Einfach machen!

„Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden Sie auch ernst genommen.“ (Konrad Adenauer)

Was mich momentan besonders fasziniert, ist das Gedöns, welches man fast täglich um die Kanzlerkandidatin und ihre beiden männlichen Kollegen macht. Jeder Auftritt, jeder Text, jedes gesprochene Wort wird akribisch von einer journalistischen Skandalsucher-Mafia abgeklopft.

Beispiel Flutkatastrophe: Da können Spitzenpolitiker sich nur noch aussuchen, was sie falsch machen. Eilen sie an den Ort des Geschehens, wollen sie ja nur Wahlkampf betreiben, bleiben sie weg, haben sie kein Interesse an der Not ihrer Bürger. Das reicht bis zur Analyse ihres Outfits: Kommen sie in Regenjacke und Gummistiefeln, wird das als Verkleidung verurteilt, edlere Klamotten dagegen als arrogante Attitüde.

Und wenn ich mir überlege, welche Fähigkeiten ich für eine Kanzlerschaft als notwendig erachte, fällt mir durchaus etwas ein. Bestimmt nicht aber mache ich zum Maßstab, ob einer bei einem anstrengenden Besuchsprogramm mal an der falschen Stelle lacht oder in einem Buch, das er eh nicht selber geschrieben hat, irgendwelche Quellenangaben fehlen.

Gut organisierte Shitstorms treffen dann authentische und daher auch sperrige Politiker wie Sahra Wagenknecht oder Boris Palmer. Windschnittigkeit ist heute angesagt, nicht Querköpfigkeit.

Das treibt dann solche Blüten wie die Empörung, dass Kandidatin Baerbock aus einem Schul-Arbeitsblatt in durchaus kritischer Absicht das „N-Wort“ zitiert hatte. Dies wird dann längelang von Sozialpsychologen analysiert. Mir wäre es Zeit meines Lebens nie eingefallen, mich an Bewertungen dieser Berufsgruppe zu orientieren…

https://www.deutschlandfunkkultur.de/annalena-baerbock-und-das-n-wort-wir-muessen-ueber.2950.de.html?dram:article_id=500844

Hätte ich mich jemals für ein öffentliches Amt beworben, wäre meine Bedingung gewesen: „Ihr müsst mich so nehmen, wie ich bin – oder wir lassen es.“ In weiser Voraussicht der einschlägigen Antwort habe ich es nie versucht.

Wer heute politisch tätig ist, sieht sich der gnadenlosen Verdammung von Facebook-Couchaktivisten ausgeliefert, die sich gegenseitig an verbaler Radikalität zu überbieten trachten. Ein Beispiel der nicht mal sehr heftigen Sorte:

„Wir in NRW kennen Herrn Laschet als Chaot während Corona, der Konsequent alles falsch und das noch am falschen Punkt gemacht hat. Nach zwei Wochen Corona seinen eigens eingekauften Experten Streek verkünden lassen, dass man ja Schulen jetzt wieder alle immer geöffnet lassen kann, nach den Sommer-Ferien die Maskenpflicht anordnend, sie dann ei steigenden Fallzahlen eine Woche später wieder fallen lassend usw usw. Völlige Inkompetenz gepahrt mit allergrößter Bestechlichkeit scheint zu reichen um sogar zum Kanzlerkandidaten gekürt zu werden und im Anschluss auch zum Bundeskanzler. Das Wahlvolk macht mir die größeren Sorgen...“

https://www.facebook.com/christian.rothschild.18 (19.7.21)

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich habe seit meiner Volljährigkeit noch nie die Unionsparteien gewählt und werde es auch diesmal nicht tun. Was mich jedoch anödet, ist die Dreistigkeit solcher Aussagen: Nein, wer seit vier Jahren in schwierigen Zeiten das bevölkerungsreichste Bundesland regiert und von der momentan führenden deutschen Partei zum Vorsitzenden gewählt wird, kann kein „Chaot“ sein, der „alles falsch“ macht und mit „völliger Inkompetenz“ ausgestattet ist. Und „allergrößte Bestechlichkeit“ ist bis zu ihrem Nachweis eine Verleumdung – ebenso wie einem führenden Virologen Käuflichkeit zu unterstellen.

