Die Scheinheiligen der allerletzten Tage
Es
ist nun schon wieder drei Tage her, dass mich die Botschaft erreichte, ich möge
doch bitte die Namen der Administrator/innen der Facebook-Gruppe „Tango München“ in meinem Blogbeitrag „Einfach abschalten?“ vom 8.5.16
löschen.
Gelöscht
hatten die beiden damals etwas anderes, nämlich Manuela Bößels Text „Schwarz und Weiß und das dazwischen“, den die Autorin in dieser öffentlichen (!)
Facebook-Gruppe geteilt hatte.
Ich
habe dann sofort die Namen der Akteur/innen aus meinem Blogtext entfernt –
nicht, weil es die beiden verdient hätten, sondern, weil ich keine Alibi-Debatte
über „Namensnennung ja oder nein“ wollte. Mir geht es um den Inhalt: Dass man auf
einem öffentlichen Forum Texte löscht, die einer einflussreichen Gruppe gegen
den Strich gehen. Einfach so. Kommentarlos. Weg damit und fertig! (siehe P.S.)
Und
wenn man dagegen protestiert und dabei Verantwortliche benennt: Auch löschen, verschweigen, vertuschen, ja nicht die heile Tangowelt stören…
Nun
könnte man meinen, die Erfüllung dieses Wunsches könnte auf der anderen Seite
die Einsicht fördern, im Gegenzug doch einmal öffentlich darzutun, warum
man damals diese Zensur ausübte. Nein, bisher nicht, und da wird wohl auch
nichts mehr kommen, wieso auch? Die Namen sind aus dem Spiel, um mehr ging es
ja nicht!
Ich
bin nun lange genug beim Tango, um eine Behauptung zu wagen: Wäre das Ganze
2006 und nicht 2016 passiert, hätte es in der betreffenden Szene einen
Aufschrei gegeben, den die beiden Akteur/innen nicht wortlos hätten überstehen
können. Sie hätten sich rechtfertigen müssen, und das wäre sehr spannend
geworden!
Inzwischen
hat sich das Personal beim Tango um mehr als 90 Prozent verändert. In der neuen
Population dominiert vor allem eine Triebfeder: Angst. Sich ja nicht persönlich und öffentlich äußern! Privat
dagegen erreichen mich durchaus Nachrichten, die mir oft interessante Einblicke
in die Persönlichkeitsstruktur von Beteiligten offenbaren – aber was nützt das? Veröffentlichen kann ich es nicht.
Dazu
passt ja, dass man im gemeinen Tangovolk ständig auf der Suche nach Gurus und
Lichtgestalten ist, die dann in 90 Minuten-„Workshops“ angeblich für die
Ausgießung des reinen Tangogeistes sorgen, dass man sich Códigos unterwirft,
die inzwischen jeden Käse auf dem Parkett und außerhalb reglementieren. Man
will ja nichts „falsch“ machen…
Ganz
in der Tradition religiöser Traktätchen erscheinen haufenweise Artikel wie
dieser: „8 common tango mistakes and how
to avoid them“ (http://www.tango-space.com/uncategorized/8-common-tango-mistakes-avoid/)
Tja, der Tango ist zu einem Tanz geworden, bei dem man heute vor allem eines
machen kann: Fehler (hieß früher im Katechismus: „Sünden"). Darüber hinaus bereisen Musik-Exegeten die Lande und predigen den
lokalen Gemeinden, welche Musik die richtige für Milongas sei, wie die Stücke nach den „heiligen Gesetzen" hintereinander aufzulegen wären etc.
Apropos:
Zum Buch „Tango-Geschichten“ von Michael Lavocah erschien kürzlich auf „Amazon“ eine neue Besprechung,
natürlich mit jubelnder Lobpreisung (die ich ja teilweise sogar nachvollziehen
kann). Im letzten Absatz allerdings wird es mir dann schwindlig:
„Im Grunde ist es ein
Muss für alle DJ-Einsteiger. Man tut sich nach dem Lesen dieses Buch wesentlich
leichter, die richtige Musik für eine Milongagestaltung zu finden.
