Tango – Geschichte und Geschichten I

Im Mai dieses Jahres ging in Pörnbach unser Tangokonzert über die Bühne – ich hatte davon berichtet:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/05/tangokonzert-geschichte-und-geschichten.html

Wir spielten vor einem fast ausschließlichen Laienpublikum. Wie kann man denen in gut anderthalb Stunden erklären, was Tango ist und vor allem sein kann? Ich hatte mir vorgenommen, diesmal die Textlinie stark zu erweitern und dafür die Zaubereffekte zu streichen.

Wir erhielten für unsere Darbietung großes Lob und begeisterten Applaus. Daher habe ich mich nun entschlossen, meinen Moderationstext zu veröffentlichen. Vielleicht gibt es auch in der Tangoszene Leute, die über die Hintergründe unseres Tanzes mehr erfahren wollen, als nur zu der Musik zu tanzen, welche der DJ auflegt.

Wegen der Länge heute nur den Wortlaut des ersten Teils – bis zur Pause. Und morgen dann die zweite Hälfte. Ich wünsche einen interessanten Mehrwert und viel Vergnügen!

El Choclo

Liebe Gäste,

herzlich willkommen zu unserem Konzert – mit Geschichte und Geschichten zum Tango!

Man weiß nicht genau, wann die ersten Tangostücke entstanden – vermutlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Den eingangs gespielten Titel „El Choclo“ komponierte 1903 Ángel Gregorio Villoldo – er arbeitete in verschiedensten Berufen: als Kutscher, im Schlachthof, als Zirkusclown und Gitarrist. Villoldo kam angeblich auf den Namen „El Choclo“, also „der Maiskolben“, weil er von diesem Stück gut leben konnte – in einer argentinischen Redensart: „sich den ‚Puchero‘ verdienen“, also einen Eintopf aus Fleisch und Gemüse, vor allem Mais. Aber sicher trug auch die erotische Komponente des Titels zu seinem Erfolg bei.

Eine wichtige Figur des Tangos ist der „Compadrito“ – ein Tangoheld zweiter Klasse, der sich krampfhaft zu dem Star aufspielt, der er gerne wäre. Davon erzählt der nächste Titel Villoldos aus demselben Jahr: „El Porteñito“„Der Kleine aus Buenos Aires“, ein schnelles Stück im Zweivierteltakt, eine Form des Tango, welche an die „Payadores“, ländliche Bänkelsänger in der Tradition der Gauchos, erinnert: die Milonga. Der witzige Text erzählt von einem gerissenen Typen, der die Frauen mit seiner Tanzkunst beeindruckt und ausnimmt:

Wenn ein Kumpel mit der Gitarre

Zu einem Tango in die Saiten greift,

gibt es niemanden auf der ganzen Welt,

der besser tanzt als ich.

 

Es gibt niemanden,

für den die Frauen so schwärmen wie für mich,

man spricht nur von Ähnlichkeiten,

bloß Geschichten und mehr nicht.

 

Und wenn ich ihr gegenübertrete,

betrachte ich gründlich ihren ganzen Körper,

mich versichernd, was sie zahlen wird,

um Essen zu kaufen.



Glücklicherweise gibt es ja heute beim Tango keine Angeber mehr…

El porteñito

Mí noche triste

Tangos haben öfters depressive Texte – und das Thema Nummer eins ist die enttäuschte Liebe – mit einer klaren Rollenverteilung: Die Frau ist schuld, und der Mann jammert.

1917 entstand der soeben gehörte Tango „Mí noche triste“ („Meine traurige Nacht“), mit dem ein junger Sänger in Erscheinung trat, der zur Tango-Ikone werden sollte: Carlos Gardel – 1890 wahrscheinlich als Charles Gardés in Toulouse geboren. Seine alleinerziehende Mutter wanderte nach Buenos Aires aus und arbeitete dort als Büglerin. Die dunkle, samtige Stimme des Sohnes fiel bald auf – und Gardel machte mit dem Titel „Mi noche triste“ den gesungenen Tango populär:     

 

Du Schlampe hast mich verlassen,

in meinen besten Jahren hinterließt Du meine Seele verwundet und Dornen im Herzen,

wissend, dass ich Dich liebte, dass Du meine Fröhlichkeit warst und mein verzehrender Traum;

für mich gibt es keinen Trost mehr, und deshalb schütte ich mich zu, um Deine Liebe zu vergessen.

