Ein letzter Tango


Ich bin verzaubert – was für ein Film!

Dem Regisseur German Kral ist es gelungen, die Stimmung der ersten Bilder (eine nächtliche Aufnahme der Avenida Corrientes mit dem berühmten Obelisken) über fast eineinhalb Stunden aufrecht zu erhalten. Wunderbar eingängig der Rhythmus der Schnitte zwischen Impressionen aus der argentinischen Hauptstadt, Statements der beiden Protagonisten Maria Nieves Rego und Juan Carlos Copes, historischen Filmaufnahmen ihrer Auftritte und neu gedrehten Tanzszenen, welche das wohl berühmteste Tangopaar aller Zeiten in den verschiedenen Altersstufen verkörpern.

Gespielte Sequenzen werden geschickt durch Aufnahmen der Kulissen gebrochen, sodass man quasi die Entstehung der Produktion mitverfolgen kann – der Zuschauer erlebt Gespräche im Filmteam und ist dabei, wenn die echte Maria Nieves den jüngeren Tänzerinnen, welche sie darstellen, Ratschläge gibt oder mit ihnen über das „Problem Mann“ diskutiert.

Überhaupt ist sie der „Star“ des Films; die meisten Geschichten bekommen wir aus ihrer Perspektive erzählt. (Herr Copes hätte sicher eine andere Version zu bieten, gibt sich aber, typisch männlich-argentinisch, eher verschlossen.) Die Tochter galizischer Einwanderer wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Tango, so berichtet sie, sei die „Freude der Armen“ gewesen. In der Kulisse einer kleinen Vorstadtwohnung sehen wir sie als Kind mit einem Besenstiel tanzen – dass dieser im realen Leben ein Mann sei, habe sie damals noch nicht verstanden.

Das änderte sich spätestens, als sie, zirka 14-jährig, mit ihrer älteren Schwester auf Milongas durfte – zunächst nur zum Zuschauen, denn, so bemerkt sie schmunzelnd, hätte sie sich auffordern lassen, wäre ihre Schwester nicht mehr zum Zuge gekommen. Auf einem Tangoabend lernte sie den 17 Jahre alten Juan Carlos Copes kennen, der ihr nicht mehr aus dem Kopf geht. Tanzen freilich, so erinnert sie sich, konnte der junge Mann mehr schlecht als recht. Wegen seines Aussehens allerdings erhielt er dennoch kaum einen Korb! Und auch Copes gesteht, er habe den Frauen eben so lange auf die Füße getreten, bis er Tango konnte…

Der junge, äußerst ehrgeizige Tänzer wird zur Liebe ihres Lebens. Bald wird man auf ihren Ausnahme-Tanzstil aufmerksam, sie gewinnen Preise und arbeiten sich über kleine Kabaretts zu immer größeren Auftrittsorten hoch. Eine internationale Karriere folgt. Auch den Niedergang des Tango in den 60-er Jahren überstehen sie durch die wohl untrennbar mit dem argentinischen Kulturleben verbundene Flucht ins Ausland: Mit Shows wie „Tango argentino“ bewirken sie das Revival des Tanzes vom Rio de la Plata in den 80-er Jahren. Ein halbes Jahrhundert standen die beiden gemeinsam auf der Bühne.

Der Streifen ist aber alles andere als ein „Starportrait“, sondern sucht die Menschen im und hinter dem Tango. Lässt sich die unglaubliche tänzerische Harmonie der beiden auf das Leben übertragen? Wohl nur sehr eingeschränkt: Für längere Zeit sind sie auch privat ein Paar. Bezeichnend eine Aussage von Maria Nieves mit Blick auf die halbnackten Revuegirls, welche ihnen in den Kabaretts begegneten: Sie könne es nicht verstehen, wenn sich eine Frau so „herschenke“. Juan Carlos Copes dagegen ist da ganz Macho: Wenn ihn so etwas kalt lasse, sei er kein Mann. So ging er wohl auf zahlreiche einschlägige Angebote ein, was die beiden privat immer mehr entfremdet. Schließlich heiratet er eine andere und bekommt von der eine Tochter. Wohl unter dem Druck seiner neuen Frau zieht er dann beruflich einen Schlussstrich. Das Traumpaar hat ausgedient, was Maria Nieves fassungslos kommentiert: „Ich hätte ihm so etwas nie angetan.“ Einmal noch, im „Luna Park“ von Buenos Aires, tanzen sie für ihre jubelnden Fans einen letzten Tango. Mit anderen Partnern auf dem Parkett kann man sie immer noch bewundern – trotz ihrer 84 bzw. 77 Jahre: Tango ist ein Lebenselixier!

Dieser Film ist in erster Linie eine Werbung für die Kunst – in Musik und Tanz. Eindrucksvoll bekommt man mit, wieviel Disziplin, Energie, Herzblut und auch Verzicht es erfordert, in diesen Bereichen etwas wirklich Großes zu schaffen und vor allem zu erhalten. Wie sie es hinbekommen habe, trotz der privaten Verwerfungen mit diesem Mann derartig innige Tänze zu zeigen? Ihr Antwort ist erbarmungslos: Nun, man sei schließlich Profi – da habe man eben aufzutreten, auch wenn die eigene Mutter gestorben sei! (Wobei ich inständig hoffe, dass solche Botschaften auch manche derjenigen in der heutigen Tangoszene erreichen, welche sich selber professionell dünken…) Allerdings schreibt sie – ihren persönlichen Fehler vor Augen – jungen Tänzerinnen ins Stammbuch, sich rechtzeitig um eigene Kinder zu kümmern. Das halte der Tango schon für ein paar Jahre aus, und später sei es oft zu spät.

