Von Frauen auf „Sitzmilongas“

Artikel der folgenden Art habe ich schon oft besprochen. Ich werde es immer wieder tun, weil ich das Thema im Tango für sehr wichtig halte. Und ich schätze weibliche Stimmen gerade in diesem Tanz. Leider gibt es davon (jedenfalls öffentlich) viel zu wenige.

Laut Selbstbeschreibung heißt die Autorin Modeste Barz. Sie hat Jura studiert, ist gelernte Steuerberaterin und arbeitet in Vollzeit. Eine ihrer Leidenschaften ist das Nähen und Stricken. Über ihre Website verkauft sie selbst hergestellte Damenmode. Nach 25 Jahren Pferdesport ist sie seit 2011 dem argentinischen Tango verfallen und auf Milongas im Raum Stuttgart, Reutlingen und Tübingen aktiv. Auch dazu gibt es einige Texte.

https://www.modesteflorence.de/n%C3%A4h-und-tangoblog/

In einem beleuchtet sie die Frage, welche offenbar die Frauen im Tango immer wieder umtreibt: „Warum werde ich nicht aufgefordert?“

Jede Tanguera kenne das: Man besuche eine Veranstaltung und werde kein einziges Mal zum Tanz gebeten. Irgendwann bekomme man dieses „resting bitchface“ (also eine „ruhende Zickenmiene“) – und man sehe seinem Bild im Personalausweis besonders ähnlich.

Die Schreiberin benennt Fragen wie „Warst Du in flachen Schuhen da? Hattest Du kein Kleid an? Nicht geschminkt? Sicher, dass Du auch besonders weiblich warst? Wie war denn so die Konkurrenz?“

Sie kenne diese Situation sehr gut. Einmal sei sie heulend nach Hause gefahren.

Liege es an der fehlenden Ausstrahlung? Sie weigert sich aber, in die „Opferrolle“ gedrängt zu werden.

Seien die Veranstalter schuld? Sie kenne zwei Tangotreffs, bei denen das Ignorieren an der Tagesordnung sei, eine überhebliche Atmosphäre herrsche. Für Frauen, die nicht zur dortigen „Sozietät“ gehörten, seien das reine „Sitzmilongas“. Sie hänge dann halt herum und merke sich die Gesichter.

Okay, dann gehöre sie halt zu dem Lager, das „dort nicht hingehört“. „Ich möchte mir die Freiheit zugestehen, nicht von jedem gemocht zu werden. Das macht das Leben weitaus entspannter.“

Der Satz könnte von mir sein!

Die Autorin berichtet von einer Milonga, auf der sie vier Stunden unbetanzt geblieben sei. Als sie schließlich gehen wollte, habe sie ein Herr an der Tür angesprochen: „Jetzt gehst Du schon. Wir haben noch gar nicht getanzt.“ Der bekam dann einen „Einlauf“ verpasst: Sie habe nun vier Stunden gewartet, aber alle Männer – auch der Fragesteller – hätten an ihr vorbeigeschaut. Und jetzt käme er an?

„Meiner Erfahrung nach kommt dann immer ein hilfloses Gestammel, welches ja im Grunde bedeutet, dass er es verstanden hat, und es keinen Grund gibt und es keinen Sinn macht, das jetzt schönzureden.“

Oder der Mann gehe zum Gegenangriff über: „Ihr Frauen könntet ja auch mal auffordern.“  

Den Frauen müsse klar sein, dass auf den Milongas „normale Männer“ herumliefen (wobei ich das schon für eine optimistische Annahme halte). Im Tango werde einem kein gutes Benehmen beigebracht. Es tummelten sich halt mehr Frauen als Männer. Die sähen es als Bürde, nun die gesamte Damenwelt bespaßen zu sollen.

