Tango – Geschichte und Geschichten II

 

Hier nun also der zweite Teil meiner Moderation unseres Tangokonzerts am 6.5.23. Den ersten Teil finden Sie hier:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/08/tango-geschichte-und-geschichten-i.html

Speranza perdute

Liebe Gäste,

ich hoffe, Sie haben sich in der Pause von eventuellen Tango-Depressionen erholt! Aber der eben gehörte Walzer klang doch ganz optimistisch – trotz seines Titels „Speranza pedute“ („Verlorene Hoffnung“).

Auch der Tango war kurz davor, verloren zu gehen. Während er in seiner Blütezeit, den 1930er bis 50er Jahren, in Argentinien und Uruguay Millionen anzog, begann danach sein Niedergang, verdrängt durch die neue Popmusik sowie die politischen Verhältnisse.

Erst in den 1980er Jahren erlebte er seine Wiedergeburt – durch neue Ensembles und vor allem den Komponisten und Bandoneon-Spieler Astor Piazzolla. Shows mit dieser Musik tourten durch die Welt und begeisterten junge Menschen für den Tango.

Inzwischen finden an vielen Orten regelmäßige Tanzveranstaltungen statt, es gibt Tangoschulen und eine größere Zubehör-Industrie. Tango gilt als exotisch, sinnlich, ja erotisch. Die Deutschen sind „Latino Lover“.

In Wahrheit… gut, sprechen wir später darüber.

Tangomusik kommt manchmal ziemlich patriotisch daher. So auch der Titel „Nueve de Julio“, der an den 9. Juli, den argentinischen Nationalfeiertag erinnert. Am 9. Juli 1816 erreichte das Land die Unabhängigkeit von Spanien.

9 de Julio

De l‘ autre côte de la rue

Chansons haben viel mit dem Tango gemeinsam: Der Text ist sehr wichtig – eine Aussage muss in dreieinhalb Minuten auf den Punkt gebracht werden. Und die Themen sind teilweise ebenfalls ziemlich düster.

Gerade hörten Sie den Titel „De l‘ autre côte de la rue“: „Auf der anderen Seite der Straße“ wohnt ein reiches Mädchen. Ihre Nachbarin lebt in ärmlichen Verhältnissen – aber sie ist reich durch die Liebe, welche die andere nicht kennt.

Auch das folgende Chanson hat Edith Piaf bekannt gemacht:

Nein, gar nichts

Nein, ich bereue nichts

Weder das Gute, das man mir angetan hat

Noch das Böse

Das ist mir alles egal“

Je ne regrette rien

Bedauerlich ist, dass der Tango heute zu einem Tanz der älteren Generation geworden ist. In den letzten 15 Jahren hat sich der Geschmack gewandelt: Statt moderner Tangomusik spielt man auf vielen Veranstaltungen die 80 Jahre alten Hits. Junge Menschen kann man damit kaum anlocken. Für Tango-Neulinge habe ich einmal den folgenden Text verfasst:

In der „Tangoszene“ wird allerhand geboten: Das reicht von „Fingerfood-Büfetts“ über Tanzschuh- plus Kleiderverkauf, Auftritte von Showpaaren, Konzerten bis zu mehrtägigen Festivals und Tangoreisen. Es ist somit für genügend Unterhaltung gesorgt, sofern Sie das nötige Kleingeld aufbringen. Schon für die Verkleidung dürfte je ein mittlerer dreistelliger Eurobetrag fällig werden: als waschechter „Tanguero“ (männlicher Tänzer mit gestreifter Schlaghose und zweifarbigen Schuhen, gerne auch Schlapphut). Und die „Tanguera“ (weibliche Ausgabe) trägt meist Tangoboutiquen-Fummel plus neonleuchtende Stilettos.

Für den finanziellen Aufwand werden Sie jedoch meist reich belohnt: Man sieht streng dreinblickende Männer, welche ihre in Duldungsstarre begriffene Partnerin zu eher trägen Klängen rückwärts übers Parkett schieben, unbeholfenes Beingehakel inklusive. Das hat hohen Kabarettfaktor! So ergibt sich die einmalige Gelegenheit, nahezu alle Stadien der menschlichen Entwicklung des halbwegs aufrechten Ganges bis zum Neandertaler zu studieren.

Zudem ist eine Milonga oft ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Wie vor dem Paviangehege im Zoo können Sie das gesamte Imponier- und Balzverhalten beobachten. Wobei die Herren typischerweise durch das wirken wollen, was sie tun, die Frauen hingegen darauf setzen, was sie sind (oder sein möchten): schön, rätselhaft und abgehoben.


Und wenn Sie gerade als Frau einigermaßen in der Balance einspurig rückwärts laufen können, haben Sie damit die „Lizenz zum Kuscheln“ bereits erworben. Als Mann gucken Sie sich einfach einige Schrittmuster ab, welche Ihnen Ihre Kollegen (Gott sei Dank ja in Zeitlupe) oft genug vorführen. Irgendwann fordern Sie dann eine bessere Tänzerin auf: Keine Angst, die vollbringt das, was Sie eigentlich führen wollten, auch von alleine – und vor allem: Sie ist heutzutage an Tänzer gewöhnt, die es nicht können. Am besten kommen Sie ihr möglichst wenig in die Quere, dann passt das schon.

Um gleich die fällige Rückfrage zu beantworten: Nein, mit Tangotanzen hat das nichts zu tun – aber so haben Sie sich die Mitgliedschaft in der Szene erworben.    

