Äpfel und Birnen


„Diese oft als Vorwurf vorgetragene Redensart ist sehr anschaulich und leicht verständlich, aber nicht unbedingt stichhaltig. Denn eine Vergleichbarkeit hängt nicht nur von den Vergleichsobjekten selbst ab, sondern auch von den Vergleichskriterien. So lassen sich Äpfel und Birnen sehr wohl miteinander vergleichen, etwa nach Geschmack oder Vitamingehalt.“

Eine Leserin kritisierte in meinem letzten Artikel „September in the rain“ den Vergleich zwischen den Standard-Weltmeistern John Wood und Anne Lewis mit dem Berliner Tangolehrerpaar Constantin Rüger und Christiane Rohn:

„Wenn schon zwei Tanzarten miteinander verglichen werden sollen, dann bitte in der gleichen Liga und unter gleichen Bedingungen. Sonst sind wir schnell bei dem berühmten Äpfel mit Birnen-Vergleich!“

Ich finde, man darf die beiden Paare durchaus vergleichen – nur nicht gleichsetzen. Und das habe ich ja nicht getan. Dass ich gerade diese beiden Videos verwendet habe, lag schlicht daran, dass sie von Thomas Kröter ziemlich bald hintereinander gepostet wurden – ohne dass er die Unterschiede für erwähnenswert hielt.

„Äpfel mit Birnen“ war auch der Leitsatz eines anderen Lesers, der sich vom früheren Standardtänzer zum Tango-DJ hochentwickelt hat:

„Was soll der Vergleich der alten Slowfox-Kamelle mit dem Tango eines beliebten Tango-Lehrerpaares während einer Milonga anlässlich eines Tangourlaubs, wahrscheinlich auf der Abschlussmilonga? (…) Wenn man es denn unbedingt vergleichen will, dann doch bitte Aufnahmen von Bühnendarbietungen, z.B. vom Mundial de Tango.

Mir kam eine andere Idee: Warum Weltmeister gegeneinander antreten lassen, die ja seltene Leistungsspitzen verkörpern? Wieso nicht lieber die alltägliche Mischung von Können und Scheitern?

Ich stelle daher ein weiteres Video von Rohn und Rüger, das Chronist Kröter für zeigenswert hielt, der Aufnahme der Endrunde in einem Turnier der Senioren A-Klasse II Standard gegenüber.

Wer im Tanzsport nicht so firm ist: Im Amateurbereich zählt man bereits zu den Senioren, wenn der ältere Partner mindestens 35 und der jüngere 30 Jahre oder älter ist. Man beginnt in der D-Klasse und steigt auf, wenn man sich oft genug bei Turnieren platziert hat. Die A-Klasse ist die zweithöchste Liga, darüber kommt nur noch die S-(Sonder-)Klasse.

Man beachte: Die Tanzenden dort sind lupenreine Amateure, die sich niemals als professionelle Tänzer oder Tanzlehrer ausgeben würden! Hier nun der Vergleich:


Für Nur Tango-Tänzer: In der Endrunde eines Standard-Turniers müssen hintereinander (für jeweils 90 bzw. 60 Sekunden) fünf Tänze mit völlig unterschiedlicher Rhythmik und eigenständiger Charakteristik gezeigt werden: Langsamer Walzer, Tango, Wiener Walzer, Slowfox und Quickstep. Die Kamera folgt hier dem zweitplatzierten Paar (Nr. 4) – gewonnen hat (völlig zu Recht) die Nummer 20.


Ich hoffe, dass nunmehr der Vergleich fair genug ausfällt, zumal ich auch das tangospezifische Alter berücksichtigt habe: In der A II-Klasse muss der ältere Partner mindestens 45, der jüngere 40 Jahre oder älter sein.

Auch ein anderes Kriterium kann man durchaus mit dem Tanz vom Rio de la Plata vergleichen: Man steigt auch in den Tanzsportklassen zwar auf, aber nie ab. Die einmal erreichte Liga bleibt daher erhalten:

Da ein Abstieg in eine niedrigere Startklasse nicht möglich ist, sammeln sich die Paare in der S-Klasse, so dass die Leistungsspanne gerade dort besonders hoch ist. Es ist praktisch nur eine Frage der Zeit, dass man bei regelmäßiger Turnierteilnahme und günstiger Wahl von Turnieren in die nächsthöhere Klasse aufsteigt. Problematisch wird dies bei Paaren, die aufgrund ihres Alters oder mangelnder Zeit an Leistung verlieren. Die selbstbeantragte Rückstufung in eine niedrigere Startklasse ist zwar möglich, wird jedoch nur selten genutzt, so dass Abstiegsregelungen immer wieder diskutiert werden.“

Tja – wie war das gleich mit den uralten argentinischen Maestros?