Dann kämen sie bei der Autorin halt in das „schwarze Büchlein“ und würden nicht mehr angeschaut. Eine Milonga sei kein Harem. Und es sei erlaubt, das offen anzusprechen, was einen belaste. Die Männer sollten sich auch darüber klar sein, dass Frauen redeten. Vor allem, wenn sie herumsäßen. Mit dem Ergebnis, dass manche nicht wiederkämen.

Die Herren wollten nicht aufgefordert werden und bestimmen, mit welcher Partnerin sie tanzen. Dann sollten sie sich aber darum kümmern, dass die Stimmung nicht kippe!

Von der Tendenz her kann ich der Autorin nur zustimmen: Das männliche Verhalten auf vielen Milongas ist wirklich unterirdisch. Dabei erwartet ja niemand, dass die Tangueros nun stundenlang Samariterdienste an Mauerblümchen leisten. Niemand hat es aber verdient, nach stundenlangem Herumsitzen unbetanzt wieder zu gehen. Ich kenne Veranstalter, die männliche Gäste bitten, sich doch um allein sitzende Damen zu kümmern. Oder diese gleich mal selber aufs Parkett führen. Das hat Vorbild-Wirkung!

Und nach meiner Erfahrung benehmen sich führende Frauen deutlich weniger elitär bei der Auswahl ihrer Tanzpartnerinnen.

Die Autorin ist eine Anhängerin deutlicher Worte. Ich finde, die sind manchmal dringend nötig. Wenn man sich auf einer Milonga nicht wohlfühlt, sollte man es – am besten halbwegs sachlich – auch aussprechen. Vielleicht sind die Veranstaltenden oder andere Beteiligte sogar froh, ein Feedback zu erhalten.

Sollte man darob in Ungnade fallen: Möchte man sich ein solches Umfeld wirklich weiterhin zumuten? Und ich würde dafür sorgen, dass dies der restlichen Kundschaft nicht verborgen bleibt!

Ich käme übrigens nie auf die Idee, einen Tangokurs bei einer Lehrkraft buchen, die auf Milongas nur herumsitzt und gescheit daherredet. Da fehlt für mich die charakterliche Eignung!

Was mir allerdings nicht zum ersten Mal auffällt: Manche Gäste – vor allem weibliche – machen ihr gesamtes Wohl und Wehe davon abhängig, wie oft sie das Parkett betreten können. Besonders für Frauen ist dies regelmäßig der Einstieg ins Unglücklichsein. Die Autorin beispielsweise verliert kaum ein Wort über die gebotene Musik. Die scheint fast egal zu sein – Hauptsache tanzen!

Für mich sind die gespielten Klänge sehr wichtig – bei vielen Stücken bin ich froh, sie wenigstens nur im Sitzen ertragen zu müssen. Und Tangoveranstaltungen bieten weit mehr als eine Tanzgelegenheit. Man lernt sehr viel, wenn man das Verhalten seiner Mitmenschen studiert – auf dem Parkett und außerhalb. Man kann beim Beobachten guter Tanzpaare viel Neues erkennen. Vielleicht findet man auch interessante Gesprächspartner. Oder – in meinem Fall – die Idee für einen neuen Artikel. Und manche zu beobachtenden Abartigkeiten sind mit 10 Euro Eintritt wirklich unterbezahlt!

Ich meine, man sollte bei einem Milongabesuch wirklich offen für das sein, was auf einen zukommt – in welcher Art und aus welcher Richtung auch immer.

Man könnte doch jede Milonga als „Wundertüte“ nehmen! In der ersten Ausgabe meines Milonga-Führers" schrieb ich dazu:

„Richtet sich der anklagende Blick auf die äußeren Umstände, die den Tango zum Manko werden ließen, stimmt auch hier die Richtung nicht. Man sollte sich lieber fragen, warum man sich selber so abhängig von äußeren Einflüssen macht. So wird dieses Thema zum Vehikel, das einem alles (Un)mögliche liefern soll“. (S. 309)  

Aber wenn man es am wenigsten erwartet, kommt plötzlich der eine Traumtanz, von dem man noch Jahre zehrt!

So ist der Tango…

Mirada

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