten, den Herausforderungen mit unbekannten Tänzerinnen oder gar andersartiger Musik nicht gewachsen zu sein. Im Einzelfall kann sich das Jahre hinziehen!

Andererseits liest man oft Angebote von Tanzlehrern, nach dem  Besuch einer Einführungsstunde sei man durchaus schon in der Lage, auf dem danach beginnenden Tangoabend mitzutanzen. Also was denn nun?

Im Folgenden habe ich in dialektischer Form (und wie gewohnt nicht satirefrei) etliche Tipps zusammengestellt, die für Neulinge mehr wert sein können als einige Kurse oder Workshops hintereinander. Langjährige Tangotänzer/innen werden gebeten, spätestens hier das Lesen einzustellen: Entweder kennen sie diese Ratschläge sowieso – oder man ist eh überzeugt davon, dass ich hier (wieder mal) nur Unsinn schreibe…

Da wird ja vor der Milonga ein Schnupperkurs angeboten, damit man als Anfänger dann gleich ein bisschen mittanzen kann.
 
Wollen Sie nach einem Erste-Hilfe-Kurs auch gleich Blut abnehmen?

Solche Angebote sind eine prima Marketing-Idee, um neue Kunden zu gewinnen, mehr nicht. Selber habe ich in meiner Anfangszeit zirka ein halbes Jahr gewartet, bevor ich die erste Milonga besuchte. Gelegentlich erhielt ich einen Eindruck davon, wie in unserer Tangoschule die Fortgeschrittenen loslegten – und das war mir denn doch zu heftig.

Vielleicht war dies übertrieben, aber bevor man sich aufs öffentliche Parkett wagt, sollte man zumindest gelernt haben, anderen nicht im Weg herumzustehen. Reichen Ihre Fähigkeiten, je nach Bedarf in eine beliebige Richtung auszuweichen sowie zügig im Tanzfluss mitzukommen?

Wie Sie dies zustande bringen, bleibt Ihnen überlassen – ob nach sechs Monaten Kurs oder einer Stunde Üben mit einem erfahrenen Tanzpartner…

Bevor ich nicht wirklich gut tanzen kann, besuche ich lieber keine Milongas.
 
Na prima, dann werden Sie nie gut tanzen lernen!

Immer wieder beobachte ich Paare, die zwar die Kurse mitmachen, zu Beginn der anschließenden Milonga aber das Weite suchen. Offenbar ist das Missverständnis unausrottbar, man würde im Unterricht Tango lernen. Daher zum x-ten Mal: Da kriegen Sie etwas gezeigt – Tanzen aber lernt man nur durch Tanzen, und zwar unter „echten“ Bedingungen und nicht in der „beschützenden Tangowerkstatt“! Wem das zu aufregend ist, der sollte die Wahl seines Hobbys noch einmal überdenken.

Ich besuche erstmal nur die Milongas meines Tangolehrers. Da kenne ich die Leute – und vielleicht tanzt er ja auch mal mit mir.
 
Tangolehrer, die überhaupt tanzen – und gar noch auf der eigenen Veranstaltung – sind so selten wie die Blaue Mauritius. Und gar noch mit Ihnen? Träumen Sie weiter!

Es gehört hierzulande zum ganz normalen Wahnsinn, dass Tanzlehrer nur tanzen, wenn es gar nicht anders geht – sie es also bezahlt bekommen. Sollten Sie eine der seltenen Ausnahmen erwischt haben: Gratulation! Und wenn Sie sich wohl auf Veranstaltungen fühlen, bei denen Sie immer wieder dieselben Leute treffen: schön für Sie. Mich würde das eher abschrecken. Und, vielleicht zum Trost: Die gleichen Leute lernen Sie in der heutigen Tangoszene fast überall kennen…

Wohin soll ich denn sonst gehen? Es gibt in unserer Nähe keine andere Milonga.
 
Aha, und im Urlaub fliegen Sie nach Mallorca – wieso eigentlich? Ihr städtisches Hallenbad ist doch auch schön!

Die Menschen, welche den Tango erfanden, legten vorher über 13000 km zurück (einfache Entfernung Deutschland - Argentinien; bis Mallorca kommen Sie mit einem Zehntel dieses Weges). Das müssen Sie aber nicht: Bereits im Umkreis von 100 Kilometern finden Sie ein breites Angebot von Tanzgelegenheiten!

