Schluss Montfort



„Das Schloss Montfort am Bodensee ist das Wahrzeichen der Gemeinde Langenargen. Einst unter dem Namen Villa Argena geplant, sollte es König Wilhelm I. von Württemberg als Lustschloss dienen. Es entstand auf einer Landzunge am Platz der Ruine der Burg Argen. Heute befinden sich in ihm eine Diskothek und ein Gastronomiebetrieb, Sommerkonzerte finden im Saal des oberen Stockwerks statt.“
(Quelle: Wikipedia)

Das malerische, direkt am See gelegene Gemäuer in Langenargen ist die edelste Tango-Location, die ich kenne. Wenn man dort auf erlesenstem Parkett und mit Blick auf den nächtlichen Bodensee tanzt, sollte sich der Tangozauber von ganz alleine einstellen.

Da meine Frau und ich öfters unseren Urlaub in dieser Region verbringen, mussten wir erleben, wie im Laufe der Jahre das konservative Kleinbürgertum auf den meisten der dortigen Milongas in Viererreihen einmarschierte. Noch öder als in der „Hauptstadt der Unbewegung“ München – das erschien uns selbst in den Ferien nur begrenzt attraktiv. Wir hatten noch die letzte Tangonacht auf Montfort in Erinnerung, welche, unter Mitwirkung von Tangozelebritäten aus Lindau, das Flair eines Golfclub-Sommerballs ausstrahlte – langweilige Musik natürlich inklusive. Eine Abkehr von der musikalischen Vielfalt auch im historischen Ambiente, quasi „Schluss Montfort“?

„Wenn dort schon an der Tür eine Código-Liste aushängt, gehen wir lieber Felchen essen“, so meine Absichtserklärung beim Durchschreiten des Schlossparks. „Ach, wenn wir doch schon mal da sind“, so die Replik – eine eventuelle Tangokrise bahnte sich an.

Diesmal sollte Ute Frühwirth auflegen, für mich immerhin ein bekannter Name: Bereits 1985 hatte die gelernte Tanzlehrerin in Stuttgart das „Tango Vorstadt“ gegründet, die erste Tangoschule der Region. Urgestein war somit zu erwarten, aber in welchem musikalischen Verwitterungsgrad?

Bei unserem sehr pünktlichen Eintreffen hörten wir durch die noch geschlossene Tür zur gerade endenden Practica das sattsam bekannte de Angelis-Remolino-Gesäusel. Oh weh!

Dann, zu Beginn der Milonga, Tandas von D’Agostino und d’Arienzo – na ja, immerhin schön zusammengestellt. Ich forderte meine Frau mit den schon gewohnten Worten auf: „Lass uns tanzen, besser wird’s nicht!“ Was mir allerdings sofort auffiel: Ute Frühwirth legte noch mit CDs auf, war ständig an ihrer Anlage präsent, lief zum Soundcheck öfters durch den Saal – also noch gute, alte Handarbeit, wie schön!

Nach einigen Tanzrunden ergriff die DJane das Mikrofon: Sie wünsche sich, dass wir auch die Pausenmusik mittanzten, welche sie daher länger ausspielen werde. Auf das folgende Stück zum Beispiel könne man Vals oder Wiener Walzer (!) tanzen: Prompt erklang der berühmte Schostakovitsch-Walzer Nr. 2 aus seiner Jazz-Suite, gefolgt von einer Serie Milongas – was bekanntlich schon drei Todsünden der heutigen Auflege-Ideologie hintereinander bedeutete.

Ich war geplättet! Auf fast dreitausend Milongas hatte ich noch nie einen DJ erlebt, der darum bat, auf die Cortinas zu tanzen! Zwei Tage lag unsere letzte „Wohnzimmer-Milonga“ zurück, zu deren Einladungstext ich das provokante Motto von Alfredo Foulkes verwendet hatte: „Genieße das Leben, tanze die Cortinas!“ Und nun machte das jemand buchstäblich wahr – die Müdigkeit eines langen Urlaubstages war im Nu verflogen!

Aber es sollte noch viel schöner kommen: Eine Rumba, gefolgt von Cáceres-Krachern wie „Tango nero“ – also quasi eine Runde „Tropical“ wie bis vor zehn oder fünfzehn Jahren auf den sogenannten „traditionellen Milongas“ Argentiniens. Dann Salsa, Musette-Walzer, Elektrotangos, Swing – und, für mich der Höhepunkt, Elvis mit „A fool such as I“. Gegen Ende dann die gelungene Rückkehr zu den Klassikern wie „Adiós muchachos“ (darf man wegen der Unglücksgefahr eigentlich auch nicht spielen…).