Diesbezüglich bekommt man in diesem Buch auch sehr viele Tipps und
CD-Vorschäge. Die vielen anderen alten bis neuzeitlichen Orchester und
kleineren Musikgruppen, die nicht im Buch beschrieben werden, sind im Grunde
nur ‚Randorchester‘ und ‚Beiwerk‘ für eine Milonga mit traditioneller
Tangomusik. Der Kern der traditionellen Tangomusik wird durch die im Buch
beschriebenen Orchester gebildet.“
Dies
ist der Punkt, bei dem ich nicht mitkann: Sehr gerne profitiere ich zwar vom
Wissen eines Experten über eine bestimmte Sparte der Tangomusik – aber was mir
dann tatsächlich gefällt, entscheide ich selber. Das Kompendium einer „Heilslehre“
brauche ich nicht – schon deshalb, weil Widerspruch in der Kirche nicht selten
zu heißen Füßen führt…
Sehr
amüsant wurde es, als ich einmal nachforschte, was der obige Autor sonst noch
an Besprechungen beim Multiversand-Händler hinterlassen hat. Ich fand eine
Rezension des Werkes „Das Evangelium des
vollkommenen Lebens: Ein ursprüngliches und vollständiges Evangelium“ von Gideon J. Ouseley (1762-1839). Dazu
heißt es unter anderem:
„Jesus war nicht nur
Vegetarier, sondern er verurteilte sogar aufs Schärfste das Essen von Tieren.
So gab er ursprünglich nicht zehn, sondern zwölf Gebote. In einem Gebot heißt
es: ‚Ihr sollt nicht das Fleisch essen noch das Blut eines getöteten Geschöpfes
trinken, noch etwas, welches Schaden eurer Gesundheit oder euren Sinnen bring
(raffinierter Zucker, alkoholische Getränke etc., Anmerk. d. Verf.).‘ In einem
weiteren Gebot setzt er fort: ‚Ihr sollt mit euren Händen die Dinge erarbeiten,
welche gut und schicklich sind. So sollt ihr essen die Früchte der Erde, auf dass
ihr ein langes Leben habt.‘ Naturwissenschaftlich betrachtet werden diese
beiden Gebote immer aktueller und zunehmend als Wahrheit erkannt. Tatsächlich
gehört besonders das Fleisch zu den Nahrungsmitteln, die durch ihre
grobstoffliche Beschaffenheit oder durch bestimmte negative feinstoffliche
Energien und Eigenschaften das Leben menschlicher Körperzellen auf vielfältige
Art und Weise schwächen und verkürzen. Darüber hinaus bewirkt das Fleisch eine
deutlich stärkere ‚Erdung‘ des menschlichen Bewusstseins als alle anderen
natürlichen Lebensmittel. (…)
Jesus lehrte aber auch die Reinkarnation und er kündigte ebenso wie in den kanonischen Bibelevangelien seine offizielle Rückkehr an (er war ja nie wirklich fort, Anmerk. d. Verf.), die infolge der derzeitigen Zeitzeichen, die von ihm beschrieben wurden, offensichtlich bald bevorsteht.“
Jesus lehrte aber auch die Reinkarnation und er kündigte ebenso wie in den kanonischen Bibelevangelien seine offizielle Rückkehr an (er war ja nie wirklich fort, Anmerk. d. Verf.), die infolge der derzeitigen Zeitzeichen, die von ihm beschrieben wurden, offensichtlich bald bevorsteht.“
Na
gut, ich will natürlich niemandem seine religiösen Überzeugungen nehmen!
P.S. Nachdem die Administratorinnen der FB Gruppe "Tango München" offenbar weiterhin nicht bereit sind, ihre damalige Löschung öffentlich zu begründen, habe ich ihre Namen im betreffenden Artikel wieder eingestellt.
> Ganz in der Tradition religiöser Traktätchen erscheinen haufenweise Artikel wie dieser
AntwortenLöschenKann es sein, dass bereits der Titel Sie so in Rage gebracht hat, dass sie den Artikel gar nicht erst richtig gelesen haben? Es geht in erster Linie (Mistake 1-5) um TanzTECHNIK, lediglich Nr. 8 befasst sich im weitesten Sinne mit "codigos". Dass man erstmal schauen soll, ob und wo Platz ist, bevor man die Tanzfläche betritt, scheint mir doch ein ganz vernünftiger Rat zu sein.
