Von Laschet, Sirenen und dem Nürburgring

 

Es waren lauter aufgeregte Hühner – und einer musste die Dinge in die Hand nehmen." (Helmut Schmidt zur Hamburger Sturmflut 1962)

Was mich wohl mit Armin Laschet verbindet, ist unsere Neigung, auch mal an der falschen Stelle zu lachen. Bei mir derzeit während der 24 Stunden-Katastrophen-Berichterstattung, wo die geballte deutsche Interviewer-Intelligenz vor durchnässten Trümmern derartige Fragen stellt: „Wie gehen die Menschen mit dieser Flut um?“

Tja, wie geht man damit um, dass einem gerade die halbe Hütte weggeschwommen ist? Für meinen Teil würde ich da eine ziemlich unfreundliche Antwort geben, welche dann voraussichtlich nicht gesendet würde. Ich finde, solchen Endzeit-Journalismus kann man nur noch mit Humor nehmen.

Klar, der angebliche Nachfolger Karls des Großen ist schon eine „Jungfer Ungeschick“ von der Sorte, die zielsicher in den einzigen Kuhfladen auf einem Hektar Fläche latscht. Aber selbst wenn der gute Armin vor Lachen auf den Bauch gefallen wäre und dabei die Lorbeerbaum-Rhetorik unseres Bundespräsidenten vollends geschreddert hätte: Die Realitäten der Überschwemmung wären gleich geblieben. Und es fragt sich, ob Steinmeiers Ansprachen etwas Optimismus nicht guttun würde.

Jetzt aber mit deutschem Ernst zur Sache: Klar sind solche immer mehr ausufernden Wetter-Extreme eine Folge des Klimawandels. Nur löst diese Erkenntnis die kurz- und mittelfristigen Probleme nicht. Selbst wenn unser Land schon morgen CO2-neutral würde, hätte dies mit weniger als 2 Prozent Auswirkungen aufs Weltklima. Es kann also noch dauern. Die nächste Dürre oder Flut, der nächste Sturm kommen mit Sicherheit. Es wäre somit nicht schlecht, sich neben der Weltrettung zunächst auf konkrete Maßnahmen zu besinnen, solche Katastrophen zumindest zu mildern.

Um mit dem Schlimmsten zu beginnen: Waren die 170 Todesopfer zu vermeiden, wenn rechtzeitig und wirksam gewarnt worden wäre?    

Von einer Minute zur anderen kam die Flut beispielsweise im schwer getroffenen Altenahr jedenfalls nicht: Von einem Meter um 12 Uhr mittags kletterte der Pegel der Ahr auf zwei Meter um 18 Uhr und schließlich knapp vier Meter um Mitternacht. Der Höchststand wurde am frühen Donnerstagmorgen mit über 5,70 Metern erreicht – normal sind 0,5 Meter. In den ganzen Stunden hätte man schon mal drauf kommen können, die wichtigen Dokumente, das Familiensilber und die Oma in den ersten Stock zu transportieren. Und ich weiß vom Tango: Die Katastrophen kommen immer nachts.

Klar: Mit einer Erhöhung des Pegelstands auf das Zehnfache konnten die Bewohner nicht rechnen. Aber es gibt doch Fachleute wie Meteorologen und Hydrologen? Sicher, zum Beispiel das Europäische Hochwasserwarnsystem EFAS (European Flood Awareness System). Vom 10. bis zum 14. Juli – also einen Tag vor dem Anstieg der Pegel – hat das EFAS laut eigener Aussage „mehr als 25 Warnungen für bestimmte Regionen des Rhein- und Maas-Einzugsgebietes an die zuständigen nationalen Behörden in Deutschland und Belgien verschickt“. 

Die Landesregierung von NRW bestätigte auch, dass sich die Warnungen in den Tagen vorher immer mehr verdichteten. Konkrete Maßnahmen aber lägen in der Verantwortung der kommunalen Instanzen. Der Verdacht liegt nahe, dass da einiges im Zuständigkeits-Dschungel bundesdeutscher Bürokratie verlustig ging. 

„Schon mehrere Tage vorher konnte man sehen, was bevorsteht", so die britische Hydrologie-Professorin Hannah Cloke von der Universität Reading, die EFAS mit konzipiert hat. Sie betont, Sturzfluten wie im Ahrtal seien nur sehr schwierig vorherzusagen. Dennoch habe es genug Vorlauf gegeben, um Evakuierungen zu planen. „Im Jahr 2021 sollten wir nicht so viele Todesopfer zu beklagen haben." Dass Menschen nicht evakuiert wurden oder die Warnungen nicht erhalten haben, lege nahe, „dass etwas schiefgegangen ist".

https://web.de/magazine/politik/katastrophenschutz-versagt-deutschland-gemeinden-flut-gewarnt-36006266

Es sieht so aus, als hätte man sich wieder einmal vergeblich auf digitale Warnsysteme verlassen. So zum Beispiel auf die App Nina des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und die von Fraunhofer Fokus entwickelte Katwarn-App. Mit solchen Methoden scheiterte man allerdings schon beim „Bundesweiten Warntag“ am 10.9.20 (dem ersten seit der Wiedervereinigung). Wegen Überlastung der Systeme gingen die Meldungen erst verspätet oder gar nicht ein. Der diesjährige Warntag fällt ganz aus – so schnell scheint man die Malaise nicht in den Griff zu kriegen. Erst im September 2022 lässt man es dann wieder probeweise heulen.

https://web.de/magazine/wissen/natur-umwelt/flutkatastrophe-lernen-risiken-einzuschaetzen-forscher-36008620

Apropos Sirenen: Da Pörnbach eine hat, die auch regelmäßig als Alarm für die Feuerwehr zu hören ist, und da es im Landkreis auch regelmäßige Probealarme gibt, war ich naiverweise der Ansicht, das werde wohl deutschlandweit so sein. Weit gefehlt:

Von den 80000 Sirenen, die es noch in den 1980er-Jahren gab, bestanden 2015 noch etwa 15000. Der Grund: Der Bund als bisheriger Eigner hat die Geräte in den 1990-er Jahren den Kommunen überantwortet – offenbar wollte er die Wartungskosten nicht mehr tragen. In vielen Fällen hat man die teuren Dinger dann einfach abmontiert. Der Kalte Krieg war ja vorbei. So gibt es beispielsweise in Berlin keine einzige Sirene mehr.