Eine größere Zahl von Tangoleuten hat früher Standard und Latein getanzt. Ich wundere mich daher schon über den Schaum vorm Mund, wenn man es wagt, Positives im Feld des Tanzsports zu entdecken. So schrieb mir ein Berliner Tangolehrer, er komme selber aus diesem Bereich, und ihm sei dieses „affige Gehabe“ zuwider. Erstaunlich bleibt, dass mich noch nie ein Standardtänzer dafür kritisiert hat, nunmehr Tango argentino mit solch „arrogantem Getue“ zu tanzen. Shitstorms gar habe ich aus dieser Richtung nie erhalten. Schrecklicher Verdacht: Nehmen uns die Standardtänzer einfach nicht ernst genug, um sich mit uns anzulegen?

Zudem fürchte ich: Den Affen geben Standardtänzer eher auf dem Parkett, Tangotänzer lieber außerhalb...

Ich überlasse es jedenfalls meinen Lesern, welche tänzerischen Leistungen sie wie einschätzen – und sicher werde ich nun Argumente erhalten wie: „Man kann doch nicht Boskop mit Jonagold vergleichen.“ Nun, zumindest bleiben wir doch in der A-(Apfel-)Klasse...

Statthaft sind solche Vergleiche auf jeden Fall, wie mir die Kollegen der Satire-Seite „Der Postillon“ aufgrund einer Studie bestätigten:

„So fanden die Wissenschaftler unter anderem heraus, dass sowohl Äpfel als auch Birnen zu den Kernobstgewächsen gehören und sich nicht nur durch ihre Form unterscheiden: Äpfel schmecken nach Apfel, Birnen nach Birne. Ein Apfel hat weniger Kalorien als eine Birne, während die Birne mehr Mineralstoffe enthält. Beim Vitamingehalt hingegen liegt der Apfel vorne. (…)
Man kann und darf Äpfel mit Birnen vergleichen. Eines der letzten großen Denkverbote gehört jedenfalls der Vergangenheit an."

Wieviel leichter noch muss es daher fallen, Äpfel mit Rossäpfeln zu vergleichen…

Kommentare

  1. Da Thomas Kröter ungern auf meinem Blog kommentiert, bin ich so frei, seinen heutigen FB-Link (rechtschreibkorrigiert) auf meinen Beitrag herüberzuholen:

    „Gerhard Riedl kann gar nicht genug davon bekommen, für meinen Blog zu werben. Im jüngsten Fall hat er allerdings nur ein Video verlinkt, nicht den Beitrag, dem es entnommen ist. http://milongafuehrer.blogspot.com/…/…/apfel-und-birnen.html Deshalb hol ich's hier nach. Zwei Bemerkungen obendrein: SEPTEMBER IN THE RAIN von ANNE LEWIS & JOHN WOOD ich auf Facebook geteilt, „OBLIVION“ von Christiane Rohn & Constantin Rüger dagegen in meinem Blog – zwei höchst unterschiedlichen Streuobstwiesen also. Warum hätte ich auf den Unterschied zwischen beiden hinweisen sollen, wie Gerhard Riedl offenbar meint? Zweitens vermag Äpfel und Birnen am besten zu unterscheiden, wer bereit ist, genau hinzuschaun. In diesem Fall hätte Lesen gereicht. Im Videotext zu „PENSALO BIEN“ hab ich geschrieben: „Kurszusammenfassung Tangourlaub Oktober 20018“. Also nix mit Turnier oder Kür, welcher Klasse auch immer. Schlichtes Unterrichtsmedium. Deshalb limitiertes Repertoire und Tempo. Mit diesen Ergänzungen: Abermals vielen Dank nach Pörnbach!“

    Bitte, gern geschehen! Ich möchte allerdings feststellen: „Werbung“ für andere Blogs mache ich nur selten – und wenn, steht es ausdrücklich dabei. Ich erlaube mir allerdings gelegentlich, Texte von Blogger-Kollegen als Anregung für eigene Themen zu verwenden.

    Zur den unterschiedlichen „Streuobstwiesen“: Beide Videos fand ich durch Links auf Thomas Kröters Facebook-Seite. Weiterhin habe ich nicht geschrieben, er hätte auf den Unterschied zwischen beiden Videos hinweisen sollen – sondern lediglich festgestellt, dass er dies nicht für erwähnenswert hielt. Dies gab mir die Möglichkeit, ein neues Thema anzusprechen.

    Und schließlich: Wie gut jemand tanzen kann, sehe ich an einem „Unterrichtsmedium“ (das Kröter immerhin auf YouTube eingestellt hat) ebenso wie an einer Tanzshow. Um „Repertoire und Tempo“ geht es da überhaupt nicht, sondern um das WIE des Tanzens. Und das erkenne ich nach ein paar Schritten.

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