Werter Herr Kollege,
Löschenwir können hier gerne über alles diskutieren, nur bitte ich eines zu beachten: Die Zeiten, in denen ich mir von Sportlehrern sagen lassen musste, ich hätte wohl nicht aufgepasst, sind längst vorbei und werden nicht wieder aufleben!
Auch als Fremdsprachen-Amateur bin ich schon noch in der Lage, die eine Seite Reader’s Digest-Englisch sinnentnehmend zu lesen. In dem Absatz meines Textes, wo ich den Beitrag erwähne, steht rein gar nichts von Códigos. Ich habe sehr wohl bemerkt, dass sich diese Tipps weitgehend auf Tanztechnik beziehen. Mein Anliegen war, jene Fehlerorientiertheit beim heutigen Tango zu kritisieren.
Aber wenn wir schon mal ins Detail gehen:
Was sollen eigentlich diese „Maurerpratzen“ (bei Punkt 1 und 8) auf dem Rücken der Männer – und bei Punkt 8 zusätzlich noch die hochgezogene linke Schulter der Frau?
Und die Abbildung eines Tangoorchesters hilft sicher sehr bei der Musikinterpretation… ebenso wie die alten Bio-Wandtafeln bei der Tanztechnik: Selbst wenn es, wie ich meine, noch ein paar mehr als 20 Fußmuskeln gibt (extrinsische und intrinsische zusammen): Wie steuert man die einzeln an?
Sehr lustig ist auch die Aussage in Abschnitt 2: “Tango is so intimate that if you go off-balance, even just a bit, you will throw your partner off-balance too.” O je, wenn ich da immer aus dem Gleichgewicht käme, wäre schon mancher Tanz in der Praxis heftig misslungen!
Ich verstehe das Ganze in erster Linie als Werbung für den Verkauf von Tangounterricht: Wenn dem armen Leser erstmal klar wird, was er alles falsch macht, wird er den schon buchen!
Ach ja, und Punkt 8: Klar ist es vernünftig, die Tanzfläche nur dort zu betreten, wo grad keiner steht. Darauf sind wir früher ohne solche Traktätchen ganz von alleine gekommen. Und übrigens ist es auch ratsam, sich nicht mit offener Hose auf dem Parkett zu zeigen. Muss ja alles mal gesagt werden…
Zu den 8 common mistakes ...
AntwortenLöschenAn sich ist es ja interessant, wenn Leute ihre Ansichten auch versuchen auch in Regelwerke zu fassen. Auch schon allein wegen des Versuchs wegen. Nur alles dann als Fehler zu sehen ist problematisch. Kaum eine Regel ohne Ausnahme oder implizite Annahmen. Gefährlich wird es auch, wenn man es normativ sieht.
Lieber David Werner,
Löschenganz recht, mir geht es hier um den grundlegenden Ansatz, der mich sehr an den katholischen Katechismus-Unterricht meiner Kinder- und Jugendzeit erinnert: Welche Sünden gibt es und wie kann man sie vermeiden? Nur ist ein Mangel an Verfehlungen halt noch kein sicheres Qualitätsmerkmal!
Als meine Kollegen und ich vor 17 Jahren mit dem Tango anfingen, haben wir wahrscheinlich mehr „Fehler“ gemacht als Schritte. Aber wir hatten eines: riesigen Spaß! Und genau diese Freude hat viele von uns wohl locker genug gemacht, um uns weiterzuentwickeln, zu fühlen, wie es leichter geht, wie es auf unsere Partner wirkt usw.
Ich war neulich als Springer in einem Tangokurs. Den Frauen wurde u.a. eingeschärft: Ihr dürft genau nur das tanzen, was der Mann führt! O mei‘, wenn ich es in meiner Anfängerzeit mit einer sehr guten Tänzerin zu tun bekam, war ich manchmal froh, wenn ich Balance und Kontakt halten konnte und ihr nicht allzu sehr im Weg war. Ich habe davon riesig profitiert.
Heute scheint man bestrebt zu sein, bei Tangoschülern erstmal die Schrauben anzuziehen, und wenn sie dann verkrampft genug sind, machen sie kaum noch Fehler. Sonst allerdings auch nicht viel mehr…
Warum schreibt man nicht in den Titel: „Acht Tipps, wie Du Dein Tanzen verbessern kannst?“ Ginge das nicht auch?
