Von Pseudonymen und zerbrochenen Fenstern

Unter dem Titel „Wer was warum nicht versteht“ schrieb ich kürzlich einen Artikel über die (fast immer männliche) Sucht, dem Diskussionspartner vorzuwerfen, er (oder sie) habe etwas „nicht verstanden“. Diese Floskel erzeugt regelmäßig einen Hahnenkampf, weil sich ein typischer Mann nicht vorwerfen lässt, von einer Sache (egal welcher Art) geistig überfordert zu sein.

Nahezu hundert Prozent aller Besitzer eines Y-Chromosoms sind bekanntlich schwer beeindruckt von den eigenen Verstandeskräften.

Dies animierte den Kollegen Jochen Lüders zu einem kleinen, aber giftigen Artikel mit der Absicht, mal in meiner Richtung zu schauen „was er alles nicht versteht“. Dass er damit genau meine Einschätzung der maskulinen Denke bestätigt, scheint ihm nicht aufgefallen zu sein:

„Vom Verstehen, richtigen Namen, Links und KI“

Trotz des verheißungsvollen Titels gelang Lüders dazu nur ein ziemlich schmächtiges Textchen.

Offenbar hatte ihn mein Beitrag genügend geärgert, um dabei ins Proll-Deutsch zu verfallen: Wer im Jahre 2025 noch Kommentare von „Menschen mit richtigem Namen“ erwarte, sei „rührend naiv oder unfassbar dämlich“.

Was ich nicht „verstehe“ (siehe Thema): Dass man „bei Kommentaren irgendeinen Namen und irgendeine Mailadresse angeben“ könne.

Doch, ich habe davon gehört…

Seltsam nur, dass Lüders auf meinem Blog stets unter Realnamen kommentiert. Unfassbar dämlich? Nein, eher sehr vernünftig! Sonst bekäme er seine Äußerungen sehr wahrscheinlich nicht veröffentlicht. Und das wäre für ihn doch ein wenig kontraproduktiv.

Was ich ebenfalls nicht verstehe, sei die Funktion von Links: Stets würde ich die volle URL „hinknallen“, statt diese mit einem Wort zu verbinden. Abgesehen davon, dass mich hierbei die gedankliche Tiefe von Lüders‘ Argumentation beeindruckt: Ich sehe halt gerne vorher, worauf ich da klicken soll! Wenn es eine verdächtige Adresse ist, lasse ich es lieber.

Auch dass ich mein Blog möglichst „KI-frei“ halten möchte, scheint Lüders zu stören. Hierzu stellt er ebenfalls die männertypische Frage, was ich davon verstehe.

Ganz einfach: wenig bis nichts. Muss ich das? Für den Rest meines Autorenlebens werde ich mich mit natürlicher Intelligenz begnügen!

„Wie kann man im Internet seine Identität verschleiern?“ Diese Frage scheint den Autor sehr zu beschäftigen.

Um aber zum Wesentlichen zu kommen: Wie stark beeinflussen Pseudonyme die Kultur der digitalen Diskussion? Hierzu gehen die Meinungen weit auseinander:

„Anonymität ist immer die Versuchung zur Hemmungslosigkeit" meinte der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.

https://www.dw.com/de/anonymit%C3%A4t-im-internet-sinnvoll-oder-gef%C3%A4hrlich/a-51994066

Andererseits gibt es sicher Themen (wie Eheprobleme oder Hämorrhoiden), bei denen ich den Wunsch nach Anonymität nachvollziehen kann. Tango gehört aber weitgehend nicht dazu. Aber warum sollte man überhaupt höchst Privates dem Internet anvertrauen – um sich anschließend über „Datenkraken“ zu beschweren?

Mir ist es jedenfalls völlig egal, ob mein Bestehen auf Realnamen unzeitgemäß ist oder nicht. Ich möchte mich mit echten Menschen austauschen, nicht mit Scheinexistenzen!  

Seit Ende 2013 habe ich auf meinem Blog interessante Veränderungen bemerkt: Lange Zeit war die Mehrzahl der Kommentare mit Realnamen gezeichnet und halbwegs sachlich sowie ausführlich. Mit der Zeit häuften sich prollige Sprüche, oft Einzeiler mit dürftiger bis fehlender Aussage. Die Vernünftigeren schienen sich aus der Diskussion zurückzuziehen.

Sind meine Artikel schärfer geworden und provozieren daher mehr Widerspruch? Ich finde, das Gegenteil ist der Fall! Wenn ich mir ältere Beiträge von mir ansehe, muss ich manchmal ob meiner heftigen Sprüche schon kräftig durchatmen. In neueren Texten wird deutlich stärker differenziert.

Ich meine, im Tango hat sich in den letzten 25 Jahren das Publikum stark verändert: Dominierten früher liberale Persönlichkeiten, die vieles nicht so eng sahen und auch mal über sich selbst lachen konnten, herrscht heute – jedenfalls im Internet – der Typus des engstirnigen Glaubensbekenners vor, der jede Kritik, jeden Spaß als „respektlos“ verdammt – selber aber nicht den geringsten Respekt vor anderen Auffassungen hat.    

