Entartete Musik
Vor einigen Tagen hörte ich auf einer Autofahrt den Sender „Bayern 4“ mit Erinnerungen an den deutschen Pianisten, Komponisten und Dirigenten Peter Kreuder (1905-1981). Dabei wurde auch seine Rolle im 3. Reich beschrieben, welche mir durchaus schillernd erschien. Einerseits benötigten wohl die Machthaber seine Musik und hofierten ihn, auf der anderen Seite wurde seine Neigung bekämpft, Jazz und Swing in seine Titel einfließen zu lassen. Das Vorhaben, den „Taugenichts“ von Eichendorff als Musical herauszubringen, kommentierte eine Nazi-Größe mit der Einschätzung, „dieser Jazzakrobat“ verunglimpfe damit traditionelle deutsche Kulturgüter.
Da ich entsprechende Debatten vom Tango her kenne, ging ich anschließend der Frage nach, in welcher Weise die Nationalsozialisten die Unterhaltungs- und Tanzmusik reglementierten.
Grob gesagt war alles verdächtig, was man als „fremdartig“ und „undeutsch“ ansah. Zuvörderst natürlich die Werke jüdischer Künstler, aber auch der Einfluss US-amerikanischer Produktionen vor allem aus dem Jazz-Bereich, die man als „Negermusik“ abtat. Das Problem war nur, was dann noch blieb…
Ein führender Kopf der einsetzenden Zensur war der Journalist und Schriftsteller Dr. Rainer Schlösser, der es bis zum „Reichsdramaturgen“ und Präsidenten der Reichstheaterkammer brachte. Schon 1934 berichtete er dem Propagandaminister Goebbels, 90 Prozent der Operetten seien von Juden geschrieben bzw. getextet worden – nur 10 Prozent somit „rein arisch“: „Unter diesen Umständen war es [innerhalb eines Jahres] nicht möglich, die jüdischen Bestandteile der Operette restlos auszumerzen.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Rainer_Schl%C3%B6sser
Eine andere zentrale Figur in diesem Geschäft war der Leiter der Abteilung Musik im Reichspropaganda-Ministerium, Dr. Heinz Drewes, der schon 1933 die Bedeutung der leichten Musik hervorhob: „Bei der geistigen Umbildung der Nation, soweit sie durch das Theater beeinflusst werden kann, von ausschlaggebender Bedeutung ist die Stellung, die der Operette im Gesamtspielplan eingeräumt wird.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Drewes
Folgerichtig musste sich der Komponist Richard Strauss von Goebbels anhören: „Lehár hat die Massen, Sie nicht! Hören Sie endlich auf mit dem Geschwätz von der Bedeutung der ernsten Musik! Damit werden Sie sie nicht aufwerten. Die Kultur von morgen ist eine andere als die von gestern! Sie, Herr Strauss, sind von gestern!“
1937 wurde eine „Reichsmusikprüfstelle“ im Propagandaministerium eingerichtet. Deren stellvertretender Leiter, Fritz von Borries, schrieb dazu: „Zersetzungserscheinungen müssen sich auf musikalischem Gebiet ganz besonders unheilvoll auswirken. Ist doch die Musik die Kunst, die sich am unmittelbarsten an das Gefühl des Menschen wendet. [...] Es musste deshalb besonders verhängnisvolle Folgen haben, wenn dieser unmittelbare Gefühlsausdruck getrübt, zersetzt und bis zur Fratze verzerrt wurde. [...] Aus gutem Grund wendeten die zerstörenden Kräfte, die in den Jahren 1918-1933 am Werke waren, der Musik ihr besonderes Augenmerk zu, da sie durch sie die Seele des Volkes am sichersten und bis in ihre Tiefen vergiften zu können glaubten.“
Eine besonders unheilvolle Rolle spielte dabei Hans Severus Ziegler, seines Zeichens „Reichskultursenator“ und Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar. In Anlehnung an die Ausstellung „Entartete Kunst“ organisierte er 1938 die Ausstellung „Entartete Musik“, in der er gegen in der er gegen Jazz, Neue Musik und jüdische Künstler polemisierte und deren Entfernung aus dem deutschen Musikleben forderte.
Das Ausstellungsplakat ist dem der Oper „Johnny spielt auf“ des verbotenen jüdischen Komponisten Ernst Krenek nachempfunden; der Saxofonspieler trägt einen Judenstern:
In seiner Eröffnungsrede sagte Ziegler: „Was in der Ausstellung ‚Entartete Musik‘ zusammengetragen ist, stellt das Abbild eines wahren Hexensabbath und des frivolsten geistig-künstlerischen Kulturbolschewismus dar und ein Abbild des Triumphes von Untermenschentum, arroganter jüdischer Frechheit und völliger geistiger Vertrottelung.“
Verbot und Verfolgung trafen viele Stars der leichten Muse wie Paul Abraham, Leon Jessel, Werner Richard Heymann, Friedrich Hollaender, Emmerich Kálmán oder Hermann Leopoldi.
Wer sich dem Regime nicht durch Flucht entziehen konnte oder wollte, musste sich mehr oder weniger anpassen – so auch Peter Kreuder, welcher beispielsweise den völkischen Triumphmarsch „70 Millionen – ein Schlag“ komponierte.