Für die Filmmusik zeichnet wieder – wie im thematisch ähnlichen Vorläufer „El último aplauso“ – der argentinische Komponist und Musiker Luis Borda verantwortlich. Er hat große Kollegen wie das „Sexteto mayor“ und den deutschen Filmmusiker Gerd Baumann („Wer früher stirbt ist länger tot“) mit ins Boot geholt. Wie hier sowohl Klassiker (z.B. „Quejas de bandoneón“ oder „Jugando jugando“) als auch Tango nuevo neu eingespielt wurden, ist atemberaubend. Leider darf man in einem Kino nicht tanzen! Allerdings könnte es nach solchen Eindrücken einmal passieren, dass ich mich doch danebenbenehme, wenn auf hiesigen Milongas die DJs wieder Geplürre mit Leidenschaft verwechseln...

Auch die Besetzung der Tanzrollen ist erstklassig. Den schon etwas älteren Juan Carlos Copes verkörpert kein Geringerer als Pablo Verón, welcher selbstredend einige grandiose Tanzsequenzen beisteuert (zum Beispiel auf einer magisch ausgeleuchteten Dachterrasse über Buenos Aires). Hin und weg war ich allerdings von einer Tanguera, welche die junge Maria Nieves verkörpert: Ayelén Álvarez Miño. Die junge Dame hat alles, was einen Tangostar ausmacht: eine zauberhafte Ausstrahlung, größte Musikalität sowie ein technisches Können, welches sie meilenweit von dem abhebt, was man hierzulande bei sogenannten „Tangoshows“ auf die Augen bekommt. Da sich Copes und Nieves Gene Kelly und Cyd Charisse als Vorbilder nahmen, darf Ayelén Álvarez Miño mit ihrem Tanzpartner einen wunderbaren Vals auf nassem Straßenpflaster hinlegen: sozusagen „Singin‘ in the rain“ – für mich der tänzerische Höhepunkt des Films! Zum Genießen hier noch ein Showtanz mit der jungen Interpretin, die das Zeug zu einer internationalen Karriere hat:


Wenn man solche Bilder vor Augen hat, glaubt man vielleicht auch hierzulande irgendwann noch Juan Carlos Copes, wenn er zu den Vorzügen des Tango sagt:
„Ich glaube, es sind viele, aber wenn ich einen nennen soll, würde ich sagen, es ist seine Fähigkeit, sich jeder Zeit anzupassen.“

German Kral hat dies einmal mehr mit einem Film überzeugend belegt.
Noch steht der auf den Kino-Spielplänen – unbedingt anschauen!

P.S. Ich hoffe, es gibt den Streifen auch bald auf DVD. Der Soundtrack ist derzeit schon zu haben:
http://www.tangodanza.de/product_info.php/products_id/1226/cPath/12/neu-im-kiosko/our-last-tango-original soundtrack.html/XTCsid/7dcfaa3374aee9d1f8b0251cd60a4947

Kommentare

  1. Ein sehr schöner und vor allem zum Ansehen motivierender Text. Da zufällig ein Tangogeburtstag ansteht, habe ich die CD schon mal spontan bestellt und hoffe jetzt ebenfalls auf die baldige Veröffentlichung der Film-Scheibe.

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  2. Dankeschön - der Film hat's wirklich verdient!

    Die CD habe ich mir gestern auch bestellt. Wird mal ein "Special" auf unserer Wohnzimmer-Milonga.

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  3. Vielen Dank für diesen Filmtipp! Ich habe von dem Film schon in der Tangodanza gelesen, aber Dein Beitrag hat mich überzeugt, dass ich mir ihn anschauen möchte. Die CD habe ich auch schon (bzw. die dazugehörigen mp3s, denn die kosten weniger und enthalten auch schon die Gema-Kopiergebühr. Letztere wird ja fällig, wenn man öffentlich und nicht nur im Wohnzimmer auflegt) Kann gut sein, dass davon etwas auf unserer HezrSchmerz-Milonga zu hören sein wird.

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  4. In der Tat, ein wunderbarer Film, und was du über die junge Tänzerin sagst, kann ich nur unterstützen. Vor allem zeigt der Film durch Originalzitate der Beteiligten die unterschiedlichen Ziele und Lebensauffassungen der beiden Tanzpersonen (und damit ihre Tragik): Sie ging zum Tango, weil sie einen Mann kennenlernen wollte, und als sie den hatte (eben Juan), war und bleib er für sie der Mann fürs Leben - einen anderen konnte es nicht geben. Er ging zum Tango, um eine Partnerin für seine weitreichenden Pläne zu finden, und als er María fand, behielt er sie. Er war für sie die Liebe ihres Lebens (naja, besser gesagt: der einzige Mann), sie war für ihn ein kostbares Instrument, eine Stradivari, die er nach seinen Vorstellungen nutzen und formen konnte.
    Ein wenig schizophren fand ich ihre Aussage ziemlich am Anfang des Films: "Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, ich würde alles genauso machen - aber ohne ihn." Ohne ihn wäre ihr Leben komplett anders verlaufen. Sie wäre in der Gosse geblieben und dort verkommen. Ist alles nicht so einfach, wie die Menschen sich das vorstellen.

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    1. Ein klassischer Fall, bei dem zwei irrtümlich glauben,das gleiche Ziel zu haben!

      Was wäre gewesen, wenn? Immer eine kaum zu beantwortende Frage. Vielleicht hätte Maria Nieves ja auch einen anderen Tänzer kennengelernt, mit dem sie eventuell weniger Erfolg, aber mehr Glück gefunden hätte!

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