Mehr als zwölf Tangos
Mein
letzter Beitrag zum Tangotitel „Pampero“
hat erstaunlich viel Aufsehen erregt. Sollte es inzwischen doch mehr Menschen
geben, für die Tangomusik oberhalb eines bequemen Rhythmusgebers rangiert? Das lässt
hoffen!
Der
Erfolg ermutigt mich, noch eine Betrachtung
des Films nachzuschieben, der vor mehr als zehn Jahren auch insgesamt
meinen Blick auf unseren Tanz und seine viel gepriesenen „Ursprünge“ am Rio de
la Plata stark verändert hat: „12 Tangos
– Adiós Buenos Aires“.
Arne Birkenstock ist ein
Dokumentarfilm gelungen, welcher streckenweise fast Spielfilmcharakter hat.
Dies verdankt er vor allem seinen sehr überzeugenden Figuren. Im Wesentlichen
vernetzt er die Schicksale des über 70-jährigen ehemaligen Bühnentänzers Roberto Tonet, seiner Schülerin Marcela Maiola und der Kinder Rodrigo und Fabiana aus dem Viertel Nueva Pompeya in Buenos Aires, das als eine
der Wiegen des Tango gilt.
Armut und
Arbeitslosigkeit
sind das Generalthema: Fabianas
Mutter bereitet ihre Ausreise nach Spanien vor, da sie dort als Putzhilfe
arbeiten kann, um so die Raten für ihr Haus zu bezahlen. Ihre vier Kinder muss
sie in Argentinien zurücklassen. Ebenfalls nach Europa auswandern möchte die
junge Tänzerin Marcela mit dem Ziel,
dort Geld mit Tangounterricht zu verdienen. Roberto dagegen hat sein Leben lang Tango getanzt, war auf den
Bühnen der ganzen Welt zu Hause und hatte sich hunderttausend Dollar fürs Alter
zurückgelegt. Im Jahr 2001 verlor er durch den Staatsbankrott („Corralito“)
sein ganzes Vermögen. Derzeit lebt er von den Ratenzahlungen einiger Freunde,
denen er vorher Geld geliehen hatte. Wenn das aufgebraucht ist, wird er sein
Haus verkaufen müssen, in dem er über 60 Jahre lebte.
Wenn
ich mir überlege, worüber wir derzeit in Deutschland jammern, sind das ganz
heilsame Beispiele… Eines aber wird ebenfalls deutlich: Unterkriegen lassen
sich diese Menschen nicht – und da kommt, neben dem familiären Zusammenhalt, der
Tango ins Spiel:
12
Tangos (Traditionelles sowie Eigenkompositionen) bietet das vom Gitarristen Luis Borda geleitete Orchester, für das
er namhafte Solisten gewinnen konnte: Mit dem Bandoneón hören wir die Sexteto
Mayor-Legende José Libertella sowie Julio Pane, die erste Geige spielt der
Konzertmeister des Teatro Colón, Mauricio
Marcelli, das Klavier Diego Schissi
und den Bass das frühere Ensemblemitglied von Horacio Salgán, Oscar Giunta. Tangomäßig ungewohnte
Instrumente wie Saxophone, Trompete, E-Bass, Vibraphon und Perkussion
komplettieren die Besetzung. Stücke wie die sechseinhalb Minuten-Version des
Laurenz-Klassikers „Milonga de mis
amores“ machen atemlos – schon beim Zuhören!
Sängerisch
kann sich natürlich vor allem Lidia Borda profilieren, daneben bietet
Altmeister Jorge Sobral eine
wunderschön-elegische Interpretation von „La
Violeta“ – und die damals bereits 86-jährige María de la Fuente singt zusammen mit Lidia Borda den anrührenden Titel „Entre sueños“.
Der
Film hat aber durchaus auch vergnügliche
Seiten, die vor allem Tonet
beisteuert. Der Abschied von seiner Schülerin Marcela schmerzt ihn – er hat so viel mit ihr getanzt und möchte
sich nicht mehr umgewöhnen. Und als alter Milonguero brauche er halt junge
Frauen, das sei normal. Und alle wollten mit ihm tanzen – auch das sei normal… Marcelas
Antwort, er werde schon wieder andere finden, vermag ihn nicht zu trösten: Er
habe schon mit 50000 Frauen getanzt – es reiche ihm.
Und
junge Argentinierinnen seien nun einmal schön – aber, so bekennt er bei der
Hausarbeit: „Mit schönen Frauen kannst du
dich schmücken. Aber sie wissen nicht, wie man ein Bügeleisen hält. Ich bin
hässlich, aber wenigstens kann ich bügeln.“
Zu
einer festen Partnerschaft hat es nicht gereicht: Ständig auf Achse, aus dem
Koffer leben, das halte keine Ehe aus.