Der von den Nazis wegen seiner Homosexualität verfolgte Textautor Bruno Balz schrieb Stunden nach seiner Entlassung aus der Gestapo-Haft einen seiner größten Erfolge, den Michael Jary für den Film „Die große Liebe“ mit Zarah Leander vertonte:
Davon geht die Welt nicht unter
Sieht man sie manchmal auch grau
Einmal wird sie wieder bunter
Einmal wird sie wieder himmelblau
Leon Jessel, der jüdische Komponist der Erfolgsoperette „Schwarzwaldmädel“ erschien den Nazis so unverzichtbar, dass sein Stück noch bis 1937 aufgeführt werden durfte – zudem war Hitler dem Operettenkitsch durchaus zugetan: sein Lieblingswerk war Lehárs „Lustige Witwe“. Jessel selbst vertrat wirklich deutschnationale Vorstellungen. Man fing dann aber einen Brief von ihm ab, in dem er sich über die Judenverfolgung beklagte. Nach seiner Verhaftung durch die Gestapo wurde er so schwer misshandelt, dass er Anfang 1942 an den Verletzungen verstarb.
Vielen Emigranten gelang es nicht, in den Gastländern an ihre Erfolge anzuknüpfen. Als die Mehrzahl von ihnen nach dem Krieg wieder nach Deutschland oder Österreich zurückkehrte, nahm man sie oft eher misstrauisch auf. Schließlich hatten sie in schwerer Zeit „ihr Vaterland verraten“… Häufig bedeutete das einen Knick oder sogar das Ende der Karriere.
Den Nazi-Funktionären, die für diesen kulturellen Ausverkauf verantwortlich waren, erging es meist eher besser. Anfangs vollstreckten zwar die Aliierten etliche Todesurteile – von deutschen Behörden jedoch hatten die braunen Kulturverwalter in der Folge wenig zu befürchten. Vielen gelang es erfolgreich, wieder im kulturellen Leben Fuß zu fassen.
Ein markantes Beispiel ist der erwähnte „Reichskultursenator“ Hans Severus Ziegler: Nach Kriegsende musste er sich zwar als Vertreter für Gaststätten-Porzellan durchschlagen – er fand jedoch bald wieder Anstellungen als Lehrer und Theaterleiter. Aus seiner Nazi-Einstellung machte er bis zu seinem Tod 1978 keinen Hehl:
„diese Leute[...] unterstellen aber, daß die Vergangenheit nur eine sträfliche Kunstdiktatur gewesen sei. Diese hat allerdings aufgeräumt, ja gewiß, manches mal auch ein zu grobes Großreinemachen veranstaltet, hat aber nie und nirgends die deutsche Kunst, die bildende und tönende so verunstaltet, wie es die Vernegerung und Verjazzung zwischen 1928 und 1933 und wieder seit 1945 bis zum heutigen Tage in einem erschreckendem Maße fertiggebracht hat.“ (Hans Severus Ziegler: „Adolf Hitler aus dem Erleben dargestellt“, 1968)
http://ralph-braun.com/wp-content/uploads/2013/11/NS-Musik-Propaganda-Operette.pdf
Auch die Volksmusik wurde wegen ihrer „Ursprünglichkeit“ von den Nazis gerne im Kampf gegen alles Moderne und Undeutsche instrumentalisiert. Ein schönes Beispiel ist der österreichische Metzgermeister Tobi Reiser, der 1946 das „Salzburger Adventssingen“ begründete und als Erfinder der „Stubenmusi“ gilt. Bis zu seinem Tod 1974 gelang es ihm mühelos, seine braune Vergangenheit zu verschweigen. Dabei polemisierte er schon vor 1938 mit antisemitischem Unterton öffentlich gegen jüdische Tänze und propagierte ein Trachtenverbot für Juden. Im Jahr 1941 lobte er das Heimatbrauchtum als die „beste Waffe gegen das jüdische Gift“.
Erst vor einigen Jahren waren die historischen Erkenntnisse nicht mehr zu übersehen. So entschloss sich das Land Salzburg 2016, den seit 1992 bestehenden „Tobi Reiser-Preis“ nicht mehr zu verleihen. Entnazifizierung ist oft ein langwieriges Geschäft…
https://de.wikipedia.org/wiki/Tobi_Reiser
Die nationalsozialistischen Anstrengungen, die Unterhaltungskultur nach ihrer Ideologie zu steuern, waren sicherlich das bedeutendste Projekt dieser Art. Dagegen wirken die Versuche der DDR, in den 1950er- bis 60er-Jahren den kapitalistischen Beat und Rock‘n Roll zu unterdrücken, eher putzig.
https://milongafuehrer.blogspot.com/2016/03/auseinander-tanzen-verboten.html
Die Methode ist allerdings stets dieselbe: Polemisiert wird stets gegen das Moderne, Fremde, nicht „Ursprünglich-Authentische“, das Multi-Kulturelle. Und zwar von mental streng gescheitelten Menschen, die vorwiegend nach Disziplin und Ordnung rufen.
Glücklicherweise sind solche Tendenzen bei uns inzwischen selten.
Bis auf den Tango argentino.
P.S. Zum Weiterlesen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/12/die-menschen-hinter-den-liedern.html
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