Vom spaßbefreiten Tango
Mein Artikel „Wenn Tanzen auf Wirklichkeit trifft“ hat es in den ersten 24 Stunden auf 18 Kommentare gebracht. Es hagelte negative Sprüche wie „beleidigende Vermutungen“, „Meckerstimmen vom Spielfeldrand“ – und ich versuche, „anderen ans Bein zu pinkeln“. Die meisten Wortmeldungen habe ich veröffentlicht. Sie sind hier nachzulesen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2025/04/wenn-tanzen-auf-wirklichkeit-trifft.html
Worum ging es?
Ich habe lediglich eine Geschichte besprochen, die nicht mir passiert ist, sondern einer professionellen Tanzlehrerin aus einer ziemlich renommierten Münchner Schule – und das im letzten Jahrhundert. Ob man dieses Erlebnis heute noch so beschreiben würde, bezweifle ich. Möglicherweise hat man schlicht vergessen, den Text zu löschen. Und es ging nicht mal um Tango.
Was ist das Skandalöse daran? Die Autorin beschreibt zwei Tanzpaare, das eine mit einer wohl längeren Ausbildung in Tanzkursen, das andere erkennbar ohne Unterrichts-Hintergrund. Ihrem Freund, der keine tänzerische Erfahrung hat, gefiel das nicht ausgebildete Paar weitaus besser.
Warum? Mangels eigener Ausbildung sieht der natürlich kaum technische Fehler, keine verunglückten Choreografien, wahrscheinlich nicht mal, ob die Tanzenden stets den Takt treffen. Er schaut ihnen nämlich nicht auf die Füße, sondern in die Gesichter. Und die so bewirkte Ausstrahlung imponiert ihm gewaltig.
Die Tanzlehrerin beschreibt ihren Eindruck so.
„Paare, die locker, authentisch und glücklich auf der Tanzfläche stehen. Keine starren Bewegungen, keine unnötige Komplexität – nur das pure Vergnügen am Tanzen.“
Und sie beschloss, ihr Unterrichtskonzept entsprechend zu ändern. Ich fürchte, allein diese Tatsache kann in der Tangolehrer-Szene zu gewaltigen Verwerfungen führen, wie es in einem Kommentar zum Ausdruck kommt:
„Das
‚Totschlagargument‘ der Übungsunwilligen: Hauptsache Spaß!
Mit dem man notfalls alles niederbügelt, was den Tango anspruchsvoller macht.
Wenn man etwas Übungszeit und Arbeitsaufwand in Anspruch nimmt, um den Tango zu
verbessern, werden diese zur überflüssigen Qual degradiert. Als
Selbstgeißelung, überflüssiger Schnickschnack, ‚…sieh mal, es doch auch ohne
Unterricht!‘ Sieht zwar scheiße aus und fühlt sich auch nicht gut an, aber zwei
fröhliche Gesichter helfen locker darüber hinweg, dem Zuschauer und den anderen
auf der Tanzpiste eine lange Nase zu machen.
Aber leider wird dies ‚Hauptsache-Spaß-Argument’ nur von denen hervorgeholt,
die zu faul sind, etwas mehr aus ihrem Tanz herauszuholen.“
Ich weiß schon einmal nicht, welche „Ansprüche“ ich an meinen Tango stellen sollte. Bestenfalls kann ich mir etwas wünschen. Ob es dann eintrifft, ist nicht gesagt. Und wer es sich erlaubt, in seiner Freizeit faul zu sein, gehört kräftig getadelt. Der Deutsche kennt bekanntlich nur harte Arbeit. Wem die Spaß macht, gerät in den Verdacht, unseriös zu agieren. Aber wenn sich Tanzen nicht gut anfühlt, stellen fröhliche Gesichter höchstens eine antrainierte Grimasse dar.
Karin und ich wissen ziemlich genau, welche Mühe Lernen machen kann. Zu unseren Turniertanz-Zeiten haben wir mindestens zweimal die Woche hart trainiert, einmal davon nur wir beide in einem angemieteten Studio. Nicht, weil ein Übungsleiter das von uns verlangte, sondern weil uns der Wettkampf Freude machte. Oder manchmal auch tänzerische Präsentationen.