An Milongas nehme ich erst teil, wenn ich einen festen Tanzpartner habe.
 
Dann hoffe ich für Sie, dass sie keinen kriegen!

Nein, im Ernst: Wenn Sie vorwiegend oder ausschließlich mit einem Partner tanzen, verzichten Sie auf das Schönste im Tango: Die Verständigung mittels einer Bewegungssprache. Stattdessen werden Sie mit Ihrem vertrauten Gegenüber auswendig gelernte Schrittfolgen abspulen. Wenn Ihnen das reicht…

Solange ich nicht viel kann, fordere ich lieber nur Anfängerinnen auf.
 
Ach ja – und was ergibt in der Mathematik Null mal Null?

In unserer ersten Tangoschule waren Körbe verpönt (einer ihrer wenigen Vorzüge). Daher war die Hemmschwelle, es gelegentlich mit einem sehr guten Tanzpartner zu probieren, relativ gering. Ich kann mich noch gut an das Gefühl erinnern, das sich bei mir dabei einstellte: Das erste Mal in einem teuren Sportwagen zu sitzen. Es war sehr aufregend, irgendwelche völlig unbekannten Knöpfe zu drücken und zu erleben, was dann passierte! „Führen“ kann man das nicht nennen – eher die Fähigkeit, trotz allem in der Balance zu bleiben, den Kontakt zu bewahren und dem Partner nicht im Weg zu stehen. Ich bin bei diesem Rezept geblieben!  

Wenn ich auf eine Milonga gehe, wo viel los ist, finde ich sicher genug Tanzpartner.
 
Und wo wollen Sie dann tanzen?

Gerade Neulinge tendieren dazu, „angesagte“ Events zu besuchen, die meistens proppenvoll sind. Dies ist auch allgemein eine szenetypische Strategie: Auf engstem Raum, so hofft man, fällt tänzerisches Unvermögen weniger auf – man kann ja gar nicht komplizierter tanzen, selbst wenn man es könnte…
Bedenken Sie aber, dass es am Anfang viel leichter fällt, auf große und damit deutlichere Bewegungen zu reagieren. Hat man kaum Platz, müssen es subtilere Impulse sein, die man nur mit mehr Routine mitbekommt.
Und, ihr Männer: Auf vollem Parkett muss man richtig gut navigieren können – über die Tanzschritte darf man dann nicht mehr nachdenken!

Wenn mich jemand auffordern sollte, sage ich ihm gleich, dass ich Anfängerin bin, damit er weiß, worauf er sich einlässt.
 
Wollen Sie die tänzerische Intelligenz Ihres Partners beleidigen?

Liebe Damen, wenn einem Tänzer, der Sie auffordert, nicht halbwegs klar ist, wie gut Sie es können, ist er selber Anfänger – und dann ist es eh wurst. Im Normalfall weiß Ihr Gegenüber jedoch ziemlich genau, worauf er sich einlässt! Denken Sie aber nicht darüber nach, warum er dies tut – dafür gibt es viele Gründe, die eines gemeinsam haben: Sie dürfen Ihnen egal sein!

So primitiv können Männer doch nicht sein!
 
Doch, können sie!

Gerade beim Geschlecht mit dem Chromosomen-Bruchstück sollten Sie davon ausgehen, dass Tanzen nicht der alleinige Zweck ihres Milongabesuchs ist. Neben fühlbarer körperlicher Zuwendung ist ein sicheres Signal, dass der Betreffende zunächst seine Machtstellung durch ungebetene Belehrungen ausbauen will.
Tipp für die Frauen: Nehmen Sie auf einen Tanzabend eine größere Anzahl mentaler Sticker mit der Beschriftung „Depp“ mit und verteilen Sie diese großzügig!

Auf traditionellen Milongas ist die Musik einfacher und daher für Anfänger besser geeignet.
 
Gratulation, dann bleibt „Anfänger“ Ihre Dauerkategorie!

Tun Sie es den Skifahrern nach, indem Sie versuchen, möglichst schnell vom „Idiotenhügel“ wegzukommen! Bei der heutigen Dominanz dieses Formats ist es schwer, eine weniger langweilige Abfahrt zu finden. Aber glauben Sie mir: Es lohnt sich! Immer wieder beobachte ich, wie Paare, die sich vielfältigerer Musik aussetzen, tänzerisch viel schneller weiterkommen.