Aber man sieht schon an den Formulierungen, welches geistige Format am Werk ist, wenn man nicht mal den Eigennamen von Hendrik Streeck korrekt schreiben kann und „paaren“ mit einem Dehnungs-H versieht. Je kleiner das Würschtl im Leben, desto größer seine Superlative auf Facebook…

Jeder, der hierzulande eine neue Idee oder gar eine klare Haltung hat, muss zunächst durch die Facebook-Hölle, wo ihm die deutsche Meckersack-Armee sofort bestätigt, sein Vorhaben sei völlig deppert, vermutlich böswillig und zudem ein Verrat an irgendwas Edlem.

Aber auch oberhalb der IQ-Niederungen sozialer Medien wird es nicht besser. Vor allem, wenn man den Fehler macht, Juristen zu befragen: Dieser Berufsstand wurde ja darauf konditioniert, stets das Haar in der Suppe zu suchen. Daher ist eine Neuerung wahrscheinlich eh verboten – insbesondere, wenn man auch noch Datenschutz-Experten hinzuzuzieht – deren Meisterstück es ja war, die Corona-Warn-App so zu verwässern, dass sie kaum etwas nützt. An diesem Generalziel arbeiten solche Fachleute in schöner Gemeinschaft mit Journalisten, die reflexartig Neuerungen erstmal runterschreiben und sich gleichzeitig beschweren, dass die Politik nichts unternehme…

Der eingangs zitierte Konrad Adenauer sagte einmal zu einem Vertreter dieser Zunft: „Sie kriegen det Interview, aber ich jebe es Ihnen fünfzig Prozent gelogen, dann verdienen Sie noch wat am Dementi.“

Der von mir sehr geschätzte Physiker und Kabarettist Vince Ebert hat das Dilemma einmal genial beschrieben: 1961 habe John F. Kennedy das Ziel ausgegeben: „Innerhalb dieser Dekade fliegen wir auf den Mond.“ Acht Jahre später wurde die Vision Wirklichkeit – noch ohne Computer-Technologie. „Und heute sitzen in Deutschland bei jedem Mini-Projekt zwanzig Controller und fünfzig Juristen, die jede mögliche Gefahr prüfen. Und eine Gleichstellungsbeauftragte sorgt dafür, dass das alles politisch korrekt zugeht. Und so fliegst du eben nicht auf den Mond. So fliegst du noch nicht mal von Berlin irgendwo hin.“ 

https://www.youtube.com/watch?v=1-l6IUb5xAg

Statt „Yes, we can“ lautet halt die deutsche Einstellung: „Yes, we plan“.

„Die Politiker leiden fast alle unter Mangel an Mut“ – zu dieser Einsicht kam bereits der erste Kanzler unserer Republik. Diese Erkenntnis gilt heute mehr denn je. Dabei gab es zu Adenauers Zeiten den „Berufspolitiker“ eher selten. Wer im Leben schon etwas geleistet hatte, wurde irgendwann zur Kandidatur für einen Parlamentssitz aufgefordert und dachte meist nicht daran, diesen Job nun die nächsten zwanzig Jahre zu machen. Macht auf Zeit eben.

Heute erleben wir Politiker-Darsteller, die nach einem meist belanglosen Studium mit wenig bis gar keiner Berufserfahrung danach trachten, die nächsten Jahrzehnte in Parteivorständen, Parlamenten oder Regierungen zu verbringen. Ihre Ansichten orientieren sie an demoskopischen Ergebnissen – und Berater kümmern sich um Rhetorik und ums Styling. Solche Karrieren kann jedes Skandälchen zum Absturz bringen.

