Bis unters eigene Niveau
Armselig der Schüler, der seinen Meister nicht übertrifft.
(Leonardo da Vinci) Vielleicht sollte ich die Zeitschrift „Tangodanza“ doch wieder abonnieren. Wann immer mir ein kostenloses oder leihweises Exemplar in die Hände fällt, finde ich mindestens einen Artikel, der mich zur Satire-Feder greifen lässt!
In der aktuellen Ausgabe ist es der Beitrag „Wie kommen wir auf die nächste
Tango-Wolke?“ (S. 24-25)
Es geht dabei um die Tangolehrer Tine Weiß und Mark von
Rahden (laut Website auch „Mitbetreiber der Tangowerkstatt Hannover,
Veranstalter, Choreografen und Tango-DJs“) – seffaständlich mit
einer langen Liste eigener Lehrer aus der Tango-Walhalla. Seit Mitte der
1990-er Jahre tanzen die beiden Tango, seit 2000 unterrichten sie als
Paar, ab 2006 in der eigenen Tangoschule. Für 2019 bieten sie nun die dritte „Tangolehrer-Jahresausbildung“ an.
Der
Text über die beiden stammt von einem Paar, welches offenbar schon lange zu den
Stammkunden des dortigen „Club de
Tango“ gehört. Warum wollten sie nun eine Tangolehrer-Ausbildung machen? Die
Antwort muss man wörtlich zitieren: „Warum
misslingen Bewegungsabläufe, von denen wir doch der Meinung sind, sie richtig
zu tanzen? (…) In der Tangolehrer-Ausbildung sahen wir die Chance, intensiv und
zielgerichtet an unserem Tango zu arbeiten, uns weiterzuentwickeln.“
Ich
habe mich auf der Website der Veranstalter vergewissert, ob das auf einem
Irrtum beruht. Doch steht dort tatsächlich unter der Überschrift „für wen“:
·
Du möchtest selbst Tango unterrichten,
·
Du unterrichtest bereits und möchtest Dein Wissen vertiefen und
weiterentwickeln,
·
Du möchtest den Tango von einer anderen Seite kennenlernen, um Dein
Tangotanzen zu verbessern.
Vielleicht erklärt dies ja das Elend des Tangounterrichts hierzulande: Man kommt mit dem eigenen
Tanzen nicht zurecht – was ist die Lösung? Na klar: Tangolehrer werden!
Ich stelle mir das gerade als Stellenbeschreibung an einer Musikhochschule vor: „Sie kommen mit
Ihrem Instrument nicht klar? Buchen Sie eine Ausbildung zum Dozenten!“
Bislang war ich der naiven Ansicht, man müsse eine
Sache schon richtig gut können,
bevor man daran denken könne, sie an andere
weiterzugeben – und sich dann noch das „Wie“ beibringen lassen. Und man solle
lieber den Lehrer wechseln, wenn man das Gefühl hat, nicht richtig voranzukommen.
Dies scheint jedoch ein veralteter Standpunkt zu sein.
Das Ganze ähnelt Verhältnissen in der Coaching-Branche, über die ich neulich
berichtet habe: Statt mühsam Schüler zu akquirieren, bildet man weitere Coaches
aus.
Aus meiner Sicht hat das ganze Brimborium weniger
methodisch-didaktische, sondern vor allem ökonomische
Hintergründe: Die Ausbildung an besagtem Institut erstreckt sich mit zirka
100 Trainingsstunden von Februar bis November und kostet pro Nase schlappe 2280
€. Einen Rabatt (gut 2 Prozent) gibt es bei Vorabzahlung sowie als „Club de Tango“-Mitglied
(zirka 13 Prozent).
Letztere Variante ist eine Art „All you can dance“-Offerte: Für 48 € monatlich (also 576 € pro Person
und Jahr) erhält man 40 Kursabende jährlich sowie eine Art Practica gratis und
auf den Rest eine nicht näher bezifferte Ermäßigung. Damit sich das rentiert,
sollte man natürlich schon fast alles mitmachen, was der Veranstalter so
anbietet.
Letztlich ist dies wohl die einzige Methode, am Tango richtig zu verdienen: Milongas zu einem Eintrittspreis um die
7 € bringen es wahrlich nicht – so viel schlechten Rotwein kann man gar nicht
verkaufen! Und bei Kursen (zu einem
Stundenpreis um die 12 €) ist es halt die Frage, ob man Schüler halten kann,
welche sich oft genug als „Laufkundschaft“ erweisen. Ein „All inclusive“-Club ist da ertragreicher, weil er pro Paar
schon mal über 1100 € jährlich bringt. Unübertroffen jedoch ist eine
Tangolehrer-Ausbildung, bei der man auf einen Schlag etwa 4500 € pro Paar
einstreichen kann – zu einem Stundenpreis von zirka 45 € für die beiden.