Herzliche Grüße
Gerhard Riedl
zu den 8 common mistakes ..
AntwortenLöschenIch find es ja ok zu versuchen auch Regeln zu finden und zu formulieren, wie etwas gut funktioniert. Aber selten gibt es Regeln ohne Ausnahme oder implizite Annahmen. Insofern müsste man bei den "8 common mistakes" eher in die Details gehen.
Und auch das was lange Zeit als richtig angesehen wird, kann ja altern. Etwa wenn jemand mit was neuem daher kommt, dass auch gut funktioniert und einer Regel widerspricht.. Dein Punkt scheint ja auch zu sein, dass es immer vieles gleich als Fehler gilt. Insofern sollte die Diskussion offen bleiben und das Publikum aufgefordert sein selbst zu denken.
Es gibt schon Menschen, die sehr gerne etwas regelgläubig sind, und bei denen fallen auch Regelwerke sicher auf fruchtbaren Boden.
Ich hatte mir den Kalauer zum heutigen Tango im Beitrag verkniffen, aber jetzt muss er doch noch raus:
LöschenEin Verstorbener kommt zu Petrus in den Himmel. Weil er ein so guter Mensch war, hat er einen Wunsch frei: Er möchte einmal die Hölle sehen.
Na gut, sie fahren mit dem Lift nach unten: Als sich die Tür öffnet, sieht der Verstorbene eine Urlaubs-Clubszene: Musik, Swimmingpool, schöne Frauen, Sekt…
Völlig entgeistert fragt er Petrus: „Das soll die Hölle sein? Das hat man uns anders erzählt!“ Petrus nickt: „Ich weiß, was du meinst.“
Sie fahren noch ein Stockwerk abwärts, Tür auf: Böse Teufel malträtieren die armen Seelen, Wehgeschrei, Feuer, Pech und Schwefel.
Darauf der Gast: „Und was ist das jetzt?“ Petrus: „Das ist die Hölle der Katholiken. Die wollen das so.“
Lieber Gerhard
LöschenWenn ich mir die Talkshows und die Reality Shows in unserem hochgeschätzten deutschen Nachbarland anschaue, dann verstehe ich sehr gut, was im Tango an organisatorischen und regulativen Wahnsinnstaten abläuft.
Kommissare im Einsatz, die Sache mit dem Richter Holter und die örtlichen halbamtlichen Schnüffler und Aufsichtsorgane, die Liste ist noch lang. Und dazu das Publikum, das sich daran erfreut, Angelegenheiten aufzudecken, öffentlich zu machen und zu kritisieren, die sie alle eigentlich einen ....dreck angehen.
Eine Freundin nahe Schweinfurt hat mir erzählt, dass sie von der Nachbarschaft massiv aufmerksam gemacht worden ist, dass die Magnolienblätter ihres Gartenbaumes auf den Gehsteig gefallen waren und noch dazu einer ihrer Söhne mit einem Riss in der Jean zur Schule gegangen sei.
"BITTE, Seid's doch a biß'l gmiatlicher beim Tango!"
Wenigstens im Tango.
Auch wenn er nicht bayrisch oder österreichisch sondern argentinisch ist. Ich weiß genau, ohne die Kontrollfreaks und ohne den Kontrollstress tanzt es sich viel leichter und schöner. Das gilt auch für die Kontrolleure.
Ein "Tangolehrer" hat zu mir gemeint, Tango ist ganz leicht und einfach, geradezu mühelos, sonst würden es die Argentinier nicht machen.
Viel Erfolg für Deine unermüdlichen lustigen und ernsten Bemühungen in diese Richtung.
Herzliche aus dem Salzkammergut, Peter.
Lieber Peter,
LöschenGelassenheit lernt man nicht nur beim Tango, sondern auch beim Bloggen.
Neulich wurde ich (natürlich per private Nachricht) gefragt, wie ich denn bei den ganzen Angriffen und Aufregungen so "cool" bleiben könne. Meine Antwort: "Werd erst mal 66, dann kannst das auch!"
Herzliche Grüße
Gerhard