Ich weiß zu wenig über die ganzen „geheimen Regeln“, die es auf Milongas zu geben scheint.
 
Wie schön – lassen Sie es dabei!

Es stimmt schon, dass es heute vielfältige Bestrebungen gibt, die „Lufthoheit über den Milongatischen“ mit einem Sammelsurium von Reglements zu erobern. Wenn es da Schwierigkeiten geben sollte, schützt Sie aber Ihr Anfängerstatus.
Aus meiner Sicht reichen eine gute Kinderstube sowie das sensible Beobachten der anderen Gäste vollauf.
Ach ja – und Sie haben bestimmt noch ein paar Sticker (siehe oben) in Reserve?

Wenn mich ein Mann gut führt, kann ich ja tanzen!
 
Nein, können Sie nicht! Auch der beste Rollstuhl bewirkt nicht, dass Sie selber wieder laufen können! Es kommt Ihnen höchstens so vor…

Das ist vielleicht die wertvollste Erfahrung, die ich Ihnen mitgeben kann: Zum erfolgreichen Bestehen der Irrungen und Wirrungen in der Szene ist das beste Mittel, selber immer besser tanzen zu lernen. Irgendwann wird man dies nicht mehr ignorieren können.

Machen Sie Ihr Glück nicht von anderen abhängig – so werden Sie vermutlich nicht zu den über 90 Prozent der Neulinge gehören, die sehr bald frustriert wieder aufhören!

P.S. Gerade traditionelle Milongas lassen sich heute gut mit mittelalterlichen Ritterturnieren vergleichen. Hierzu lieferte die Justiz neulich ein sehr schönes Urteil:

Auf einem solchen Event kämpfte ein „Räuber“ gegen zwei „gute Ritter“. Während der nachgespielten Kampfszene verletzte der „Räuber“ einen der „Ritter“ mit einer Schaumstoffkeule schwer am Auge.

Das Gericht lehnte eine entsprechende Schadenersatzklage ab: Ähnlich wie bei anderen „Kampfsportarten“ (z.B. Fußball) treten Mannschaften nach bestimmten Regeln gegeneinander an. Hier wie dort kann es zu „Fouls“ kommen, wenn Regeln verletzt werden. Dies ist den Teilnehmern bekannt. Eine Haftung kommt daher nur bei grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verstößen in Betracht.

(OLG Oldenburg, Beschluss vom 28.4.16, 3 U 20/16)

Merke: Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Parkett!

Kommentare

  1. Robert Wachinger8. Januar 2017 um 13:49

    Gute Tipps.
    Als ich mit dem Tango begonnen habe, schwebte immer im Raum, nur ja viel zum Tanzen zu gehen und mit vielen verschiedenen Partnern zu tanzen. Wie soll m an denn sonst auch was lernen? ;-)
    Das war die Zeit, wo das Forum auf Tangomünchen Hochkonjunktur hatte (mir hatte es damals sehr viel geholfen, die unterschiedlichen Ansichten zu lesen und auch selber viel eigenen "Schmarrn" schreiben zu können, leider ist das Forum dann kaputt gemacht worden und eingegangen).
    Von denen, die damals mit mir in den Anfängerkursen waren, tanzt heute wohl keiner mehr (zumindest sehe ich da niemand).
    Zum Thema, wann man es wagt, auf ne Milonga zu gehen: ich bin dann so ab Anfänger 2 dann Dienstag nach dem Kurs mit meiner Kurspartnerin danach ins MaxE bei Mundo gegangen. Es war dann ein fliessender Übergang, bis ich dann mit fremden Frauen getanzt hab ...

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    1. Heute schwebt eher im Raum, möglichst viele Kurse und Workshops zu besuchen... Und im Unterricht, so höre ich, wollen viele lieber nicht den Partner wechseln - selbst wenn der Tangolehrer es vorschlägt.

      P.S. Wäre interessant, einmal zu erfahren, woran das Münchner Tangoforum eingegangen ist!