„Deutschland verfügt heute über kein flächendeckendes Sirenennetz. Städte und Kommunen betreiben uneinheitlich Sirenen; die Alarmierungswege sind regional unterschiedlich. Es gibt auf Bundes-, Länder- und Kreisebene keine zentrale Stelle, die Sirenen auslösen kann.“   

https://de.wikipedia.org/wiki/Zivilschutzsignale      

Die ehemals 10 bundesdeutschen Warnämter wurden Mitte der 1990er-Jahre aufgelöst.

https://de.wikipedia.org/wiki/Warnamt

Ob also in einer Kommune bei Gefahr die Sirenen heulen, ist nicht gesagt. Die wären aber gerade bei Nacht effektiver als eine Warnapp, die man im Schlaf nicht mitbekommt – und der Opa hat eh kein Smartphone. Sirenen dagegen würde er noch vom Krieg kennen. Und wenn das Internet ausfällt, bleibt auch der Computer-Bildschirm leer. Sirenen würden wahrscheinlich funktionieren, falls noch Strom da ist. Ob solche Geräte nämlich über eine Notstromversorgung verfügen, weiß man nicht – flächendeckende Unterlagen fehlen. Es gäbe die Dinger allerdings auch mit Handkurbel.

Wieso kam es gerade im Ahrtal zu solchen Verwüstungen? Mit den örtlichen Verhältnissen beschäftigt sich seit Jahren der Biologe Wolfgang Büchs, Gastprofessor an der Universität Hildesheim.

Historisch habe es dort schon öfter ähnliche Ereignisse gegeben, vor allem 1601, 1804 und 1910. Ursache sei meist Starkregen am Oberlauf der Ahr, im Bereich des Trierbaches, des Adenauer Baches und des Kesselingerbaches. Das typische Gestein – Schiefer und Silikate – ist wasserundurchlässig. Der Regen fließe also sehr schnell an den steilen Talhängen ab. 

Dazu sei in den 1970-er-Jahren die Flurbereinigung gekommen – mit Begradigung von Bächen, Vergrößerung der Flurstücke und vertikalen Abflussrinnen im Weinbau. Die Speicherkapazität der Böden wurden durch Maisanbau und dem Wechsel von Laub- zu Nadelwäldern verringert, gar nicht zu reden von der immer weiter fortschreitenden Flächenversiegelung.

Man habe schon nach der Hochwasserkatastrophe von 1910 an der Ahr Wasser-Rückhaltebecken mit einem Fassungsvermögen von 11,5 Millionen Kubikmetern geplant. Wegen der knappen Finanzen sei es aber bei der Absicht geblieben. Das Geld sei lieber in den 1927 eingeweihten Nürburgring gesteckt worden. Motorsport hat halt für den Wähler mehr Sex als Hochwassersperren.

https://web.de/magazine/wissen/natur-umwelt/biologe-flut-ahrtal-pruefstand-stellen-katastrophen-vorzubeugen-36006712

Sowohl für Armin Laschet als auch für andere Naturkatastrophen gilt offenbar: Ein Fettnäpfchen reicht nicht – man muss schon an vielen Stellschrauben planlos herumdrehen, bis die Natur zur großen Racheaktion schreitet.

Statt politischer Eiertänzer wären Kommunalpolitiker gefragt, die sich von bürokratischen Hürden nicht schrecken lassen – wie der Innensenator Helmut Schmidt, der 1962 mal kurz den Oberbefehl über alle Hilfstruppen an sich zog, um Hamburg vor der Sturmflut zu retten.

Ein solches Kaliber ist für mich auch der Oberbürgermeister von Grimma, Matthias Berger, der durch sein beherztes Eingreifen bei der „Jahrhundertflut“ 2002 bekannt wurde. Gestern beschrieb er im ZDF bei Markus Lanz die Probleme, als er für sein Privathaus eine Fotovoltaik-Anlage einrichten wollte: Er habe den Eindruck gehabt, die Genehmigung für ein Kernkraftwerk anzustreben. Und das sagt ein Jurist mit 20-jähriger Erfahrung als Stadtoberhaupt! 

Der Normalbürger sollte daher nicht auf die Warnungen von Politikern warten. Wenn man in einem engen Tal mit steilen Hängen in Flussnähe wohnt, könnte man sich eigene Gedanken machen – beispielsweise auch über eine Elementarschaden-Versicherung. Und die muss es natürlich für alle geben – notfalls mit staatlicher Hilfe.

Insgesamt sollten wir ein neues Katastrophen-Bewusstsein entwickeln. Nicht in Form von Panik, aber doch mit der Erkenntnis, dass man im Fall des Falles die Feuerwehr vergeblich anruft, weil die auch gerade um ihr Leben rennt!  

P.S. Vielleicht als Beitrag zum „kollektiven Katastrophen-Gedächtnis“: Sturmflut und SPIEGEL-Affäre

https://www.youtube.com/watch?v=q3F49XEhFXU

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