Es war unglaublich, wie Ute Frühwirth den vollen Saal aufmischte! Der Besuch der alten Dame im fürstlichen Schloss war mehr als erfolgreich: Viele quittierten den rigorosen Bruch mit den DJ-Códigos mit Lachen (!) und hingebungsvoller Interpretation auf dem Parkett. Freilich gab es vereinzelt auch gefrorene Mienen zu besichtigen – darob meine Hände zu reiben fiel mir jedoch schwer, da ich sie zum Tanzen benötigte.

Als wir hinterher beschwingt in unser Hotel zurückfuhren, war mir glasklar, welcher Stuss heute von Tanzverkehrs- und Aufforderungs-Reglementierern sowie Musik-Historikern verbreitet wird: Hauen und Stechen auf der Tanzfläche, Gefährdung der Seelenruhe, Abweichung von der „musikalischen Rassenlehre“? Welch ein Unsinn! Die meisten Gäste hatten sich – völlig verletzungs- und grübelfrei – amüsiert wie Bolle!

Mein Schluss aus diesem Abend im Schloss geht aber noch weiter. Tango-Urgesteine wie Ute Frühwirth sollten sich noch lauter zu Wort melden, weil sie etwas zu sagen haben, das den in den letzten Jahren zwangssozialisierten Tangoschülern fremd sein dürfte: Was auf dieser Welt alles zu Recht den Namen „Tango“ trägt und – wenn mal nicht – dennoch das Vergnügen auf einer Milonga steigern kann, so wie die Gründerväter und -mütter unseres Tanzes sicherlich zwischendurch auch einmal an einer Mazurka oder Tarantella der einstigen Heimat ihre Freude hatten.

Viele in unserer Generation wissen noch, wie frühere Milongas abliefen – und wenn nicht mehr, ist dies eher ein altersbedingtes Defizit denn eine neue Weisheit. Bei noch intaktem Gedächtnis allerdings sollten wir nicht vornehm schweigen, wenn eine nach der anderen der – sintemalen „freien“ – Milongas den Bach des regelbewehrten Gedudels hinuntergeht. Dann kann es auch an Orten, wo früher eine demokratisch nicht legitimierte Aristokratie über das gemeine Volk herrschte und man dies nun tangomäßig nachholen möchte, einen solchen Spaß geben, dass die Kronleuchter wackeln!


Kleine Kritik im Nachgang: Die Willkommenskultur speziell für weit angereiste Gäste ist im Tango generell abhandengekommen – na gut, vielleicht hebt man sich die für Asylbewerber auf (was keine Anspielung auf argentinische Tangolehrer sein soll…).

Kommentare

  1. Na, das Beste haste verpasst, Gerhard: Wer zu früh geht, den bestraft das Leben - eben! 23h, der Kellner schaut feierabendheischend auf die Uhr, und Ute verkündet mit Wonne in der Stimme: Jetzt schenke ich euch noch zwei Vals! Göttlich! Und danach? Cumparsita? Mitnichten: Karibik! Spontan bilden alle einen großen Kreis, fassen sich an den Händen und ab die Post. Ute mittenmang, die Hüften schwingend. Wow!

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    1. Echt? „Zwei Vals“? Kennt Ute den spanischen Plural „Valses“ nicht? Skandalös!
      Und ohne Cumparsita… das ist ja schlimmer, als wenn im Seniorenheim der Nachtisch ausfällt! Stattdessen karibischer Ringelpiez mit Anfassen – wie muss die schwäbische Szene gelitten haben!
      Herzlichen Dank für die ergänzende Dokumentation eines unvergesslichen Abends!

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    2. D´r Schwob als solcher isch selbschtbewuscht, weltoffa ond leidet it! Mir saget zwei Vals und der Butter - schliesslich wared d´r Schiller ond d´r Hölderlin au koine Argentinier. (Ond d´r Hesse isch au koi Hesse!)

      Zu Deinen schlechteren Montfort-Erfahrungen sei gesagt: Die DJs wechseln in Langenargen von Abend zu Abend, und da ist dann für jeden Geschmack mal was dabei. Aber Ute Frühwirth ist halt kaum zu toppen!

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    3. Ach, die Ute Frühwirth ist Schwäbin? Ich dachte, Hessin (aus Frankfurt)! Sonst hätte ich natürlich den sprachlichen Lapsus nicht erwähnt.
      Wie das mit den DJs in Langenargen ist, weiß ich - schon deshalb, weil meine Webdesignerin die "Tango am Bodensee"-Seite betreut. Aber die von mir erlebten Abende schienen eine gewisse Tendenz anzudeuten - würde mich freuen, wenn es anders wäre.

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  2. Super.....und es hat überhaupt nicht weh getan. Herzlich, Peter

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    1. Na ja, uns nicht - aber anderen offenbar schon... Ist aber nur ein gerechter Ausgleich für die vielen langweiligen Milongas, die man uns schon beschert hat!
      Liebe Grüße
      Gerhard

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