So wird das nix – im Fußball wie im Tango!

Ich bin ein erklärter Fan des Frauenfußballs. Ich finde dort noch mehr von der Faszination dieses Spiels als bei den Männern. Deren Gockel-Festivals mit „Rudelbildung“ und schmerzgeplagten Schauspiel-Einlagen törnen mich eher ab. Bei den Spielerinnen sehe ich dagegen mehr wahre Begeisterung für eine der schönsten Sportarten.

Auf die derzeit laufende Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland habe ich mich sehr gefreut. Leider sind unsere Damen heute gegen Südkorea unglücklich ausgeschieden – so wie die Männer bei den letzten beiden Weltturnieren in der Vorrunde.

Ich möchte mich nicht in die Riege der zahlreichen selbsternannten „Bundestrainer“ stellen, welche nun alle ganz genau wissen, woran das liegt und was man viel besser hätte machen können. Turniere haben ihre eigenen Gesetze, und manchmal fehlt auch das Quäntchen Glück.

Generell gibt es kaum noch „schwache“ Fußballnationen, da ein Großteil von deren Spielerinnen und Spielern nicht in den heimischen Ligen kickt, sondern bei großen Vereinen irgendwo in der Welt, wo sie bestens betreut und trainiert werden. Daher werden die Wettkämpfe immer enger.

Dennoch beschäftigt mich ein Gedanke, der mir bei diesem Thema schon seit Jahren durch den Kopf geht. Was unterscheidet die heutigen Profis von den Amateuren, welche beispielsweise 1954 in Bern aus dem Nichts Weltmeister wurden?

In den Biografien eines Fritz Walter oder Helmut Rahn wird ein anderer Zugang zum Fußball beschrieben: Diese Jungs waren von Klein auf so verrückt, dass zu Hause und nach dem Mittagessen der Schulranzen in die Ecke flog – und dann wurde stundenlang auf der Straße gespielt – ohne Trainer, einfach so. Und genau dabei entwickelte sich ein Instinkt, welcher unbezahlbar war.

Heute dagegen führt der Weg auch bei den Mädchen sehr bald in Vereine, wo man unter der Anleitung von Experten lernt, wie man „richtig“ spielt. Zum Training werden die Sprösslinge dann von Mutti mit dem Auto kutschiert. Früher lief man zu Fuß oder fuhr mit dem Fahrrad. Dann hatte man am Platz das Aufwärmtraining schon hinter sich.

Die Altvorderen hatten neben dem Sport noch einen Beruf und waren nicht den halben Tag mit dem Kontakt zu ihrem „Berater“ beschäftigt oder mussten ständig Interviews geben und Fototermine wahrnehmen. Diese Selbstvermarktung lenkt ganz schön vom Fußball ab! Und es gab noch keine Smartphones…

Hochbezahlte Trainer entwickeln dann Spielsysteme, in welche sich jede Fußballerin einzufügen hat. Man nimmt ihnen viele Entscheidungen ab und schränkt ihre Eigeninitiative ein. Heute unvorstellbar ist ein Günter Netzer, der sich bei einem Pokalfinale selber einwechselte und kurz darauf den Siegtreffer erzielte.

Auch heute hat man wieder gesehen, wie bei einem frühen Gegentor das ganze Team „einbricht“ und ängstlich versucht, „Fehler“ zu vermeiden. So wird das Spiel zu langsam und für den Gegner durchschaubar. Es fehlen auf dem Platz Zentralfiguren, welche die anderen mitreißen. Klar: Der wahre „Führungsspieler“ steht an der Trainerbank.

Die deutsche Kapitänin Alexandra Popp kommt immerhin dieser Rolle noch ziemlich nahe und erzielte in drei Partien vier Tore. Bei unseren Männern gibt es einen vergleichbaren Spieler schon lange nicht mehr.