Gardel komponierte eine größere Zahl von Stücken, zu denen oft sein Freund Alfredo Le Pera die Texte verfasste. Bis heute gilt er als bester Tangosänger aller Zeiten – und sein größter Hit war eine Huldigung an seine Stadt: „Mein geliebtes Buenos Aires“ – „Mí Buenos Aires querido“:

Mein Buenos Aires

blühendes Land

wo mein Leben einmal enden wird.

Unter deinem Schutz

gibt es keine Enttäuschungen,

fliegen die Jahre vorbei,

der Schmerz ist vergessen.

In einer Karawane

ziehen die Erinnerungen vorüber,

mit einer Spur

von süßem Gefühl.

Ich möchte, dass du weißt:

Durch die Erinnerung an dich

verschwinden die Sorgen

aus meinem Herzen.

Mí Buenos Aires querido

Es geschah 1935: Gardels Ruhm war auf dem Höhepunkt, er plante mit seinen Musikern eine Südamerika-Tournee. Als ihr Flugzeug in Medellín/Kolumbien startete, stieß es mit einer am Boden stehenden Maschine zusammen und fing Feuer. Niemand an Bord überlebte.

Ein 13-jähriger Junge hätte eigentlich als Helfer mitfliegen sollen – aber sein Vater erlaubte es nicht. Es war ein Glück für den jungen Astor Piazzolla, der später zum anderen Tango-Weltstar werden sollte!

Im damaligen Argentinien galt alles Europäische als total angesagt. Daher schuf man – angelehnt an den französischen Musette-Walzer und den Wiener Walzer – eine Tangoform im Dreivierteltakt: den Vals.

Der klingt meist beschwingter und fröhlicher als der Tango. Hören Sie nun, wie der Sänger seine „Kleine“ anhimmelt: „Pequeña“:

Pequeña

Sollozos

Ab den 1920er Jahren drang der einstige Tanz der Auswanderer, der Spelunken und Rotlichtlokale, in die besseren Kreise vor. Und warum? Weil er in Paris als unglaublich chic galt, freundete sich auch das argentinische Bürgertum mit ihm an! Die Melodien wurden gefälliger und polierter – so wie in dem Tango „Sollozos“ („Seufzer“) aus dem Jahr 1922, den Sie soeben hörten. Und dennoch versteckt sich auch dort das Unglück:

In einer Welt der Freuden

inmitten von Rauch und Champagnergläsern,

gibt es eine trauernde Seele

die sich zum Weinen versteckt.

Gezeichnet von ihrem Kummer

trocknete mein Taschentuch ihre Tränen

als sie sagte: „Ich bin krank,

ich leide und weine um meine Liebe".

Nostalgie ist ein zentrales Thema des argentinischen Tangos: Die Auswanderer quält die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat, die nächsten Generationen gedachten der alten Stadtviertel, die es so nicht mehr gibt – und die Krönung ist natürlich die Erinnerung an die ferne oder entschwundene Geliebte. Im Tango „Remembranza“ („Gedenken“) heißt es:

Ach, wie traurig ist es, sich zu erinnern

nach so viel Liebe

an das Glück, das vergangen ist...

Blume einer Illusion

unsere Leidenschaft verwelkt.

Doch zuvor wird es würziger: Mit der Milonga „Zucker, Pfeffer und Salz“ – „Azúcar, Pimiento y Sal“

Azúcar, Pimiento y Sal

Remembranza

Einer meiner Lieblingstangos ist „Nunca tuvo novio“ – „Sie hatte niemals einen Freund“. Ausnahmsweise geht es in ihm nicht um männliche Probleme, sondern um die einer alten, einsamen Frau, welche die Liebe nur aus Romanen kennt.