Wie ich in meinem oben erwähnten Artikel zum Coaching
recherchiert habe, hält die Stiftung
Warentest 250 Stunden Präsenzunterricht bei solchen Ausbildungen für
unabdingbar. Real werden 100 Stunden und weniger geboten – zu durchaus
vergleichbaren Preisen wie im Tango.
Nun möchte ich die Qualität des hier gebotenen Unterrichts nicht herabwürdigen –
schon, da ich sie nur aus dem Tangodanza-Artikel kenne. Manches, wie Musikalitätsschulung und die
Betonung des Partner- und Rollenwechsels, klingt durchaus sinnvoll. Und wer
Spaß daran hat, sich den Tango über die Perspektive
des Lehrenden zu erschließen, kommt sicher auf seine Kosten. Apropos: Ein
zukünftiges, „zertifiziertes“ Tangolehrerpaar wird dann halt (mit Verpflegung,
Reise und Übernachtung) 6000 oder mehr Euro los. Man gönnt sich ja sonst nichts
– und ob man hinterher besser tanzen kann, muss jeder selbst beurteilen. Das Paar, welches den Artikel verfasst hat, ist davon überzeugt – kein Wunder, der Artikel wäre wohl sonst kaum gedruckt worden. Fürs Böse bin ich ja zuständig...
Interessenten müssen sich allerdings im Klaren sein:
Es wird schon was verlangt – da kann man leicht von der Wolke fallen! Zitat aus dem Artikel zu einem Arbeitsauftrag:
„Tut euch zu zweit zusammen und bereitet mal eine Übungseinheit vor, und
zwar mit zwei unterschiedlichen Sacadas, einer Alteration, einem Gancho und den
zugehörigen Ein- und Ausgängen – wir treffen uns morgen nach der Mittagspause
zum Präsentieren.“
Sollte es dabei nicht um Geologie, Medizin oder Musik
gehen, würde ich eine gegen die Gewohnheit geführte Bewegung im Tango zwar als „alteración“ bezeichnen… aber dennoch:
Gleich 20 Kursstunden auf einmal zu planen, ist schon verwegen! Aber vielleicht
war die Übungseinheit ja für Leute ab 8 Jahren Tanzerfahrung gedacht, welche
dort zur Kategorie „AvanzadoExtra“ gehören…
Über einen Satz der Tangolehrer-Lehrer jedoch kann man lange nachdenken:
„Grundsätzlich gilt: Unterrichten
können wir Tangolehrer bis zu dem Niveau unter unserem eigenen, das wir uns
sicher erschlossen haben“.
Nun
wollen wir niemand verdächtigen, schlicht seine Alphaposition unangefochten bewahren zu wollen. Ich weiß nur nicht,
wie dies zu einem anderen Satz auf der Website der Anbieter passt: „Wir unterstützen Dich dabei, Deinen eigenen
Stil im Tanz und Unterricht zu entwickeln.“
Darüber
könnten nicht nur diese Tanzpädagogen einmal nachdenken: Ist das „Maß aller
Dinge“ im künstlerischen Bereich der Stil
des Lehrers oder besteht dessen Aufgabe in einer fachkundigen Begleitung der Schüler zu einer
eventuell ganz anderen, individuellen
Tanzweise? Welche Bedeutung haben dann noch Killervokabeln wie „Niveau“?
Keine Angst, ich bewerte
das nicht – jeder darf sich selber entscheiden, ob er das nächstniedrigere Niveau anstrebt!
Quellen:
https://www.clubdetango.de/tangolehrerausbildung/
Hier ein Kommentar von Wolfgang Sandt:
AntwortenLöschenLieber Gerhard,
naja, mit der Musikauswahl haben sie sich keinen Gefallen getan. Bei traditionellen Stücken sieht das schon etwas besser aus, aber vom Hocker reißt es mich auch nicht.
Allerdings sagt das nicht unbedingt etwas über ihre Qualität als Lehrer aus. Es gibt viele sehr gute Tänzer, die lausige Lehrer sind, während gute Lehrer nicht unbedingt die besten Tänzer sein müssen.
Dass mit den diversen Tangolehrerausbildungen ist natürlich so eine Sache. Da wird viel auf das Ego der Tänzer gesetzt. Ein anderes Angebot für Tänzer, die sich weiter entwickeln wollen, wäre wahrscheinlich besser.
Eine Tanzlehrerausbildung sollte ja, so finde ich, auch didaktische Fähigkeiten vermitteln, die jemand der "nur" besser tanzen will, gar nicht unbedingt braucht.
Im Übrigen glaub ich, dass sich die beiden da mit dem “eigenen Niveau” nur unglücklich ausgedrückt haben. Wahrscheinlich wollten sie bloß nichts versprechen, was sie dann nicht halten können.
