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Meine
Blogger-Kollegin Manuela Bößel hat
wieder einmal „zugeschlagen“: Regelmäßig erntet sie für ihre Texte drei- bis
vierstellige Zugriffszahlen.
Als
sie mir ihren jüngsten Beitrag vorlegte (https://im-prinzip-tango.blogspot.de/2017/01/genug-gepaced.html), war ich skeptisch: „Pacen“ und „Leaden“? „Neuro-linguistisches
Programmieren“, „Rapport herstellen“?
Nie gehört! Auch nach Recherche der dort angebotenen Links fand ich das Ganze
ziemlich schwierig. Würde sich der Sinngehalt dem Durchschnittsleser
erschließen? Dennoch fand ich das Ganze interessant und riet ihr zur
Veröffentlichung.
Manuela
hat es wieder einmal besser gewusst: Mindestens tausend Klicks auf Facebook muss
man erst einmal hinbekommen – dazu auch etliche zustimmende Reaktionen!
Worum
ging es im Kern? Um die Frage, wieso es Frauen auch im 21. Jahrhundert so
schwer fällt, einmal auch die eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen und sich
nicht ständig nur um das Wohlergehen der trauten Umwelt zu sorgen, laufend
Harmonie herzustellen, welche allen nützt, nur nicht ihnen selber: „Und die Herrn der Schöpfung reiben sich die
Hände. Wenn wir SO weitermachen, bleibt der Wunsch, ernst genommen zu werden –
ob vom Lebensgefährten, Chef oder Kunden – eine Illusion.“
Auf
den Tango bezogen: Auch mal allein hingehen, wenn der Göttergatte an einem
lebensbedrohlichen Schnupfen laboriert. Und dort nicht brav herumsitzen, bis
ein edler Tangoprinz einen aus seiner Einsamkeit erlöst, sondern: Selber führen
lernen, auch mit Frauen tanzen: „Aufgeben
werde ich das ‚Beide-Rollen-Spiel‘ gewiss nicht mehr. Und das Führen zum
richtigen Zeitpunkt in anderen Bereichen schon gar nicht. Und wenn ich mir
einen falschen Schnurrbart anpappen muss!“
Meine
Bloggerkollegin hatte mir vorhergesagt, das würde bei einem im Tango derzeit häufigen
Männertypus schlecht ankommen. Auch hier sollte sie recht behalten: In einer
Facebook-Gruppe, die sich netterweise „Konstruktive
kollegiale Tangogespräche“ nennt, ergab sich ein hübscher Dialog. Da diese
Plattform geschlossen (also nur nach Aufnahme zugänglich) ist, erlaube ich mir
(natürlich ohne Namensnennung), Teile der Debatte abzudrucken (unter Korrektur
des Smartphone-Legastheniker-Deutsches).
Einem
Kommentator missfiel offenbar besonders Manuelas einleitende Feststellung: „Beim Tango warten
wir heutzutage artig auf männliche Aufforderung zum Tanze respektive einmal pro
Abend Damenwahl wie anno dazumal."
Er schrieb: „Das halte ich für einen weitverbreiteten und grundlegenden Irrtum -
zumindest bezüglich des ‚traditionellen‘ Aufforderns beim Tango, denn dabei
bestimmt die Frau aktiv, welcher Mann sie überhaupt per Augenkontakt auffordern
darf. Natürlich funktioniert das nur zwischen Frauen und Männern, die
miteinander tanzen wollen, mit anderen nicht. Aber wer will denn schon einen Tanz
mit jemandem, der nicht mit einem tanzen will – wo sollte da ein Genuss möglich
sein?
Einzig Unkenntnis dieser Art der Aufforderung könnte einen behindern. Das sollte aber leicht zu beheben sein.“
Einzig Unkenntnis dieser Art der Aufforderung könnte einen behindern. Das sollte aber leicht zu beheben sein.“
Manuelas Antwort: „Lieber (…), wenn du wüsstest, wozu die Damen (ja, ich auch) einen
Mann mit nur einem einzigen Blick bringen können, würd's dich gruseln. Auch
wenn ich jetzt ein großes Geheimnis verrate: Das Cabeceo-Dings liegt schon seit
Urzeiten – da hat noch kein Mensch an Tango gedacht – in der weiblichen
Kommunikations-Werkzeugkiste!