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    2. Robert Wachinger10. Januar 2017 um 19:40

      Ich kann natürlich nur meine Sicht schildern: aufgrund insbesondere einer doch etwas schwierigen Diskutantin gab es zunehmend Hickhack, Streitereien und daraus resultierend Reglementierungen, denen sich so nach und nach die bisherigen Schreiber nicht mehr aussetzen wollten. Ohne Schreiber stirbt ein Forum.

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    3. Sehr interessant!

      Drum war ich von Anfang an fest entschlossen, hier auf einen akzeptablen Umgangston zu achten.

      Bisher hat's ganz gut geklappt...

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  2. Robert Wachinger8. Januar 2017 um 13:55

    Noch ein Nachtreg:
    'Machen Sie Ihr Glück nicht von anderen abhängig – so werden Sie vermutlich nicht zu den über 90 Prozent der Neulinge gehören, die sehr bald frustriert wieder aufhören!'
    Ich glaube, das bewirkt sich gegenseitig. Die zukünftigen 'Tangowahnsinnigen' die suchen sich sowieso ihren Weg, und für die anderen ist Tango eh nicht so lebenswichtig, und sie driften früher oder später eh ab. Passendes Sprichwort: 'Man kann den Hund nicht zum Jagen tragen' ;-)

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    1. Kann man schon, aber es macht keinen Spaß - weder dem Jäger noch dem Hund!

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    2. Robert Wachinger10. Januar 2017 um 19:42

      Das Problem vieler Frauen, die ihren Lebenspartner in nen Tanzkurs "erpressen" ;-)

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    3. Mit dem klassischen Satz: "Gell, Schatz, das gefällt dir doch auch?"

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  3. Aus meiner Sicht (gerade einmal 4 Monate Tango-Vergangenheit, dafür schon auf einem halben Dutzend Milongas gewesen) ist dem voll zuzustimmen. Fühle mich auch auf Heim-Milonga sehr wohl, betrachte es aber eher als Practica. Bei den offenen Veranstaltungen scheint der "Gute-Tänzer-Zirkel" unter sich bleiben zu wollen. War ein paar Mal mit einer Tanzpartnerin dort, die ich schon kannte. Wir standen niemandem im Weg genossen Musik und Tanz....was will man mehr. Das mit dem Partner-Wechseln und den ganzen Aufforderungen wird schon noch kommen, wenn wir uns sicherer fühlen. Anspruchsvolle Musik sehe ich als Herausforderung und bin begeistert, wenn es einigermaßen klappt. Einmal wurde ich auch von einer Dame aufgefordert, die dann gleich das "Kommando" übernahm, was am Ende einen wirklich guten Tango (zumindest aus meiner Sicht) ergab. Ganz ohne Unterricht geht es meiner Meinung allerdings nicht, die Grundpatterns muss man schon intus haben. Und was das "Führen" anbelangt, da wird (hoffentlich) das Selbstvertrauen bei mir mit der Zeit auch besser werden :-)

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    1. Natürlich möchte der „Elite-Zirkel“ unter sich bleiben! Exklusivität definiert sich über Ausschluss… Je mehr man dem Beachtung schenkt, desto schlimmer wird’s.

      Einfach viel tanzen gehen, dann entwickeln sich Fähigkeiten und Selbstvertrauen organisch. Und den Frauen ist es meist lieber, wenn sie einem Anfänger helfen können, anstatt von einem „Startänzer“ als „Turngerät“ verwendet zu werden.

      Was das Führen anbetrifft: Tanz einfach das mit, was die Partnerin als „geführt“ empfindet! Mache ich bis heute so.

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    2. Robert Wachinger10. Januar 2017 um 19:36

      «Was das Führen anbetrifft: Tanz einfach das mit, was die Partnerin als „geführt“ empfindet! Mache ich bis heute so.»
      Sehr gut. Mir hat damals eine Partnerin gesagt «führ halt das, was ich tanzen will». Seitdem ich meine Ratio ob dieser offensichtlichen Unlogik beruhigt hatte (hat ein paar Monate gedauert), muss ich sagen: stimmt ganz genau!

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    3. Ein wunderbarer Satz!

      Aber es gibt "Geheimnisse" des Tango, die kannst hundert Mal veröffentlichen, und es nimmt sie dennoch kaum einer zur Kenntnis (Tangolehrer eh nicht).

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