Der Rest ist Schweiger


Weil.... ich als Filmemacher/Schauspieler/
Produzent/Writer/Cutter/Composer....
viel mehr Ahnung.... ich habe viiiieel
 mehr Ahnung von der Craft( Materie)
....KUNST.... als die meisten von
 diesen Trotteln, die darüber schreiben!!!!
(Til Schweiger, Facebook)

The rest is silence.
(Hamlet, Shakespeare)

Ich muss gestehen, dass ich stets hektisch nach der Fernbedienung griff, wenn der frühere abgebrochene Lehramts- und Medizinstudent und heutige Schauspielstar Til Schweiger auf dem Schirm auftauchte. In besonderer Erinnerung ist mir noch ein Auftritt bei Markus Lanz, wo die über Sexualtäter belfernde Mediengröße selbst den Gastgeber in Sachen Selbstgerechtigkeit und Schlichtheit der Argumentation in den Schatten stellte. Immerhin – auch das muss man erst einmal schaffen…

Daher maße ich mir auch nicht an, seine Filmerfolge wie „Der bewegte Mann“ oder „Keinohrhasen“ zu beurteilen: Sie sind an mir vorbeigegangen. Bei gelegentlichen Zufallsbegegnungen auf dem Schirm irritierten mich postpubertäres Gehabe und vor allem Genuschel: Ich verstand meist nicht, was er wollte, aber das soll kein Qualitätsurteil sein. Dieses verkneife ich mir ebenso zu seinen wahrscheinlich gut gemeinten Sozialprojekten wie der „Til Schweiger Foundation“.

Auch die „Tatort“-Produktion „Fegefeuer“ am letzten Sonntag fiel daher zunächst dem Umschaltknopf zum Opfer. Der Grund meines jetzigen, ziemlich tangofernen Beitrags ist allerdings ein Facebook-Post des Krimistars, in welchem er noch in der Nacht nach der Ausstrahlung quasi über Bande spielt und sich per Lobeshymne an den Regisseur des Films, Christian Alvart, schon mal den Weg gegen eventuelle Kritiker freischießt:

„Christian Alvart- was hast du gemacht?! Ich sage , du hast ein Stueck deutsche Fernsehgeschichte geschaffen! Kompromisslos, atemlos, viril, phantastisch für das schmale Geld....andere verschwenden das Budget für zwei moppelige Kommissare, die ne Currywurst verspeisen, oder ein Bier vor einem bayrischen Imbiss zocken...du bringst Non Stop Action in diese 90 Minuten, in denen sonst meistens dummes Zeug gelabert wird( Frau Meier, hatte Ihr Mann Feinde?).... Ich, Til Schweiger, feier dich jetzt mal richtig derbe ab!!!“

Es fehlt auch nicht eine psychologische Analyse der bösen Journalisten:

„Wenn sie ehrlich wären, würden sie zugeben, dass du was aussergewöhnliches geschaffen hast!! Das kriegen sie aber nicht hin, weil sie schwach und klein sind! Deswegen sage ich, als einer der es besser weiß, weil ich vom Fach bin: Mit allen Schwaechen, die dieser Tatort hatte, ist er der bahnbrechendste seiner Art!!! Ich bin unendlich stolz auf dich und was wir gemeinsam erreicht haben!!Du bist der Größte!!!! Deine Arbeit ist unglaublich stark!!!!Ich bin meeega stolz auf dich!!!!ps: Deutschland bleibt das Land der Neider....und am Rande bemerkt... der vierte Teil ist NiCHT wegen mir nicht ausgestrahlt worden, sondern wegen dem NDR..!!!!!“

Also, wenn schon, dann wegen des NDR… Als Kind zweier Lehrer der Besserwisserei nach eigenem Eingeständnis nicht fern, sollte es für einen Schauspieler doch zumindest mit dem Respekt vor der Sprache klappen, welche er zur Beförderung seiner Kunst einsetzt. Und selbst bei Berücksichtigung des in sozialen Medien heute üblichen „Laber-Deutsches“ hätte ich das mentale Alter des Schreibers solcher Zeilen eher im einstelligen Bereich verortet.