Hoffe sehr, dass mein Text die eine oder andere Prinzessin ermuntert, die seelischen Glitzerglaspantöffelchen mit den Rettemich-Puschelchen gegen eine vernünftige, für die heutige Lebenswirklichkeit taugliche Ausrüstung auszutauschen. Oder aufzurüsten.
Ob ich die Mirada-Guck- oder eine andere Methode praktiziere respektive kombiniere, bleibt im 21. Jahrhundert, in einem Land in Mitteleuropa mit demokratischer Gesellschaftsform, meine Wahl. So werde ich trotz allem, wenn es die Situation erfordert und zulässt, meinen Hintern vom Wartestühlchen heben und – halten zu Gnaden – aktiv werden. (…)
Hoffe sehr, dass mein Text die eine oder andere Prinzessin ermuntert, die seelischen Glitzerglaspantöffelchen mit den Rettemich-Puschelchen gegen eine vernünftige, für die heutige Lebenswirklichkeit taugliche Ausrüstung auszutauschen. Oder aufzurüsten.
Ob ich die Mirada-Guck- oder eine andere Methode praktiziere respektive kombiniere, bleibt im 21. Jahrhundert, in einem Land in Mitteleuropa mit demokratischer Gesellschaftsform, meine Wahl. So werde ich trotz allem, wenn es die Situation erfordert und zulässt, meinen Hintern vom Wartestühlchen heben und – halten zu Gnaden – aktiv werden. (…)
„Das
kann ich – wie die meisten Frauen – einschätzen. Kein Problem. Männliche Sorge
diesbezüglich überflüssig.“
Was den so Angesprochenen zur Frage
veranlasste: „Warum jetzt in den Sexismus
abgleiten?“
Tja… wo soll man da anfangen? Eigentlich
schon bei der dreisten Behauptung, das Schweifen der Blicke sei die „traditionelle“
Aufforderungsart. Selbst wenn man es nur auf den Tango bezieht: Den gibt es
hierzulande schon mindestens seit den 20-er Jahren, und auch mein Vater, der
diesen Tanz liebte, ist gewiss zu den Damen hinmarschiert, um sie mit einer Verbeugung
zu einem Tango einzuladen. Und in Argentinien? Da waren wir ja alle Zeugen der
Milongas der 40-er Jahre und können uns ein Urteil bilden…
Was ich sicher weiß: Der hiesigen Tangoszene
wurde das Geblinzel vor weniger als zehn Jahren in einer verbissenen
ideologischen Kampagne aufs Auge gedrückt (welch schöne Metapher).
Ich behaupte: Damals wie heute haben Frauen
den heftigeren Wunsch, zu tanzen (schon, da sie seltener dazu kommen). Wie man
sie auffordert, ist ihnen fast flächendeckend egal!
Aus meiner Sicht ist der Cabeceo eine ideale
Erfindung für eine bestimmte Art von Kerlen, die nicht von jedem dahergelaufenen
(!) Weib zum Tanzen gezwungen werden wollen (auch wenn der Schreiber hier
schlauerweise die Rollen vertauscht): „Aber
wer will denn schon einen Tanz mit jemanden, der nicht mit einem tanzen will –
wo sollte da ein Genuss möglich sein?“ Na klar, es geht ja in der
ehrenwerten Tango-Gesellschaft nur um das eigene Wohlergehen – das des Partners
kann man getrost vergessen…
Und der Gipfel der Zumutung ist dann noch die
hochnäsige Einstellung, irgendeine dumme Tante könne ja nur aus „Unkenntnis“ zu
ihren Ansichten kommen, weswegen sie zu belehren sei!
Schluss damit, sonst rege ich mich noch auf!
