Peter Baumgartner: Siagst Alte, jetzt miass ma wieda von vorn anfanga!



Der Autor übersandte mir den folgenden Text als Kommentar. Ich fand aber, dieser sei eines eigenen Gastbeitrags würdig. Daher – und mit Peters freundlichem Einverständnis – hier seine Anmerkungen zum „Männerproblem Tango“:

Lieber Gerhard,

es ist ganz einfach ein Männerproblem, wie die grobe Statistik der Autorinnen und Autoren von Beiträgen über das richtige Verhalten im Tango Argentino leicht erkennen lässt.

Vor fast 30 Jahren bin ich schon mit Gerda WEILER auf den Grund dafür gestoßen: In ihrer FEMINISTISCHEN ANTHROPOLOGIE zeigt sie, dass die Männer von der Grundangst geprägt sind, nach der Zeugung der Nachkommen eigentlich überflüssig zu sein.

Als Kompensation dafür suchen sie sich alle möglichen Betätigungsfelder und stellen Regeln auf, die sie auch gleich selbst kontrollieren. Damit haben sie wieder eine Lebensgrundlage hergestellt. Gleichzeitig dienen die Regeln dazu, die schon von der Biologie her gegebene Eigenständigkeit der Frauen einzuschränken und das Machtgefüge zu Gunsten der Männer zu manipulieren.

Trotz dieses massiven Einstiegs in die Hintergründe eines eigentlich leichtfüßigen Tanzens bin ich zutiefst davon überzeugt, dass dieser Hintergrund aus der Evolution auch hier eine große Rolle spielt:

Wer sich erst zum Erzengel machen muss oder nicht genug Biologie in seiner Hose hat, um mit Frauen in einem direkten Gespräch zum Tanzen zu kommen, muss solche Regeln erfinden. Damit löst er offenbar seine ganz persönlichen Unzulänglichkeiten im Kontakt mit Frauen, oder, wie man an seinen Texten sieht, hat sie noch immer nicht gelöst.

Dass dieselben Vorgänge in den jeweils konservativen Abteilungen der Religionen auch die Grundlage für die Männerherrschaft bilden, hast Du dankenswerterweise in Deinen Texten schon oft angedeutet.

Was ich hier sagen will ist, dass diese unglaubliche Regulierungswut und die Einengung von Musik auf irgend einige kurze Jahre meiner ganz ehrlichen Meinung nach im mangelnden Selbstbewusstsein vor allem der männlichen Teilnehmer am Tango Argentino begründet ist.

Sonst müssen sie nicht schon von vornherein festlegen was „tanzbar“ ist und dabei übersehen, dass zum Beispiel die Leute von der Tangoakademie in Holland viel zu Musik von Piazzolla tanzen. Aber das ist sowieso umsonst, auch nur ein paar Sätze in diese Richtung zu verlieren. Wer denkt eigentlich solchen Blödsinn, dass Mann und Frau nicht zu jeder Musik tanzen soll, die einen zum Tanzen anregt, und sei es im Tango Argentino. Während ich das schreibe, empfinde ich die große Peinlichkeit, dass man das überhaupt schreiben muss.

Ein Blick zur Laban-Universität in Greenwich, London University, auf der meine Tochter Bühnentanz studiert hat und wo ich auch öfter zu Gast war, würde zeigen, dass man mit einem Blick auf ein paar Milongas noch nicht die geringste Grundlage hat, mit dieser Bestimmtheit und Ausschließlichkeit über einen ganzen Teil-Kosmos des Tanzens, nämlich den Tango Argentino zu sprechen.

Wenn verschiedene Detlefs denken, das krampfartige Herummarschieren mit der Haltung und dem Stil der Wachablöse beim Brandenburger Tor sei Tango Argentino, dann fällt mir vor allem ein Zitat eines Argentiniers ein: „Tango Argentino ist ganz leicht, sonst würden es wir Argentinier nicht machen!“

Daraus leite ich ab: Tango muss man auch ganz schwer machen können, sonst würden es die Deutschen nicht machen.

Diese ganze Diskussion in unserem geschätzten Nachbarland, die übrigens auch in Österreich schon die Milongas mehr oder weniger belastet bis zerstört hat, ist für mich zwar nicht unerklärlich, aber unverständlich. Heute Morgen habe ich darüber gelesen, dass in Deutschland und sogar bei den gemütlichen Bayern immer mehr private Sicherheitsgruppen oder Privatsheriffs aus dem Boden schießen. Da wird mir die Diskussion und die Regulierungswut im Tango Argentino schon verständlicher.

Die Entwicklung auf den Tanzabenden lässt mich an einen makabren Witz denken: Die Airforce One macht nach einem Atomkrieg eine Notlandung im Urwald. Der Präsident und seine Frau schleppen sich als letzte Überlebende des Menschengeschlechts über die Gangway und brechen am Boden tot zusammen. Das ganze beobachtet ein Affenpärchen. Sagt der Affenmann zur Affenfrau: „Siagst Alte, jetzt miaß ma wieda von vorn anfanga!“

Und so geht’s Dir und mir mit der Milonga. Damit's wieder lustiger wird und frei von den Privatsheriffs.

Mit viel Musik aus allen Richtungen und vielen Experimenten für ein kreatives Tanzen. Noch dazu mit einem gleichberechtigten Vorschlagsrecht für Mann und Frau bis hin zur Traumsituation: Wenn die Vorschläge und die Annahmen so weit ineinander fließen, dass nur mehr Quantensprünge der Zeit sie unterscheiden und dann eine Innigkeit des gemeinsamen Tanzens entsteht, wie sie eben aus der gemeinsamen Freude zweier Menschen an der Musik mit den Improvisationen des Tango Argentino FÜR BEIDE GLEICHZEITIG möglich ist.

Eine Innigkeit, die nicht auf die vordergründige Optik des Schwitzkastens der sogenannten engen Haltung angewiesen ist.

Deine Wohnzimmer-Milonga ist dazu ein wichtiger Schritt. Wenn’s bei mir beruflich zusammenpasst, werde ich die Gelegenheit einmal gemeinsam mit meiner Frau wahrnehmen.

Herzliche Grüße vom Traunsee
Peter

P.S. Lieber Peter, Euer Besuch würde uns riesig freuen! Warum sollte man nur zu Encuentros weite Strecken zurücklegen…

Kommentare

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.