Und inhaltlich? Offenbar ist es längst Nostalgie, dass ein Künstler sein Werk vorstellt und dann erst einmal auf die Kritik des Publikums wartet, bevor er sich (wenn überhaupt!) dazu äußert. Befördert es den eigenen Ruhm, zur Kontrastverschärfung gleich noch Kollegen schlechtzumachen? Vielleicht hilft wieder einmal der Perspektivenwechsel im Sinne einer Projektion: Kriegt Herr Schweiger das nicht hin, weil er sich in Wahrheit „schwach und klein“ fühlt?

Meine Meinung zu dem Film „Fegefeuer“, in dem Schweiger den Kriminalbeamten (!) Nick Tschiller verkörpert? Ich habe ihn mir gestern in der Mediathek der ARD angesehen. Die Beschreibung von „Spiegel online“ trifft den Charakter des Werkes recht genau:

„Tschiller ist gut. Tschiller ist auf Medikamenten. Tschiller ist stinksauer. Tschiller erschießt sein Handy. Tschiller trägt den Bösewicht huckepack ins Krankenhaus. Tschiller leitet beinahe die OP. Tschiller will wissen, wo er telefonieren kann. Tschiller bringt seine aufgebrachte Tochter mithilfe einer erzväterlichen Umarmung zur Vernunft. Tschiller macht Kaffeepause. Tschiller erschießt ein weiteres Handy. Tschiller zückt die Panzerfaust, macht damit aber nur ein Fluchtloch.
So geht's dahin.
Dabei lässt Tschiller sich fortwährend von Freund und Feind bescheinigen, er sei "total verrückt" respektive "total irre", wahlweise auch "total müde", weil gefoltert und trotzdem noch verhältnismäßig fit. Sogar bei der russischen Mafia verschafft er sich Respekt. Nicht mit der Wumme, sondern weil er total fies den Dialekt der Gangster nachmachen kann.“

Eines steht jedenfalls fest: Ich werde mir, mit Rücksicht auf meine seelische Gesundheit, garantiert kein weiteres dieser Machwerke ansehen. Bewundernswert immerhin, dass man so viele Klischees in neunzig Minuten unterbringen kann – von den mongolisch radebrechenden Geiselgangster-Untermenschen über einen koksenden Innensenator sowie herumirrende Amateurkriminaler bis hin zum rau-aber-herzlichen Hohelied auf die Vaterliebe (hier auch noch zur eigenen Tochter, die sich selbst spielen darf). Zur Vermeidung echter Dialogsituationen hat fast jeder Akteur ständig ein Handy am Schnabel sowie einen Knopf im Ohr, um sprachlich rudimentäre Textbausteine aufzusagen sowie zu verbreiten. Und unser Star Til-Mann Mimenschneider kommt weitgehend mit einem einzigen Gesichtsausdruck über die Zeit, an welchem lediglich die Maskenbildnerin per allfälliger Verletzungsfolgen ein wenig herumbasteln darf.

Das alles wäre noch nicht wirklich schlimm: Tumbe Action-Reißer mit hanebüchener Handlung, holzschnittartigen Dialogen sowie Hauptdarstellern in akuter künstlerischer Notwehr gibt es zuhauf – und sie finden sicherlich ein Publikum, welches mehr an Sprengkraft denn an Spielkunst interessiert ist. Was aber hier in einem öffentlich-rechtlichen Medium an Übermenschen-Philosophie à la Nietzsche verbreitet wird, halte ich – gerade auch wegen der Vorbildfunktion – für gefährlich: Nick Tschiller verhält sich in einer Weise, die einem echten Kriminalkommissar alle zwei Minuten die Entlassung aus dem öffentlichen Dienst sowie ein Strafverfahren bescheren würde – etwa, wenn er eine Polizeisperre durchbricht oder Kollegen mit der Waffe bedroht.

