Liebes Tagebuch… 44



„Engagiertes, familiengeführtes Unternehmen mit Herz und Leidenschaft! Bei uns finden Sie Qualität und einen niveauvollen natürlichen, menschlichen Umgang miteinander.“
(Tanzschul-Eigenwerbung)

Ich bemühe mich ja nach Kräften, für vieles Verständnis zu haben, was ich für total bescheuert  halte. Wenn Menschen nicht einen an der Waffel hätten, würden sie nicht tanzen, und schon gar keinen Tango…

Daher ist mir schon klar, wieso immer mehr „normale“ Tanzschulen den Tango argentino in ihr Kursprogramm aufnehmen: Dieser Tanz boomt seit etlichen Jahren – und von dieser Entwicklung möchte man gerne eine Scheibe abhaben. Und der die deutsche Szene beherrschende Tanzlehrerverband (ADTV) bietet schließlich eine Ausbildung zum „Fachtanzlehrer Tango argentino“ – im „Level 1“ mit 40 Unterrichtseinheiten (UE) in 5 Tagen, im „Level 2“ dann nochmal 96 UE in 12 Tagen. 17 Tage ist man somit insgesamt seinen Tangoschülern voraus… das muss doch reichen!
Na gut, schon allein das Behördendeutsch der entsprechenden Verlautbarung ist eindrucksvoll, ebenso das Schweigen über die genauen Inhalte der Ausbildung:
http://www.die-tanzschule.de/wp-content/uploads/2017/08/Infos-ADTV-Fachtanzlehrer-Tango.pdf
Übrigens wird dieses Zertifikat im wahrsten Sinne des Wortes verliehen", d.h. man darf es nur so lange führen, wie die Mitgliedschaft im ADTV besteht!

Was dabei herauskommt, durfte ich erst neulich wieder an einem Tanzlehrerpaar bewundern, in dessen Studio eine Milonga stattfand: Irgendwie sah ich schon typische choreografische Elemente – aber Umarmung, Paarverbindung, Musikalität, gar das Tangogefühl, nach dem wir Aficionados streben? Forget it! Das Ganze hatte mit Tango argentino ungefähr so viel zu tun wie der „Grundkurs Paso doble“ mit einem echten Stierkampf…

Für den üblichen Lehrer ist der Tanz vom Rio de la Plata halt ein „Modetanz“ wie einstens La Bamba, Letkiss, La Bostella oder heute der Hip Hop. Die über hundertjährige Geschichte, Tangokultur, „tristeza y corazón“? Braucht‘s doch nicht…

Was ich an Tanzlehrern von einst wie Ernst und Helga Fern allerdings nach wie vor schätze, ist ihr absolut gepflegtes und höfliches Erscheinungsbild. Wir hatten selbst noch das Glück, von ihrem Kollegen und mehrfachen Profi-Weltmeister Hans-Peter Fischer unterrichtet zu werden: ein absoluter Gentleman, perfekt im Auftreten und Umgang mit seinen Schülern.

Was dagegen heute teilweise in abgerissenen Jeans und dem unvermeidlichen Tanzschullogo-Leiberl durch die Studios latscht, bringe ich mit diesem Berufsbild nicht mehr zur Deckung – und erst recht nicht ein Benehmen, das ich nur als unterirdisch bezeichnen kann.

Das fiel mir schon vor Jahren beim Leiter eines solchen Instituts auf, der uns zwar zunächst recht freundlich empfing (was vielleicht auch an gewissen wirtschaftlichen Hoffnungen lag, die er mit uns verband). Wir besuchten eine Zeitlang häufig die Tanzschul-Übungsabende. Von einem Tag auf den anderen waren wir dann plötzlich Luft für ihn: kein Gruß, kein Lächeln, nix mehr. Erst lange Zeit später hörten wir gerüchteweise, dass sich wohl einige seiner Tanzschüler bei ihm über unseren „wilden Stil“ beschwert hätten. Na gut, wir trainierten damals für unsere Turniere – kann schon sein, dass sich unser Tanzen etwas von dem der ansonsten anwesenden Muttis im Blümchenkleid unterschied… Aber kann man dazu nicht mal ein freundliches Gespräch suchen, so nach dem Motto: Seid ein bisschen vorsichtiger? Wäre doch alles machbar gewesen!

Als wir neulich nach einer dreistelligen Zahl von Fahrtkilometern im besagten Studio Tango tanzten, haben wir (schon in Anbetracht der Gästezahl) mit Sicherheit niemand behindert oder belästigt. Dennoch das gleiche Resultat: Das junge Tanzlehrerpaar nahm keinerlei Notiz von uns, zog sich bevorzugt in die Teeküche zurück und tat das, was Parkettpädagogen offenbar eindeutig der Bewegung zur Musik vorziehen: reden. Und wenn, dann tanzte der Meister ausschließlich mit seiner Holden – die weiblichen Gäste waren für ihn Luft.