Dennoch haben wir uns stets gesagt: Entscheidend ist für uns nicht, welchen Platz wir beim Wettkampf belegen, sondern dass wir auf dem Parkett Spaß haben. Das unterschied uns von manchen anderen Paaren, die sich noch in der Garderobe heftig zofften, um anschließend mit verkrampftem Lächeln aufs Parkett zu schreiten.
Unsere Erfahrung bei vielen Turnieren war, dass unser Vergnügen auch auf das Publikum übersprang – möglicherweise hätten wir von den Zuschauern bessere Wertungen gekriegt. Die Preisrichter dagegen zogen manchmal eine lange Nase – klar: zu viel Vergnügen, zu wenig „ernsthafte Technik“. Aber das war uns piepegal!
Als wir dann den Standardtanz zugunsten des Tango verließen, freuten wir uns darauf, auch besserwissende Tanzpädagogen hinter uns zu lassen, frei improvisieren zu dürfen. Wir sollten uns täuschen! Für mich ist der Tango argentino heute der „11. Standardtanz“ mit all seinen Problemen.
Ich habe mich aber sehr darüber amüsiert, welches Beben die kleine Geschichte von der Tanzlehrerin, die ihr eigenes Konzept überdachte, bewirkte. Offenbar bringt das ein ganzes System ins Wanken.
Abschließend sage ich: Von mir aus darf jeder und jede beim Tage üben, bis ihm oder ihr die Zunge heraushängt. Man sollte nur gelegentlich darüber nachdenken, in welcher Form einen das ganz persönlich weiterbringt. Mit der Bezahlung eines Tangokurses allein hat man noch keine Fortschritte gemacht. Und man sollte sich darüber klarwerden, ob man Berufstänzer werden will oder ein schönes Hobby betreiben möchte. Leistungszwang haben viele im Beruf genug – muss man den auch noch auf die Freizeit übertragen?
Dazu sollten wir uns ehrlich machen: Es gibt nicht viele, die über wirklich großes tänzerisches Talent verfügen. Daran ändern alle Kurse nichts. Na und? Sollen wir denen das Parkett verbieten? Ich rate nur, sich dann nicht noch filmen und auf YouTube veröffentlichen zu lassen. Oder zu glauben, dass man Begabung kaufen kann.
Ich erinnere mich mit Vergnügen an eine lange zurückliegende Fernsehshow aus der Reihe „Deutschland sucht den Superstar“. Ein Kandidat bot eine wirklich gruselige Gesangsdarbietung, die von der Jury nach kurzer Zeit abgebrochen wurde. Der Sänger, offenbar aus der Abteilung „Waldorf-Absolvent“, versuchte es konstruktiv: Ob er noch einen Tipp für seine weitere Karriere kriegen könne? Von Dieter Bohlen kam die vernichtende Antwort: „Ja, hör auf zu singen!“
Ich hätte hinzugefügt: „Wenigstens im Fernsehen!“
Hier ein weiteres Beispiel aus dem Bereich „Musik und Emotionen“. Die anschließende spaßbefreite Debatte hätte auch auf Tangoblogs stattfinden können:
Kann es sein, daß Du meinen Post zum Thema Bus nicht gelesen hast? Schwer vorstellbar, aber möglich. Anyway: Eine zentrale Schwachstelle hat dieses Loblied auf den Freitanz: Wie soll es ohne gemeinsame "Sprache" im (engen) Paartanz funktionieren? Und jetzt erzähl mir nichts von irgendwelchen tanz-affinen Kulturen, Afrika oder was weiß ich, die es auch ohne Lehrer hinbekommen. Die Kids wachsen in einer Umgebung auf, die ihnen alle Moves täglich zum Anschauen und Nachmachen anbietet.
AntwortenLöschenNa, dann könnten sie doch auch ohne Tanzstunden klarkommen, oder?
LöschenAber sicher. Wer Unterricht braucht, soll ihn nehmen. Ich plädiere nur dafür, dass man mal was eigenständig miteinander versucht, ohne dass einem ständig jemand reinquasselt. Aber dieser Gedanke scheint im heutigen Tango Panik auszulösen.
Ich frage mich wirklich, warum!
Nebenbei: Wenn du dich mal auf Facebook trauen würdest, hättest du gesehen, dass ich dort sogar auf deinen Artikel hingewiesen habe.