Daher, liebe Trainer: Verzichtet auf die hochmögenden Referate über euer Spielsystem, das ihr eh demnächst wieder ändern werdet. Gebt den Jungs und Mädels einfach einen Ball und lasst sie ihr eigenes Gefüge aufbauen! Wie früher auf der Straße…

Auch im Tango kommen wir schon lange nicht mehr über die Vorrunde hinaus. Nach den vielen Jahren des Tangobooms müsste es doch eine große Gruppe wirklich sehr guter Tänzerinnen und Tänzer geben. Ein Blick auf das übliche Milonga-Elend beweist das Gegenteil. Und dies, obwohl man seit vielen Jahren die ganze Riege argentinischer Spitzenkräfte durchs Land treibt!   

Wahrlich, es mangelt im Tango nicht an „Experten“, die uns von der Seitenlinie aus die „authentischen“ Moves, die eine und wahre Umarmung vorschreiben. Und uns beibringen, was man alles nicht tun darf. Etwas überspitzt könnte man sagen: Leute, welche selber kaum noch tanzen, erklären uns, wie wir tanzen sollen!

Und gestandene Oberstudienräte entwerfen ganze Tango-Curricula:

https://jochenlueders.de/?p=15759

Ich werde nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, was die „alten Milongueros“ (und Milongueras) von den heute Tanzenden unterscheidet. Früher begannen Tangokarrieren bereits in früher Jugend – da übte man zu Hause oder unter Freunden und schmuggelte sich mit Sechzehn auf die erste Milonga, da man es kaum erwarten konnte.

Heute führt der Weg von Ü50ern nach dem Familiengericht schnurstracks zum Tango, obwohl man sich vorher jahrzehntelang vor dem Tanzen drückte. Und wenn der Deutsche irgendwas lernen will, bucht er einen Kurs. Da weiß man, was man hat! Und nach zwei Jahren und hohen Kosten gehört man dann zur „Mittelstufe“. Selber probieren gilt als planlos.

Ich habe vor drei Jahren ein Video besprochen, in dem die Ollen aus Buenos Aires zu Wort kamen. Was sie zum Erlernen des Tango sagten, hat mich fasziniert:     

„Ich lernte selber tanzen, durch Zuschauen.“

„Ich lernte mit einem Besen tanzen.“

„Ich war mein ganzes Leben mit Carlos zusammen. Alles, was ich über das Tanzen weiß, hat er mich gelehrt.“

„Wie ich tanzen lernte? Keine Ahnung!“

„Wir tanzten nicht unter Männern. Wir übten nur. Wir lernten gewöhnlich miteinander.“

„Und die Regel war, anders zu sein als alle anderen.“

„Ja, jede Person hatte ihren eigenen Stil“

„Niemand sah gleich aus.“

„Keiner macht es wie du.“

„Die Leute pflegten zu sagen: Du willst neue Figuren? Dann gehe auf die Milonga und klaue sie.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/07/eine-hommage-die-milongueros.html

Nochmal zum Mitschreiben: In den alten Zeiten war es das Ideal, einen eigenen Stil zu besitzen, anders zu tanzen als der Rest. Heute ist daraus öde Gleichmacherei geworden. Und wer einen vom Mainstream abweichenden Tanz bietet, wird mit „Todesurteilen“ belegt: Das sei gar kein Tango, der Betreffende könne gar nicht tanzen. Ich weiß ein Lied davon zu singen!

Stattdessen begibt man sich in die geistige Untermiete bei irgendwelchen Notablen, die einen lehren, so zu tanzen wie sie. Die eigene Persönlichkeit verbleibt in der Milonga-Garderobe. Hauptsache die Regeln einhalten – Tanzen kommt dann erst später. Einmal in der Woche Training statt Straßentango".

Aber so schießt man halt keine Tore – ja, man trifft das Rechteck nicht mal. Wie heute in Brisbane.

P.S. Hier noch ein Trailer zu den „alten Milongueros“:

https://www.youtube.com/watch?v=LUzSG3kXbmQ


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