Die eindeutige Botschaft lautet: Beim passenden Grad der „gerechten Empörung“ darfst du alles – ein Eindruck, der einen auch fallweise bei den Auftritten des realen Til Schweiger beschleicht. Es lebe die Selbstjustiz – notfalls mit der Panzerfaust!

Potenziellen Nachahmern rate ich, sich einmal mit einem Film zu beschäftigen, der schon beinahe 70 Jahre alt ist: „Cocktail für eine Leiche“ von Alfred Hitchcock. Darin spielt James Stewart den Universitätslehrer Rupert Cadell, der sich in seinen philosophischen Schriften zur Theorie des Übermenschen und der Kunst des Mordens bekannte. Leider übertragen zwei seiner ehemaligen Schüler dies in die Wirklichkeit und erproben es bei der Tötung eines Kommilitonen. Als Cadell die Tat entdeckt, erkennt er seine Verantwortung und liefert die Täter in einem grandiosen Schlussmonolog der Polizei aus:

„Damit wollte ich sagen, dass ich mich jetzt sehr schäme, dass ich die Menschen jemals in minderwertige und höhere Wesen eingeteilt habe. Und für diese Erkenntnis bin ich dir dankbar. Denn mir ist jetzt klar geworden, dass ein jeder von uns etwas Einmaliges ist, Brandon, mit dem Recht zu leben, zu denken, zu arbeiten, nach seinem Maß, aber der Gesellschaft verpflichtet, in der wir leben, wir alle.“   

Was solche Produktionen von heutigen Trends abhebt, ist nicht nur eine Leistung von Schauspiel und Regie, an welche derzeitige Protagonisten nicht heranreichen, selbst wenn sie sich auf die Zehen stellen – es kommt noch eines hinzu: Humanität. Doch diese wird offenbar heute zur Erreichung einer Quote (welche man dann nicht einmal erreicht) aus den Drehbüchern herausgeballert.

Der Rest ist Schweigen.

P.S. Um das „Off-Topic“ meines Beitrags zu beschränken und mit einem Lob zu enden: Ich bin Til Schweiger höchst dankbar, dass er keinen Tango tanzt. Egomane in der Trotzphase haben wir schon genug…

Kommentare

  1. Hallo Gerhard, schönes Neues nachträglich.

    Der Text spricht mir aus der Seele. Den "großen Schmerz" (das war glaube ich Teil 1) anzusehen wurde ich soweit ich mich erinnern kann quasi gezwungen (ich habe die genauen Umstände bereits verdrängt). Wenn schon einen auf Ami machen, warum haben mußten sie dann unbedingt Frau Ex-Tschiller killen? Hätte ja auch mal ein richtig nettes Happy End werden können. Wobei Du glaube ich schon weiß, wes Geistes Kind ich in Sachen Film bin - der soll mich gefälligst unterhalten, für Kluges gibt es Bücher. Da darf es gerne auch mal ein Demolition Movie sein. Der einzig gute deutsche Filmemacher ist für mich daher auch Roland Emmerich.

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  2. Lieber Yokoito,

    danke für Deine Einschätzung! Unser Filmgeschmack differiert da sicherlich etwas - und ich finde, auch Bücher können unterhaltsam und Filme klug sein. Aber hinsichtlich Roland Emmerich stimme ich Dir zu, auch wenn das nicht ganz mein Genre ist.

    Beste Grüße
    Gerhard

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  3. In der Zeitung war heute dieser Artikel, der sehr gut dazu passt: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/herzblatt-geschichten/herzblatt-geschichten-das-wird-das-jahr-der-liebe-14005653.html

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    1. Sehr schön! Ich sehe mit Freude, dass die FAZ mindestens so süffisant schreiben kann wie ich...

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