Peter Ripota: Tango in den USA
Mein Tangofreund Peter weilte mit seiner Frau Monika jüngst für drei Wochen in den USA - und ging, wie könnte es anders sein - dort auch Tango tanzen. Gerade erhielt ich von ihm einen Bericht darüber, den ich mit seiner freundlichen Genehmigung sehr gerne veröffentliche:
Tango
in New York
Ist der Tango international, mit allen bekannten
(wenngleich nicht immer praktizierten) Verhaltensweisen wie Cabeceo, Tandas +
Cortinas, Führung durch den Mann und Tango-Grundschritt? Oder gibt es nationale
Ausnahmen? Wir wollten es herausfinden, als wir die USA bereisten. Leider kamen
wir aus verschiedenen Gründen nur selten zum Tanzen. Das Wenige aber ist
vielleicht auch für USA-Besucher interessant.
In New York beispielsweise besuchten wir gleich am ersten
Abend den Freilufttango im Central Park. Der ist ein bisschen größer als der
Hofgarten, es gibt mehr Leute dort (die auch brav klatschen), aber ansonsten:
wie gehabt. Der Boden: Unirdisch, nur Aliens mit Reifen an den unteren
Bewegungsorganen können darauf tanzen. Auf rauen Pflastersteinen bleiben die
Absätze der Damenschuhe in den sandigen Lücken stecken, und Ochos werden zur
sehnenreißenden Quälerei. Die Musik: klassisch, mit Tandas und Cortinas. Der
obligate Anfangsunterricht: etwas abseits, stört also nicht. Die Menschen:
bunt, in jeder Hinsicht, was Kleidung, Frisuren, Hautfarbe und Tanzstil
betrifft. Die Alteingesessen tanzen gekonnt, die Ostasiaten zierlich und
elegant, die Latinos robust, der einzige dunkelhäutige Teilnehmer eher Lindy Hop,
was aber weder nach Neo- noch nach Non-Tango aussieht. Die beste Tänzerin, die
sich höchst elegant in zierlichen und sehr hochhackigen Schuhen bewegte, kam
allerdings zumindest für mich als Tanzpartnerin nicht in Frage. Sie war ein
Mann, ihrem Partner in Treue verbunden.
Woraus klar wird: Die Menschen waren offen, die Luft
milde, die Kulisse atemberaubend, der Mond schien über den Bäumen und
Hochhäusern, und hinter einem Baumstamm versteckte sich eine Waschbärenfamilie
(nicht-tanzend). Insgesamt eine entspannte, hübsche, bunte Atmosphäre. Wenn da
nicht eine Seltsamkeit gewesen wäre, die ganz New York betrifft: Alles ist auf
Schnelligkeit und Effizienz ausgerichtet. Nicht, dass die Leute dort schneller
tanzen als anderswo. Aber eine Dame, die sich offenbar mit mir durchaus wohl
fühlte, begrüßte nach nur einem Tanz überschwänglich einen Bekannten - und verschwand
wortlos mit ihm, mich auf der Tanzfläche leicht belämmert stehen lassend.
Merke: In New York geht alles ziemlich schnell!
Die nächste Veranstaltung ging nicht so gut aus. Wir
hatten an diesem Abend zwei zur Auswahl, wählten aber die falsche, nämlich eine
Practica. Und dort wurde eifrig (und auf sehr hohem Niveau) praktiziert, aber
nicht mit uns. Das merkten wir erst nach mehreren Körben, wobei auch hier das
Gleiche wie im Central Park geschah: Meine Tanzpartnerin, sich mir mit großem
Misstrauen anvertraut habend, machte nach einem halben Tanz nur noch irre Schritte
und verließ mich am Ende des Tanzes abrupt. Der Rest gab Körbe oder sah
woanders hin. Merke: Gehe in New York nie zu einer Practica - und wenn doch, sei
stets gefasst auf das Unfassbare!
Tango
in Washington
Es gibt keinen größeren Gegensatz als den zwischen den
amerikanischen Weltstädten New York und Washington. New York ist hektisch und
aggressiv, Washington ist gelassen und entspannt. In New York ist alles hoch
und eng, in Washington niedrig und breit. In New York hast du kaum Platz, dem
Strom der vorbeieilenden Fußgänger kollisionsfrei auszuweichen. In Washington
bist du froh, einem Fußgänger zu begegnen und ihm freundlich zuzulächeln. Die
Entspanntheit der Bundeshauptstadt könnte doch, so dachten wir, auch das
Verhalten der Tangotänzer beeinflussen.