Arme alte Jungfer, du bist zurückgeblieben –

ohne Glauben, ohne Träume…

Dein Herz ist vor Beklemmung krank,

der Sonnenuntergang kürzt heut dein Leben.

Wieder und wieder liest du, wie damals,

den sentimentalen Schmöker,

in dem ein junges Mädchen vergeblich wartet,

vom Liebeskummer verzehrt.

Ich habe einmal geschrieben: „Tango ist wie eine Lupe: Wer durchschaut, ist selber schuld.“

Nunca tuvo Novio

Nieblas del Riachuelo

Mich fasziniert am Tango, dass seine Texte oft wunderschöne Bilder beschreiben. Beim zuletzt gehörten Stück „Nieblas del Riachuleo“ entsteht vor uns das Bild eines Flusses im Nebel, an dessen Ufern alte Schiffe vor sich hin rosten – eine Metapher für eine einstige, längst vergangene Liebe.

Nebel des Riachuelo

Schattiger Ankerplatz, an dem sie andocken werden

Schiffe, die für immer im Hafen bleiben

Schatten, die sich in der Nacht des Schmerzes verlängern

Schiffbrüchige der Welt, die ihr Herz verloren haben

Brücken und Taue

Wo der Wind zu heulen beginnt

Kohlenschiffe

die nie in See stechen werden

Ein öder Friedhof

Von Schiffen, die im Tod

Doch davon träumen

in See zu stechen

Nebel des Riachuelo

Vertäut an Erinnerungen

Ich bleibe und warte

Auf diese Liebe, die für immer von mir ging.

Nicht alle Tangos, die nach Argentinien klingen, stammen wirklich von dort.

Beim nächsten Stück handelt es sich um einen „niederländischen Tango“, den 1937 Arie Maasland (Künstlername „Malando“) schrieb – zunächst unter dem Titel „Cosmopoliet“. Damit es argentinischer klang, taufte man das Stück um: „Olé Guapa“ („Bravo, du Hübsche“). Das Orchester Malando existiert inzwischen in der dritten Generation und wird aktuell von Maaslands Enkel Danny geleitet!

Olé Guapa

Wie argentinisch ist der „Tango argentino?“ Die beiden Weltstars Gardel und Piazzolla stammten aus Frankreich bzw. Italien, das Tangoinstrument Nummer Eins, das Bandoneon, wurde von Heinrich Band in Krefeld konstruiert. Woher das Wort „Tango“ kommt, weiß keiner so genau – wahrscheinlich aus einer afrikanischen Sprache. Es bezeichnete wohl ursprünglich die Orte, wo schwarze Sklaven ihre Tanz- und Trommelspiele aufführten.

6 Millionen europäische Auswanderer zog es zwischen 1870 und 1930 nach Argentinien. Was sie oft fanden, waren vollgestopfte Mietskasernen, geringe Löhne und soziale Abwertung. Da es sich in der Mehrzahl um junge Männer handelte, kam der Frauenmangel hinzu. Und in diesem multikulturellen Gemenge entstand eine Musik der Immigranten: der Tango.

Er war oft genug der einzige Trost der Menschen. Guten Tangos hört man das an.

Ein argentinischer Tangofreund sagte dazu einmal:

„Ich glaube, Tango ist ein ganz einfacher Tanz, der auch von ganz einfachen Menschen entwickelt wurde. Wir müssen bedenken, dass aus Hunger und Not Menschen aus Europa zum Beispiel nach Südamerika ausgewandert sind in der Hoffnung auf bessere Chancen – und diese Chancen kamen zum Teil nicht.“

Klingt, wie ich finde, ganz aktuell…

Keine Angst, nach der Pause wird es fröhlicher! Hören Sie zuvor noch einen Tango von Carlos Gardel: „Zurückkehren“ – „Volver“!

Volver

***

So weit also der erste Teil. Im zweiten wird es tatsächlich etwas lustiger und auch internationaler. Seien Sie gespannt!


 

Kommentare

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