In dieser Hinsicht finde ich die „Broken-Windows-Theorie“ interessant: Die Sozialforscher James Q. Wilson und George L. Kelling vertreten die Ansicht, dass eine zerbrochene Fensterscheibe schnell repariert werden müsse, um einem Verfall eines Stadtviertels und steigender Kriminalität Einhalt zu gebieten:

„Wilson und Kelling argumentieren: Wird eine zerbrochene Fensterscheibe nicht schnell repariert, sind im Haus bald alle Scheiben zerbrochen. Wird in einem Stadtviertel nichts gegen Verfall und Unordnung, Vandalismus, Graffiti, aggressives Betteln, herumliegenden Müll, öffentliches Urinieren, dröhnende Musik, Prostitution, Alkoholiker (die ihren Rausch ausschlafen), Drogenabhängige (die sich Spritzen setzen), trinkende und aggressiv-pöbelnde Gangs von Jugendlichen an Straßenecken, Drogenverkauf und dergleichen unternommen, wird das zum Indiz dafür, dass sich niemand um diese Straße oder dieses Stadtviertel kümmert und es außer Kontrolle geraten ist. Daraufhin ziehen sich die Menschen auf ihren engsten Kreis zurück; das Gebiet, für das sie sich verantwortlich fühlen, reduziert sich auf die eigene Wohnung. Damit unterliegt dann der öffentliche Raum nicht mehr der informellen nachbarschaftlichen Überwachung von Kindern und Jugendlichen sowie verdächtigen Fremden. Wer es sich leisten kann, zieht weg. Häufig wechselnde Bewohner, deren Miete vom Sozialamt bezahlt wird, ziehen zu. Der Drogenhandel etabliert sich. Unter den Nachbarn entstehen Misstrauen und die Überzeugung, dass in bedrohlichen Situationen niemand zur Hilfe käme.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Broken-Windows-Theorie

Ist meine Seite zu einem „Broken Windows-Blog“ verkommen?

Ich hoffe nicht – doch die Gefahr ist wirklich real! Hätte ich von vornherein jeden dümmlichen „Kommentar“ konsequent löschen sollen? Auch auf die Gefahr hin, dass mir dann täglich mehrfach „Zensur“ vorgeworfen worden wäre?

Wahrscheinlich wäre das besser gewesen! Toleranz beinhaltet stets das Risiko, in Wehrlosigkeit umzuschlagen.

Ich werde jedenfalls in Zukunft darauf achten, herumliegende Scherben schnell zu entsorgen!

P.S. Einige sehr interessante Experimente:

https://www.youtube.com/watch?v=zWKTO_Ilieg

Kommentare

  1. "^Wer zuerst mit Steinen wirft, bekommt dann auch irgendwann die Scheiben eingeworfen." Frei nach Johann von Wagner-Schiller. Oder "Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen." Habe den Beitrag von Lüders auch gelesen, aber er traf, was Sie betrifft, ziemlich ins Schwarze, und was einige Kommentatoren schreiben auch, – wirkt also überhaupt nicht "schmächtig".
    Sie beschäftigen sich inhaltlich fast nur noch mit "Fremdtexten" anderer Blogger, Facebook-Autoren oder Tango-Werbung. Gestern sogar noch mit irgendeiner nicht aktuellen Blog-Roll, wenn interessiert das überhaupt? Aber es ist mir egal, wie sie Ihren Blog zugrunde richten, aber Sie haben schwer nachgelassen.
    Ob das nun auch Ihrem Alter zuzuschreiben ist, was zu vermuten wäre, aber anderen ""maskuline Denke" als Makel zu unterstellen, aber zum selben Geschlecht zu gehören, ist so etwas wie: Alles Idioten aus mir! Und was Sie mittlerweile als Proll-Deutsch bezeichnen ist ja sogar auf Ihrem Blog mittlerweile als Standard-Antwort von Ihren Gegen-Kommentaren zu lesen. Machen Sie doch mal eine Liste mit Ihren Proll-Deutsch Vorstellungen. Was Sie mit Ihrem vorgetäuschtem Bildungsbürgertum gepaart mit Ihrem Spruch-Snobismus hier von sich geben, ist von Selbstüberschätzung auch nicht zu überbieten. Das war übrigens ein inhaltliches Statement, das Sie ja auch oft nach Ihrem Gutdünken auslegen.
    Gruß
    Horst Blankemeyer, Gütersloh

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    1. Lieber Herr Blankemeyer,
      wenn es Ihnen egal ist, wie ich mein Blog zugrunde richte – wieso lesen Sie dann meine Artikel und verfassen sogar längere Texte dazu? Das macht doch Arbeit!
      Aber wenn ich „schwer nachgelassen“ habe, muss ich ja früher mal besser geschrieben haben – immerhin!
      Und ja, ich erlaube mir, als Mann andere Männer zu kritisieren – und nicht, wie es offenbar meine Pflicht wäre, nur Frauen. Tja…
      Was den Artikel von Jochen Lüders betrifft: Es ist Ihnen schon klar, dass die meisten Antworten dort reine Gags mit lustig veränderten Autoren-Namen darstellen?
      Was Sie klug erkannt haben: Ich beschäftige mich oft mit Fremdtexten anderer Blogger, Facebook-Autoren oder Tango-Werbung. Und?
      Und auch da haben Sie Recht: „Vorgetäuschtes Bildungsbürgertum“ kann Ihnen wahrlich niemand unterstellen!
      Mir bleibt nur eine Frage: Was bezwecken Sie eigentlich mit Ihrer Empör-Philippika? Meinen Sie wirklich, ich würde daraufhin in tiefster Zerknirschung mein Blog aufgeben oder nur noch Umarmungs-Jubel-Prosa veröffentlichen? Echt?
      Beste Grüße
      Gerhard Riedl

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  2. Klaus Wendel hat auf seiner Blogroll die meisten Adressen wieder gelöscht. Er wird sich die Seiten doch nicht selber angeschaut haben?
    Übrig geblieben sind nur Yokoito und – Surprise – Jochen Lüders.
    Verheißungsvoll heißt es nun: „Die Liste wird noch erweitert.“ Na, man darf gespannt sein!

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