Noch einen wunderschönen Abend
Wolfgang
Lieber Wolfgang,
Löschendie Qualität des Unterrichts können wir in diesem Fall beide nicht beurteilen. Bezeichnenderweise werden ja fast immer nur Videos vom Tanz der Meister veröffentlicht, die Schüler sieht man kaum einmal, was viel aufschlussreicher wäre.
Bisher dachte ich halt, man müsse schon gut tanzen können, um dann eine Tangolehrerausbildung zu machen. Das scheint heute anders zu sein, was in meiner Sicht monetäre Gründe hat: Die Gage ist halt wegen der langen Dauer weitaus höher, als wenn man schnöde Kurse gibt.
Mich nerven die ganzen "Gefälligkeitsartikel" in der Tangodanza, die meist von Leuten verfasst werden, die den Beschriebenen irgendwie nahestehen oder ihnen gar verpflichtet sind. Objektive, eventuell kritische Würdigungen sucht man da vergeblich.
Wie immer das mit dem "eigenen Niveau" gemeint ist: Es spricht schon viel dafür, dass die Schüler sich am Stil der Lehrer orientieren müssen - und das ist das größte Elend.
Danke und herzliche Grüße
Gerhard
Hier die Antwort von Wolfgang Sandt:
AntwortenLöschenWenn man das Gefühl hat, noch Schwierigkeiten mit dem Tanzen zu haben, kommt es vielleicht auf die Art der Schwierigkeiten an. Ich zum Beispiel habe nach einem Bandscheibenvorfall im letzten Jahrtausend eine Schwäche im linken Fußballen.
Dass bedeutet, dass ich manche Bewegungsabläufe nur schwer oder gar nicht machen kann (was ich immer merke, wenn ich an einer Master Class teilnehme, weil dann garantiert irgendeine Sequenz kommt, bei der ich auf dem linken Ballen drehen muss: - (
Das hindert mich allerdings nicht daran, doch ganz gut und milongatauglich zu tanzen und für unsere Kursteilnehmer einen anständigen Unterricht zu machen.
Ich würde auch nie sagen, dass ich schon ein endgültig fertiger, perfekter Tänzer bin. Meiner Meinung nach ist es wichtig, die eigenen tänzerischen Fähigkeiten immer wieder zu hinterfragen, wenn man irgendwann richtig gut werden will.
Hier gefällt mir der Spruch von Patrizia und Michael "Es wird nie leichter, aber Du wirst besser."
Für mich ist es kein "Elend", wenn sich die Schüler am Stil ihrer Tanzlehrer orientieren. Mit irgendwas müssen sie ja beginnen, und keiner hat am Anfang schon den fertigen, eigenen Stil.
Das Elend ist, wenn der/die Tanzlehrer/in fest davon überzeugt ist, dass der eigene Stil der einzig richtige sei, und diesen Irrtum der ganzen Welt gegenüber dogmatisch vertritt - aus meiner Sicht oft eher ein Zeichen von Schwäche als von Souveränität.
Dass Tanzlehrer versuchen, mit ihren Fähigkeiten Geld zu verdienen, halte ich nicht für verwerflich, mach ich ja auch.
Was ich für unbefriedigend halte, ist es, Tänzer, die einfach nur besser tanzen wollen, nur das “Tangolehrer” Angebot zu machen, auch wenn der Begriff “Tangolehrer” manches Ego streichelt.
Ich hielte es für besser, sich da etwas anderes einfallen zu lassen, und bin überzeugt davon, dass jemand, der seinen Kursteilnehmern etwas bietet, was diesen wirklich weiterhilft, auch sein Auskommen haben wird: – )
Na ja, in erster Linie kommt es darauf an, ob Tanzschüler glauben, dass ihnen Hilfreiches geboten wird…
LöschenVon mir aus kann bei Tango jeder so viel verdienen, wie er will und kann. (Mein Ding ist das nicht, ich ziehe die Atmosphäre einer Subkultur vor.) Aber man muss dann auch Bewertungen einer Kosten-Nutzen-Relation hinnehmen.
Klar ist man mit dem Tanzen nie fertig oder gar perfekt. Wenn man aber meint, größere Probleme (egal welche) zu haben, kann man alles Mögliche in Erwägung ziehen – Kurse, Privatstunden, eigenes Üben, von mir aus Yogaunterricht – eine Ausbildung zum Tangolehrer erscheint mir aber als Themaverfehlung.
Und sicherlich orientieren sich Schüler erst einmal am Stil der Lehrenden. Nur müssen die erkennen, welche Art zu tanzen bei denen angelegt ist und dessen Entwicklung helfend begleiten. Meiner Ansicht nach kommt dies in der Branche viel zu kurz!