Musik!

Pariser Tango

Von unserer hauseigenen Mireille Mathieu hörten Sie den „Pariser Tango“.

In Paris hat man dem Tango immer wieder auf die Füße geholfen. So auch in den 1980er Jahren, als Musiker und Komponisten, die vor der argentinischen Diktatur geflohen waren, dort große Erfolge erzielten.

Seit etwa 1920 schrieb man in Deutschland viele Tangoschlager, von denen wir Ihnen nun zwei vorstellen wollen:

„Roter Mohn“ ist ein Evergreen, der Rosita Serrano, eine chilenische Schauspielerin und Sängerin, bekannt machte. Die Tochter eines Diplomaten und einer Opernsängerin brachte sich den Gesang selber bei und hatte in Deutschland zunächst Erfolg mit südamerikanischen Volksliedern. Bald entdeckten Komponisten und Filmemacher ihren glockenhellen Sopran, welcher ihr den Namen „die chilenische Nachtigall“ einbrachte. Den „Roten Mohn“ von Michael Jary und Bruno Balz sang sie 1938 in dem Film „Schwarzfahrt ins Glück“.

Den Erfolgstitel „Capri Fischer“ brachte der Komponist Gerhard Winkler schon 1943 heraus – er wurde jedoch kurz darauf verboten, da Sizilien von den Alliierten eingenommen wurde und Italien das Bündnis mit dem Deutschen Reich aufkündigte. Nach dem Krieg wurde das Lied vor allem durch den Sänger Rudi Schuricke zum Hit. Angeblich war es auch ein Lieblingsschlager von Helmut Kohl.

Capri Fischer

Roter Mohn

Hören Sie nun einen der lustigsten Tangos, den 1959 das Hazy Osterwald-Sextett herausbrachte: den „Kriminal Tango“. Die Single verkaufte sich 900000 Mal. 1960 lieferte das Stück den Titel für eine gleichnamige, hinreißend blödelige Filmkomödie mit Peter Alexander und Vivi Bach.

Kriminal Tango (Anfang)

Na gut, aber ich finde, das Stück ist heute nicht mehr aktuell. Denn der konservative Umschwung in der Tangoszene hat zur Einführung verschiedener Verhaltensregeln geführt, die es angeblich schon vor 100 Jahren in Argentinien gab. Eine besonders wichtige betrifft das Auffordern.

Ich darf das mal demonstrieren (im folgenden Video habe ich diese Passage veröffentlicht):

https://www.youtube.com/watch?v=SnEV0FbFMao

Für die Tango-Laien noch zur Erklärung: „Canaro“ ist kein trillernder Vogel, sondern der Name eines historischen Orchesterleiters. Und „Cassiel“ ein Autor, der die konservativen Regeln in vielen Artikeln verbreitete. „Tandas“ sind einzelne Tanzrunden, welche der „Herr am Mischpult“, also der DJ, auflegt.

Nun viel Vergnügen mit unserem „Kriminal Tango“!

„Kriminal Tango“ (neue Version)

Love Theme (Cinema Paradiso)

Eine Melodie, zu der wir sehr gerne tanzen: Das „Love Theme“ aus dem Film „Cinema Paradiso“ von Ennio und Andrea Morricone.

Liebe Gäste,

unser Konzert mit Geschichte und Geschichten zum Tango ist gleich zu Ende. Wir danken herzlich für Ihr Kommen und Ihren Applaus. Vielleicht ahnen Sie nun, warum Tango zur Leidenschaft ausarten kann.

Seit über 10 Jahren darf ich nun bei Konzerten das „Duo Tango Varieté“ vorstellen:

Bettina Kollmannsberger (Akkordeon und Gesang) und

Karin Law Robinson-Riedl (Gesang und Violine)

Unsere Rollenverteilung gleicht dem Kasperltheater: Kasperl, Gretel und das Krokodil… Am meisten Spaß haben wir bei den gemeinsamen Proben. Dabei habe ich die Damen immer wieder an ein Wort des Tangomusikers Luis Borda erinnert:

„Den Tango darf man nicht so spielen, wie die Noten geschrieben sind. Das ist die Sache“.

Ich glaube, das haben die beiden doch hingekriegt… Und dass die Musikerinnen den Tango auch tanzen können, ist ein großer Vorteil!

Den Argentiniern gefiel der Tango immer erst dann, wenn er woanders Erfolg hatte. Das bekam auch Astor Piazzolla zu spüren, als er 1955 eine neue Musik schuf: den „Tango nuevo“. Seine Stücke hatten in der Heimat erst Erfolg, als er sich weltweit Geltung verschaffte.

Zum Abschluss noch sein bekanntestes Stück: „Libertango“!

Libertango

Gut, ein Stück haben wir noch:

J’attendrai“ („Ich werde warten““) ist ein Chanson aus dem Jahr 1936 von Dino Oliveri. Bekannt wurde das Lied während des 2. Weltkriegs vor allem in Italien und Frankreich als Ausdruck der Hoffnung auf Kriegsende und Befreiung.

Wir sagen Dankeschön und bis bald – „Au Revoir“!

J’attendrai

***

So, das war’s! Ich hoffe, Sie haben einiges Neue über den Tango erfahren und sich gebührend amüsiert!

Sollten die beiden Artikel Beachtung finden, überlege ich mir, weitere Moderationen unserer Auftritte zu veröffentlichen.

Kommentare

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