Immerhin, das muss man anerkennen, hat man sich so eine Qualifikation erworben, die mit der Sozialkompetenz von Tangolehrern durchaus gleichrangig ist! In beiden Branchen werden gute Tanzpaare oft regelrecht geschnitten. Befürchtet man, diese würden die „normalen“ Schüler vergraulen? Der Begriff „Ansporn“ kommt wohl im Vokabular nicht vor…

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Tanzlehrer generell nicht gerne tanzen – und offenbar insbesondere gute Tänzer regelrecht hassen. Das haben sie übrigens durchaus mit einer Vielzahl von Ärzten gemein, bei welchen ich öfters den Verdacht habe, sie fänden es eine Zumutung, wenn Menschen krank sind und sie dann (im Extremfall noch mit der falschen Kassenzugehörigkeit) belästigen. Lieber wäre es ihnen wohl, die Patienten würden der Sprechstunde fernbleiben und stattdessen gleich das Honorar überweisen (übrigens ein Verfahren, welches die Schweizer seit langer Zeit erfolgreich praktizieren…).

Vielleicht nur so als Tipp aus meiner früheren Berufstätigkeit: Meine Lust, mich mit verzogenen Blagen aus genetisch fragwürdigen Kreuzungsexperimenten abzugeben, wäre an manchen Schultagen nur durch Tiefbohrungen auffindbar gewesen. Dennoch gibt es für mich ein Zauberwort, welches ich auch anderweitig Beschäftigten gerne mitgeben möchte: Professionalität. Kollegen, die sich mit dem Bekenntnis vor eine Klasse stellten, sie hätten auch keinen Bock auf Unterricht, fand ich von jeher zum Kotzen. Die berufliche Umwelt hat keine Schuld daran, wenn man einer Tätigkeit nichts abgewinnen kann, obwohl sie einem den Lebensunterhalt sichert.

Und der Kunde ist König. Ob er nun einen Pelzmantel oder nur zwei Hosenknöppe kauft, ist er mit der gleichen Zuvorkommenheit zu bedienen. Aber die Gäste von Tanzschulen sind offenbar unbegrenzt leidensfähig. Ein nicht konvenierender Schraubendreher-Satz dagegen führt bei „Amazon“ gleich zu Bewertungen wie dieser:

„Ich kann jeden nur davon abraten diese Schraubenzieher zu bestellen. Die Kreuzschlitz sind nach einmaliger Benutzung sofort kaputt gegangen, das Material ist weich wie Butter :-( Halterungen passen sehr schlecht, man bekommt einzelne Schraubenzieher nur schwer raus. Ein kleiner Schraubenzieher ist sogar gleich abgebrochen. Am schlimmsten ist, das die zu lösenden Schrauben dadurch beschädigt werden und man dann richtig Stress kriegen kann.
Fazit: Jeder Cent für dieses Werkzeug ist rausgeschmissen und auch zur Not geht das Werkzeug nicht!

Ich wünschte mir ein solch kritisches Verhalten auch einmal hinsichtlich von Tanzschulen. So manche Schraube könnte dann wohl von dieser Berufswahl abgehalten werden!

Aber immerhin ist man sich ja in der Branche theoretisch darüber einig, dass der „richtige Umgang mit Menschen“ extrem wichtig sei. Das folgende Informationsvideo beweist dies umso mehr, als darin auch der Inhaber einer Münchner Tanzschule agiert, welcher sich im Internet stets durch seine niveau- und rücksichtsvollen Auftritte auszeichnet:

Kommentare

  1. "Was ich an Tanzlehrern von einst wie Ernst und Helga Fern allerdings nach wie vor schätze, ist ihr absolut gepflegtes und höfliches Erscheinungsbild. (...) Was dagegen heute teilweise in abgerissenen Jeans und dem unvermeidlichen Tanzschullogo-Leiberl durch die Studios latscht, bringe ich mit diesem Berufsbild nicht mehr zur Deckung."

    Soviel konservative Verklärung der 60er hätte ich nach dem Gruselvideo der Ferns nun aber nicht erwartet, Gerhard! Möchtest du wirklich heute noch Tanzlehrer in Anzug und Kleidchen? Er herklärt und bedankt sich pausenlos unterwürfig, sie lächelt dazu stumm und gequält. Das wird auch nicht attraktiver, wenn Du ein Zerrbild heutiger Tanzlehrer dagegensetzt. - Nach meiner Wahrnehmung geht es in Tangostunden dieser Tage locker und leger zu, sowohl bei der Kleidung wie im zwischenmenschlichen Umgang. Und das gilt für Lehrende und Lernende gleichermaßen.

    "Und jetzt das Ganze mit Musik. Bitte, Herr Banter!" Nö, bitte nicht!!!

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    1. Na ja, Du hast das "Zerrbild" ja nicht persönlich erlebt. Da sind mir die 60-er Jahre noch lieber als das Neandertal.

      Sicherlich gibt es auch freundliche und zugewandte Tanzlehrer. Diese hätten es verdient, wenn die Kundschaft mehr mit den Füßen abstimmen würde.

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  2. "Wenn Menschen nicht einen an der Waffel hätten, würden sie nicht tanzen, und schon gar keinen Tango…"
    Das übernehm ich in meinen Zitateschatz ;-)

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    1. Ist nur eine Variante aus dem Klappentext meines Tangobuches: "Wer alle Latten am Zaun hat, tanzt auch nicht Tango."

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