Seelisch durch solcherlei Überlegungen gestärkt, besuchten
wir frohgemut eine Veranstaltung, die explizit als "Milonga"
gekennzeichnet war (zweimal den gleichen Fehler machen wir nicht!). Und siehe
da: Unsere logischen Überlegungen hatten sich ausnahmsweise als richtig
erwiesen. Der "Genius Loci", der Geist des Ortes, war so wie gedacht.
Die Menschen dort - zum Großteil jung bis sehr jung - waren freundlich,
zugänglich, offen und gesprächsbereit. Sie tanzten auf hohem Niveau, wechselten
viel, gaben keine Körbe und kümmerten sich sogar um Neuankömmlinge. Und so hätte
es auch für mich ein schöner Abend werden können, wenn nicht - ja, wenn nicht
dortselbst eine Verhaltensweise zwingend vorgeschrieben gewesen wäre, deren
Grundlagen und Methoden mir immer noch fremd sind: Auffordern mit Cabeceo.
Selbst Monika, in dieser Kunst eine Meisterin, staunte immer
wieder, wie schnell das ging, wie rasch sich die Paare fanden, wie oft man/frau
am Ende dasitzt oder steht und sich wundert, wohin all die potenziellen Partner
verschwunden sind. Wie auch immer, die anderen waren immer ziemlich schnell
gepaart und auf der Tanzfläche verkoppelt. Ich hätte doch ein Seminar bei
Theresa F. absolvieren sollen! Aber was nicht ist, muss eben noch werden. Kann
doch nicht so schwierig sein. Zum Beispiel meine Nachbarin. Ich könnte sie ja einfach
fragen: Gnädige Frau ... halt in Englisch. Aber das ist ja verboten. Also
schaue ich sie von der Seite an, sehr mühsam, schließlich bin ich keine Eule,
die den Hals um 180 Grad verdrehen kann. Egal, was sein muss, muss sein. Die
Dame denkt anders und starrt gerade aus. Als meine Halsmuskeln zum Zittern
anfangen, drehe ich meinen Kopf kurz weg, und in dem Augenblick sieht sie mich
an. Verpasste Chance.
Na gut, gegenüber, in der anderen Ecke des Saals sitzt
eine junge Dame, die beim Paarungsspiel aus mir unverständlichen Gründen übrig
geblieben ist. Mein Blick geht natürlicherweise, mit ganz entspannten Halsmuskeln,
in ihre Richtung. Irgendwann werden sich doch die Blicke kreuzen, irgendwann
muss sie ja auch mal in meine Richtung – Sie aber starrt auf die Tanzfläche,
folgt offenbar einem Herrn, den sie, wenn er ihre Ecke kreuzt, mit all ihrer Verführungskraft
anlächelt, doch der ignoriert sie. Kein Wunder, er tanzt ja. Irgendwann merkt
sie das Sinnlose ihres Tuns und wendet den Blick ab – in meine Richtung. Meine
Chance! Aber in dem Moment setzt sich ein Herr genau vor sie und unterhält sich
angeregt mit seinem Nachbarn. Na gut, ich brauche ja nur meine Sitzposition
leicht verändern, dann ist der Blick wieder frei. Also einen halben Meter nach
links gerückt – da unterhält sich die Dame intensiv mit einer Bekannten, und
als die weg ist, starrt sie hingebungsvoll in ihr Handy. Wieder nichts.
Irgendwann geb ich's auf. Hat ja doch keinen Zweck. Und
auch auf die Gefahr hin, wegen Regelverstoßes den Saal zwangsweise verlassen zu
müssen (draußen auf der Straße hat es immer noch 35° Celsius, also kein
Problem) wende ich mich wieder meiner Nachbarin zu (sie sitzt immer noch an der
gleichen Stelle) und frage ganz regelwidrig: Wollen Sie tanzen? (auf Englisch
natürlich). Gleich der erste Schreck: Ich habe "mit mir" zu sagen
vergessen. Denn natürlich will sie tanzen, aber mit dem Märchenprinzen, wie
alle Damen, während ich – "Sure" sagt sie, auf Deutsch etwa:
"Warum nicht gleich". Na also, geht doch, auch ohne Spezialseminar!
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