Lassen wir lieber noch einmal der Autorin das Wort, der ich per Interview
einige Fragen gestellt habe:
„Ich
war ja bei diesem Text eher skeptisch – da er mir ziemlich schwierig vorkam,
rechnete ich mit wenig Resonanz. Du hast mir damals widersprochen: mit Recht,
wie sich erwies. Was machte dich so sicher?“
„Deine Einschätzung
war mir klar – du bist ja ein Mann! Das ‚Pacen‘ kennen aber alle Frauen zur
Genüge – und die eigenartigen Situationen, die sich daraus ergeben: Sie kommen
dadurch aber nicht ins ‚Leaden‘ – und ärgern sich darüber, dass es nicht
klappt. Überdies erregt ein Text, bei dem es im Tango um Männer und Frauen
geht, stets große Aufmerksamkeit.“
„Unwillen
erzeugte besonders Deine Feststellung: ‚Beim Tango warten wir heutzutage artig
auf männliche Aufforderung zum Tanze respektive einmal pro Abend Damenwahl wie
anno dazumal.‘ Du wurdest belehrt, der Cabeceo löse diese Probleme. Tut er das
in der Praxis?“
„Nein, tut er nicht.
Nach meiner Erfahrung gucken sich auf Milongas etliche Frauen einen Wolf und
werden trotzdem auch nicht aufgefordert. Allein die Anwendung des
Mirada-Cabeceo-Spiels bringt einer Frau nicht mehr Tänze. Die Sichtweise, der
Cabeceo ‚schütze die Frauen‘, finde ich putzig.“
„Im
Zusammenhang mit den verschiedenen Aufforderungsweisen hast du festgestellt: ‚Das kann ich - wie die meisten Frauen - einschätzen. Kein
Problem. Männliche Sorge diesbezüglich überflüssig.‘ Daraufhin warf man dir
vor, ‚in den Sexismus abzugleiten‘. Echt?“
„Ich
verstehe auch nicht, was das mit Sexismus zu tun haben soll. Aber vielleicht
sehen es ja manche Männer als Sexismus, wenn man Frauen dazu ermutigt, selber
aktiv zu wählen, nicht nur passiv abzulehnen.“
„In
deinem Artikel schreibst du: ‚Als Tanguera, die beide Rollen tanzt, bin ich
(wie meine sehr wenigen Kolleginnen) immer noch eine Exotin.‘ Auf welche
Ursachen führst du das zurück?“
„Viele trauen sich
einfach nicht. Und gerade beim heutigen Tango muss man als Führende mehr an
seiner eigenen Technik arbeiten – und dazu sind manche einfach nicht bereit. Als Folgende kann man derzeit viel schneller vorwärtskommen –
scheinbar! In der engen Stehtango-Umarmung fallen beispielsweise Defizite in
der Balance wenig auf.“
„Im
Kern geht es in deinem Text ja nicht um ‚Cabeceo oder verbal auffordern‘,
sondern um das ‚Leaden‘ in Form weiblichen Führens beim Tango. Zu diesem
Hauptpunkt schweigen sich die Kommentatoren aus. Auf welcher Höhe der
männlichen Sympathieskala rangieren Frauen, die andere auffordern – und warum?“
„Das ist stark
personenabhängig. Von manchen Männern werde ich aus diesem Grund sicherlich in
der Wahl übergangen – vielleicht, weil ich in ihrem Revier wildere. Auf diese
Sorte kann ich aber gut verzichten. Andere dagegen sehen so besser, was ich
tänzerisch kann – und fordern mich gerade deshalb auf. Und bei Männermangel
nehme ich den Herren ja einen Teil der Arbeit ab!“
Vielen
Dank, Manuela!
Den
Vogel schoss auf besagtem Forum ein anderer Diskussionsteilnehmer ab, der von
der weiblichen Aufforderung eine etwas obsessive Vorstellung hat: „Ich meine es
aber ernst, Frauen können sich in die Nähe ihrer Ziele bewegen, zufällig im Weg
stehen oder ‚wie selbstverständlich‘ Arm, Schulter, Bauch berühren und mit
klarem: ‚schöne Musik, lass uns tanzen‘ aktiv sein. Es gibt zum Glück nicht nur
‚Prinzessinnen‘.“
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