Liebes Tagebuch… 80

 

„Gott gab uns nur einen Mund, aber zwei Ohren, damit wir doppelt so viel zuhören können, als wir reden sollten." (Johann Wolfgang von Goethe)

„Small Talk“ ist eine Disziplin, in der ich große Schwächen aufweise. Häufig beginnt ein solches Gespräch mit der Frage „Na, wie geht’s?“ Wenn ich darauf antworte, dass ich ganz zufrieden sei, bin ich mit meinem Anteil eigentlich schon durch.

Gerade bei Altersgenossen gebe ich damit aber den Startschuss zu einem ellenlangen Monolog, wie es denn dem anderen gehe. Meist natürlich schlecht – gerne folgt dann eine Eigenanamnese der durchgemachten oder noch bestehenden Erkrankungen. Wer in der Hinsicht etwas zu bieten hat, ist fein raus! Nun hätte ich da selber schon einiges zu erzählen, aber ich sehe nicht ein, Hinz und Kunz mit meinen medizinischen Daten zu unterhalten.

Interessanterweise sind es auf Milongas öfters die DJs, die mit langem Gerede gefallen wollen. Klar, sie sind ja aufs Abstrahlen von Musik konditioniert – wie diese beim Publikum ankommt, ist eher nicht das Thema. Aber da sie ihr Programm eh schon kennen (und es ihnen eventuell bereits längelang zum Hals heraushängt), müssen sie zusätzlich noch Texte in fremde Gehörgänge pflanzen. Von einem Dialog sind solche Menschen Lichtjahre entfernt.

In solchen Fällen versuche ich, meine „Gesprächspartner“ durch Einsilbigkeit zu vertreiben – oder sie an meine Gattin weiterzureichen, die eine wahre Meisterin darin ist, Rednern das Gefühl zu geben, sie hätten Wichtiges zu verkünden.

Mich plagt aber ständig das schlechte Gewissen, Menschen mit dem abzuschrecken, was eine Tangofreundin bei mir das „Mit euch Zipfeln red ich nicht-Gesicht“ nennt. Und schließlich ist Tango doch – so versichern uns Experten ein ums andere Mal – ein „sozialer Tanz“!

Daher besuchte ich neulich eine Milonga mit den besten Vorsätzen im Gepäck. Und tatsächlich näherte sich bald ein Tangobekannter, setzte sich neben mich und stellte mir die originelle Frage: „Na, was macht die Kunst?“

Mir fiel darauf nur ein: „Welche Kunst denn?“

„Na, du schreibst doch so viel.“ Ah so – sollte meinen Gesprächspartner tatsächlich das Interesse an dem treiben, was ich auf meinem Blog verzapfe?

„Ja, da habe ich momentan tatsächlich viel Erfolg. Es gab mal ein sehr erfolgreiches Tanzpaar – Ricardo und Nicole – und nachdem die beiden sich getrennt hatten, arbeitet sie hartnäckig daran, ihren Expartner aus ihrer Biografie zu tilgen. Nun ist es mir gelungen, dass dieser endlich mal seine Geschichte erzählt – und zwar auf meinem Blog! Das findet natürlich großes Interesse.“

„Aha.“ Mein Gegenüber machte ein Gesicht, als ob ich ihm gerade die Walfang-Statistiken von Neufundland vorgelesen hätte. Es entstand eine (jedenfalls mir) peinliche Pause. Oh Scheiße, hätt‘ ich doch bloß nichts gesagt! Natürlich ist dem meine Arbeit sowas von Wurst – wahrscheinlich hat er sich nur neben mich gepflanzt, weil dort demnächst meine Begleiterin auftauchen würde – die eigentlich ersehnte Dialog-Partnerin. Der weitere Verlauf bestätigte meine Vermutung.

Ich versuchte krampfhaft, die Situation aufzulösen:

„Ich weiß natürlich nicht, ob dir Namen wie Nicole Nau, Ricardo Klapwijk oder Luis Pereyra etwas sagen.“

„Nein, gar nichts. Weißt du, ich tanze einfach, alles andere ist mir egal. Ich weiß nicht einmal, wie man die ganzen Figuren nennt.“

„Ach, da gibt es oft widersprüchliche Bezeichnungen. Ich denke beim Tanzen nicht darüber nach, wie das alles heißt.“

„Vielleicht sind es ja auch neue Erfindungen von dir.“

„Glaube ich nicht. Das Meiste war irgendwann schon da – es gibt beim Tango wenig Neues unter der Sonne.“

Glücklicherweise erschien nun meine Begleiterin und ersparte es uns, neue Belanglosigkeiten zu erfinden.

Ich schwor mir jedenfalls: Sollte sich nochmal wer für „meine Kunst“ interessieren, würde ich ein Manöver einsetzen, in dem Frauen Meisterinnen sind: die Gegenfrage. „Na, und deine? Schon lange nichts mehr von ihr gesehen.“

P.S. Vielleicht sollte ich doch mal einen Kommunikations-Trainer buchen:

https://www.youtube.com/watch?v=dccTDpXt3ec&t=4s

Kommentare

  1. Gerade gesehen:
    Bei meinem Herrenausstatter gibt es nun ein "Smalltalk-Sakko":
    https://www.mey-edlich.de/smalltalk-sakko/p/24-6931
    Ich sollte mir wohl eins zulegen...

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