Ich glaube aber, jenseits einer gut geölten Empörungs-Maschinerie sehnen sich viele Wähler nach kantigen Persönlichkeiten wie der eines Helmut Schmidt, der heute noch als der beliebteste deutsche Politiker gilt. Und zwar gerade, weil er nicht stets der Mehrheit nach dem Munde redete – nicht mal seiner eigenen Partei.

„Ich bin diktatorisch, nur mit stark demokratischem Einschlag“, so beschrieb bereits Konrad Adenauer diesen Stil. Als ihn sein Verteidigungsminister darauf hinwies, die Mehrheit der Deutschen sei gegen die Wiederbewaffnung, war seine Replik: „Und wat jedenken Sie dajejen zu tun?“

„Einfach machen!“ ist daher eine Devise, die ich nur jedem empfehlen kann. Dazu gehört es auch, es sich zunächst einmal einfach zu machen. Als ich 2007 damit begann, beim Tango aufzulegen, hatte ich vielleicht 30 CDs – und Ende 2013 startete ich ein Blog ohne die mindesten Kenntnisse, wie man in einem solchen Format arbeitet. Was mich trieb, war schlicht der unbedingte Wille, es zu probieren und dazuzulernen.

Ich hätte nie vermutet, gesellschaftliche Entwicklungen im Mikrokosmos des Tango zu erleben: Den Gegenwind durchzustehen war alles andere als einfach. Man stellte mich als selbstbeweihräuchernden Egomanen hin, Experten bestätigten mir mehr als einmal, von der Sache null Ahnung zu haben. Beruf, Geschlecht, Alter und Herkunft wurden mir immer wieder negativ vorgehalten. Unzählige Male stellte man mich als Rechtsbrecher hin, der andere beleidige, das Urheberrecht sowie die Privatsphäre missachte, das Finanzamt und die GEMA hinters Licht führe. Generell sei ich menschlich ein ganz übler Charakter. Man war stets aufs Neue überrascht, mich damit nicht beeindrucken zu können.

Ich muss diesen ganzen Krakeelern eigentlich dankbar sein. Neben durchaus vorhandenen eigenen Schwächen (die ich so korrigieren konnte) bewiesen sie mir vor allem, dass man mit der Devise „jetzt erst recht“ im Endeffekt gewinnt.

Hat der erste Kanzler der Bundesrepublik Facebook und Twitter schon vorausgeahnt? Man könnte es meinen, wenn man solche Zeilen von ihm liest:             

„Auf längere Sicht betrachtet ist die Zukunft der abendländischen Menschheit durch nichts (…) so sehr gefährdet wie durch die Gefahr der Vermassung, der Uniformierung des Denkens und Fühlens, (...) durch die Flucht aus der Verantwortung aus der Sorge für sich selbst. Diese Vermassung, (…) die zum Teil durch die technische Entwicklung hervorgerufen und gefördert wird, kann zu einer wahrhaft tödlichen Gefahr für jeden wirklich kulturellen Fortschritt werden.“

P.S. Für die Jüngeren: Adenauer… wer war das eigentlich?


https://www.youtube.com/watch?v=oYbvo4_7S8I

Kommentare

  1. Da - schon wieder! Aktueller könnte mein Artikel kaum sein: Soeben wird gemeldet, Armin Laschet habe in seinem Buch "Die Aufsteigerrepublik. Zuwanderung als Chance" aus dem Jahr 2009 zumindest in einem Fall abgeschrieben, ohne den Zitierten zu nennen.
    https://web.de/magazine/politik/wahlen/bundestagswahl/plagiatsvorwuerfe-unions-kanzlerkandidat-laschet-raeumt-fehler-eigenem-buch-36043026

    Bin ich froh, nicht Kanzler werden zu wollen - da wäre man gar nicht mehr damit fertig geworden, meine ganzen Blog-Zitatsaffären zu untersuchen!

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