In
der anrührendsten Szene des Films trifft er sich mit Kumpels von einst – tangotypisch
vor einer Eckkneipe, wo sie von früher (Ende der 1940-er Jahre) erzählen. Tango
habe man damals unter Männern gelernt (aha!), bis die Beine leicht genug waren,
sich auf eine Milonga zu trauen:
„Damals waren wir
noch nicht so alte Fettsäcke wie heute. Wir waren Mannequins. Wir traten auf,
und das Parkett sprühte Funken.“
Seligen
Angedenkens stolpern und schieben die alten Herren einen „Männertango“ –
natürlich zu „Pampero“, das nach
Überblendung dann Lidia Borda singt… seufz!
„12
Tangos“ wurde gerade noch rechtzeitig fertig: José Libertella starb kurz nach Ende der Dreharbeiten, Jorge Sobral einige Monate später, María de la Fuente 2013. Ob es den
galgenhumorigen Roberto Tonet noch
gibt, weiß nicht einmal das Internet. Vergangen, vergessen…
„Tangoruhm“ ist eine sehr
vergängliche Kategorie – gerade im krisengeschüttelten Argentinien. Es stünde
der deutschen Szene gut an, sich mehr mit solch nackten Wahrheiten zu befassen
anstatt Talmi-Klischees von den „guten alten Tangozeiten“ zu verbreiten. Die
Menschen, welche von dort nach Europa kommen, um Tango zu unterrichten und sich
hier als pomadisierte Erotik-Puppen verkaufen müssen, sind wahrlich nicht zu
beneiden. Und in ihrer Situation verkloppen sie natürlich alles, was der Gringo
gerade für Tango hält – „authentisch“
sind da nur ihre wirtschaftlichen Nöte…
Zurück
zum Film: Manuela Bößel wäre mir
sehr böse, wenn ich nicht auch den wunderbaren Vals „El Paisaje“ vorstellen würde. Komponiert hat ihn 1943 Sebastián Piana, und der Text stammt
von einem der größten Tangopoeten: Homero
Manzi. Eine fast vollständige Sammlung seiner Texte findet man, nebst
deutschen Übersetzungen, auf der Seite von Ulrike
und Eckart Haerter (hier speziell S. 194-195):
Es
geht um das „Bild einer herbstlichen Landschaft“,
das jemand gekauft und gegenüber dem Portrait seiner ehemaligen Liebsten
aufgehängt hat. Und natürlich projiziert er seine Abschiedsgefühle auf das
Bildmotiv. Im Refrain heißt es:
¿Quién será, quien será
que en tu tela pintó
la quietud otoñal del pinar?
¿Y esa luz de olvido,
y el confín perdido,
y el camino herido de azul
y la soledad?
¿Quién será que una vez
te encontró como sos
y logró comprender tu color?
¿Qué alma, qué alma buena
vio la pena, pena
de la nube gris,
del camino azul,
del dolor de abril?
que en tu tela pintó
la quietud otoñal del pinar?
¿Y esa luz de olvido,
y el confín perdido,
y el camino herido de azul
y la soledad?
¿Quién será que una vez
te encontró como sos
y logró comprender tu color?
¿Qué alma, qué alma buena
vio la pena, pena
de la nube gris,
del camino azul,
del dolor de abril?
Meine Bearbeitung dazu :
Wer mag es wohl gewesen sein,
der auf deine Leinwand
die herbstliche Stille des
Pinienwalds malte?
Und dieses Licht des Vergessens
und das verlorene Ende
und den verwundeten Weg
aus Blau und Einsamkeit ?
Wer mag es sein,
der dich einst so traf, wie du bist,
und dem es gelang, deine Farbe zu
verstehen?
Welche Seele, welche gute Seele
sah den Schmerz, das Leid
der grauen Wolke,
des blauen Wegs,
des Schmerzes im April?
P.S. Quellen:
https://www.amazon.de/12-Tangos-Adios-Buenos-Single/dp/B003A5CQJK/ref=sr_1_1?s=dvd&ie=UTF8&qid=1507128470&sr=1-1&keywords=12+tangos+adios
Das ganze Album kann man übrigens kostenlos auf Spotify hören:
AntwortenLöschenhttps://open.spotify.com/album/4NXO72fOeKD2Ii97ZGMfPp?si=ElBas2f8
Schönen Gruß
Ein wertvoller Tipp - herzlichen Dank!
Löschenvon Roberto Tonet gibt es noch ein Vid:
AntwortenLöschenhttps://www.dailymotion.com/video/xcov97_marisa-galindo-roberto-tonet-el-ale_webcam
Klassisch getanzter Tango und gut beweglich
Gruesse Bernd Corvers
Vielen Dank für den Hinweis und beste Grüße!
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